von mir wolltet mitzählen lassen." "Ah!" rief man lachend, "die Figur! die Figur! er meint die Figur!"
"Allerdings," fuhr der Andere fort, "ich meine das spindeldünne bleichsüchtige Wesen, das mir von Hamburg an, ungebetenerweise und ohne vorausge- gangene genauere Bekanntschaft hieher folgte, um, wie er sagte, in meinen Armen den Tod seines unvergeß- lichen Freundes und Bruders, des Buchdruckers Mur- schel, zu beweinen. Nun wißt ihr, ich bewohne seit einiger Zeit mit diesem zärtlichen Barbier, Sigismund Wispeln, Eine Stube, er ißt mit mir und ich theile aus christlicher Milde Alles mit ihm, bis auf das Bett, das ich mir aus billigen Gründen allein vor- behalten. Man hat aber keinen Begriff, was ich für ein Leiden mit dieser Gesellschaft habe. Schon sein bloßer Anblick kann einen alteriren. Eine Menge kurioser Angewohnheiten, eine unermüdliche Sorgfalt, seine Milbenhaut zu reiben und zu hätscheln, seine röthlichen Haare mit allerlei gemeinem Fette zu be- träufeln, seine Nägel bis auf's Blut zu schneiden und zu schaben -- ich bekomme Gichter beim bloßen Ge- danken! und wenn er nun die Lippen so süß zuspizt und mit den Augen blinzt, weil er, wie er zu sagen pflegt, an der Wimper kränkelt, oder wenn er sich mit den tausend Liebkosungen und Gesten an mich anschmiegt, da dreht sich der Magen in mir um und ich hab' ihn wegen dieser Freundschaftsbezeugungen mehr als Ein- mal wie einen Flederwisch an die Wand fliegen lassen.
von mir wolltet mitzählen laſſen.“ „Ah!“ rief man lachend, „die Figur! die Figur! er meint die Figur!“
„Allerdings,“ fuhr der Andere fort, „ich meine das ſpindeldünne bleichſüchtige Weſen, das mir von Hamburg an, ungebetenerweiſe und ohne vorausge- gangene genauere Bekanntſchaft hieher folgte, um, wie er ſagte, in meinen Armen den Tod ſeines unvergeß- lichen Freundes und Bruders, des Buchdruckers Mur- ſchel, zu beweinen. Nun wißt ihr, ich bewohne ſeit einiger Zeit mit dieſem zärtlichen Barbier, Sigismund Wispeln, Eine Stube, er ißt mit mir und ich theile aus chriſtlicher Milde Alles mit ihm, bis auf das Bett, das ich mir aus billigen Gründen allein vor- behalten. Man hat aber keinen Begriff, was ich für ein Leiden mit dieſer Geſellſchaft habe. Schon ſein bloßer Anblick kann einen alteriren. Eine Menge kurioſer Angewohnheiten, eine unermüdliche Sorgfalt, ſeine Milbenhaut zu reiben und zu hätſcheln, ſeine röthlichen Haare mit allerlei gemeinem Fette zu be- träufeln, ſeine Nägel bis auf’s Blut zu ſchneiden und zu ſchaben — ich bekomme Gichter beim bloßen Ge- danken! und wenn er nun die Lippen ſo ſüß zuſpizt und mit den Augen blinzt, weil er, wie er zu ſagen pflegt, an der Wimper kränkelt, oder wenn er ſich mit den tauſend Liebkoſungen und Geſten an mich anſchmiegt, da dreht ſich der Magen in mir um und ich hab’ ihn wegen dieſer Freundſchaftsbezeugungen mehr als Ein- mal wie einen Flederwiſch an die Wand fliegen laſſen.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0173"n="487"/>
von mir wolltet mitzählen laſſen.“„Ah!“ rief man<lb/>
lachend, „die Figur! die Figur! er meint die Figur!“</p><lb/><p>„Allerdings,“ fuhr der Andere fort, „ich meine<lb/>
das ſpindeldünne bleichſüchtige Weſen, das mir von<lb/>
Hamburg an, ungebetenerweiſe und ohne vorausge-<lb/>
gangene genauere Bekanntſchaft hieher folgte, um, wie<lb/>
er ſagte, in meinen Armen den Tod ſeines unvergeß-<lb/>
lichen Freundes und Bruders, des Buchdruckers <hirendition="#g">Mur-<lb/>ſchel</hi>, zu beweinen. Nun wißt ihr, ich bewohne ſeit<lb/>
einiger Zeit mit dieſem zärtlichen Barbier, <hirendition="#g">Sigismund<lb/>
Wispeln</hi>, Eine Stube, er ißt mit mir und ich theile<lb/>
aus chriſtlicher Milde Alles mit ihm, bis auf das<lb/>
Bett, das ich mir aus billigen Gründen allein vor-<lb/>
behalten. Man hat aber keinen Begriff, was ich für<lb/>
ein Leiden mit dieſer Geſellſchaft habe. Schon ſein<lb/>
bloßer Anblick kann einen alteriren. Eine Menge<lb/>
kurioſer Angewohnheiten, eine unermüdliche Sorgfalt,<lb/>ſeine Milbenhaut zu reiben und zu hätſcheln, ſeine<lb/>
röthlichen Haare mit allerlei gemeinem Fette zu be-<lb/>
träufeln, ſeine Nägel bis auf’s Blut zu ſchneiden und<lb/>
zu ſchaben — ich bekomme Gichter beim bloßen Ge-<lb/>
danken! und wenn er nun die Lippen ſo ſüß zuſpizt<lb/>
und mit den Augen blinzt, weil er, wie er zu ſagen<lb/>
pflegt, an der Wimper kränkelt, oder wenn er ſich mit<lb/>
den tauſend Liebkoſungen und Geſten an mich anſchmiegt,<lb/>
da dreht ſich der Magen in mir um und ich hab’ ihn<lb/>
wegen dieſer Freundſchaftsbezeugungen mehr als Ein-<lb/>
mal wie einen Flederwiſch an die Wand fliegen laſſen.<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[487/0173]
von mir wolltet mitzählen laſſen.“ „Ah!“ rief man
lachend, „die Figur! die Figur! er meint die Figur!“
„Allerdings,“ fuhr der Andere fort, „ich meine
das ſpindeldünne bleichſüchtige Weſen, das mir von
Hamburg an, ungebetenerweiſe und ohne vorausge-
gangene genauere Bekanntſchaft hieher folgte, um, wie
er ſagte, in meinen Armen den Tod ſeines unvergeß-
lichen Freundes und Bruders, des Buchdruckers Mur-
ſchel, zu beweinen. Nun wißt ihr, ich bewohne ſeit
einiger Zeit mit dieſem zärtlichen Barbier, Sigismund
Wispeln, Eine Stube, er ißt mit mir und ich theile
aus chriſtlicher Milde Alles mit ihm, bis auf das
Bett, das ich mir aus billigen Gründen allein vor-
behalten. Man hat aber keinen Begriff, was ich für
ein Leiden mit dieſer Geſellſchaft habe. Schon ſein
bloßer Anblick kann einen alteriren. Eine Menge
kurioſer Angewohnheiten, eine unermüdliche Sorgfalt,
ſeine Milbenhaut zu reiben und zu hätſcheln, ſeine
röthlichen Haare mit allerlei gemeinem Fette zu be-
träufeln, ſeine Nägel bis auf’s Blut zu ſchneiden und
zu ſchaben — ich bekomme Gichter beim bloßen Ge-
danken! und wenn er nun die Lippen ſo ſüß zuſpizt
und mit den Augen blinzt, weil er, wie er zu ſagen
pflegt, an der Wimper kränkelt, oder wenn er ſich mit
den tauſend Liebkoſungen und Geſten an mich anſchmiegt,
da dreht ſich der Magen in mir um und ich hab’ ihn
wegen dieſer Freundſchaftsbezeugungen mehr als Ein-
mal wie einen Flederwiſch an die Wand fliegen laſſen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 487. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/173>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.