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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

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Nun ging ich neulich damit um, mir das Geschöpf
mit guter Art vom Hals zu schaffen. Vielleicht ist
euch nicht unbekannt, daß der Kerl an Händ' und
Füßen, besonders aber zwischen den Zehen, wirkliche
Schwimmhäute hat, auch lebe ich der festen Ueberzeu-
gung, man würde aus seinen Gliedmaßen lauter schmale
Stäbe von Fischbein, statt der Knochen, ziehen und
überhaupt die wunderbarsten Dinge bei ihm entdecken.
Mein Rath war also, sich zuvörderst von einem Pro-
fessor besichtigen und dann dem Fürsten empfehlen zu
lassen, vor allen Dingen aber sich aus meinem Logis
zu verlegen. Dieser mein Vorschlag kam freilich etwas
unerwartet, und ich mußte ihm schon noch einige Tage
Zeit gönnen, um sich zu fassen. Gestern Morgen aber
stand er ungewöhnlich früh vom Bette auf; ich lag
noch halbschlafend mit geschlossenen Augen, mußte aber
im Geist jede Gebärde verfolgen, die der Widerwart
während des Ankleidens machte, jede Miene, nein, ich
sage passender, jeden Gesichtsschnörkel, der sich während
des Waschens zwanzig und dreißigfältig bei ihm for-
mirte. Jezt griff er nach seinem ordinären Frühstück,
einem vollen Glas mit kaltem Brunnenwasser, jezt
hört' ich ihn seine beinernen Finger auf den Tisch
setzen und knackend abdrucken, daß die Wände gellten,
das gewöhnliche Manöver, wodurch er mich zum Er-
wachen, zum Gespräch zu bringen sucht, und: "Guten
Morgen, Bruder! wie schlief sich's?" lispelt er, aber
ich rühre mich nicht. Er wiederholt den Gruß noch

Nun ging ich neulich damit um, mir das Geſchöpf
mit guter Art vom Hals zu ſchaffen. Vielleicht iſt
euch nicht unbekannt, daß der Kerl an Händ’ und
Füßen, beſonders aber zwiſchen den Zehen, wirkliche
Schwimmhäute hat, auch lebe ich der feſten Ueberzeu-
gung, man würde aus ſeinen Gliedmaßen lauter ſchmale
Stäbe von Fiſchbein, ſtatt der Knochen, ziehen und
überhaupt die wunderbarſten Dinge bei ihm entdecken.
Mein Rath war alſo, ſich zuvörderſt von einem Pro-
feſſor beſichtigen und dann dem Fürſten empfehlen zu
laſſen, vor allen Dingen aber ſich aus meinem Logis
zu verlegen. Dieſer mein Vorſchlag kam freilich etwas
unerwartet, und ich mußte ihm ſchon noch einige Tage
Zeit gönnen, um ſich zu faſſen. Geſtern Morgen aber
ſtand er ungewöhnlich früh vom Bette auf; ich lag
noch halbſchlafend mit geſchloſſenen Augen, mußte aber
im Geiſt jede Gebärde verfolgen, die der Widerwart
während des Ankleidens machte, jede Miene, nein, ich
ſage paſſender, jeden Geſichtsſchnörkel, der ſich während
des Waſchens zwanzig und dreißigfältig bei ihm for-
mirte. Jezt griff er nach ſeinem ordinären Frühſtück,
einem vollen Glas mit kaltem Brunnenwaſſer, jezt
hört’ ich ihn ſeine beinernen Finger auf den Tiſch
ſetzen und knackend abdrucken, daß die Wände gellten,
das gewöhnliche Manöver, wodurch er mich zum Er-
wachen, zum Geſpräch zu bringen ſucht, und: „Guten
Morgen, Bruder! wie ſchlief ſich’s?“ lispelt er, aber
ich rühre mich nicht. Er wiederholt den Gruß noch

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[488/0174] Nun ging ich neulich damit um, mir das Geſchöpf mit guter Art vom Hals zu ſchaffen. Vielleicht iſt euch nicht unbekannt, daß der Kerl an Händ’ und Füßen, beſonders aber zwiſchen den Zehen, wirkliche Schwimmhäute hat, auch lebe ich der feſten Ueberzeu- gung, man würde aus ſeinen Gliedmaßen lauter ſchmale Stäbe von Fiſchbein, ſtatt der Knochen, ziehen und überhaupt die wunderbarſten Dinge bei ihm entdecken. Mein Rath war alſo, ſich zuvörderſt von einem Pro- feſſor beſichtigen und dann dem Fürſten empfehlen zu laſſen, vor allen Dingen aber ſich aus meinem Logis zu verlegen. Dieſer mein Vorſchlag kam freilich etwas unerwartet, und ich mußte ihm ſchon noch einige Tage Zeit gönnen, um ſich zu faſſen. Geſtern Morgen aber ſtand er ungewöhnlich früh vom Bette auf; ich lag noch halbſchlafend mit geſchloſſenen Augen, mußte aber im Geiſt jede Gebärde verfolgen, die der Widerwart während des Ankleidens machte, jede Miene, nein, ich ſage paſſender, jeden Geſichtsſchnörkel, der ſich während des Waſchens zwanzig und dreißigfältig bei ihm for- mirte. Jezt griff er nach ſeinem ordinären Frühſtück, einem vollen Glas mit kaltem Brunnenwaſſer, jezt hört’ ich ihn ſeine beinernen Finger auf den Tiſch ſetzen und knackend abdrucken, daß die Wände gellten, das gewöhnliche Manöver, wodurch er mich zum Er- wachen, zum Geſpräch zu bringen ſucht, und: „Guten Morgen, Bruder! wie ſchlief ſich’s?“ lispelt er, aber ich rühre mich nicht. Er wiederholt den Gruß noch

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 488. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/174>, abgerufen am 04.05.2024.