gestand, sich Anfangs nicht sogleich zertheilen wollten. Diesen Vortheil aber gewährte Nannettens Gegen- wart vollkommen. Sowohl im Gefährte, wo sie sich mit Konrad, dem Kutscher, einem treuherzigen Bur- schen aus Neuburg, gleich auf den lustigsten Fuß zu setzen wußte, als in den Gasthöfen, wo sie die Eigen- heiten der Fremden genau zu beobachten, auf alle Ge- spräche zu horchen und die Merkwürdigkeiten einer Stadt immer zuerst auszukundschaften pflegte, -- überall zeigte sie eine rasche und praktische Beweglichkeit, und wo man hinkam, erwarb sie sich durch ein ansprechen- des Aeußere, durch ihren naiven und schnellen Ver- stand die charmantesten Lobsprüche. -- Das Wetter, das in den ersten Tagen meist Regen brachte, hatte sich gefaßt und versprach beständig zu bleiben. So langte man eines Abends ganz wohlgemuth in einer ehemaligen Reichsstadt an, wo übernachtet werden mußte. Unsere Gesellschaft war in dem besten Gast- hofe untergebracht, und während diese sich auf ihre Weise gütlich thut, möge der Leser es nicht verschmä- hen, auf kurze Zeit an einer entfernten Trinkgesellschaft aus der niedern Volksklasse Theil zu nehmen. Kon- rad hofft seine Rechnung dort besser als an jedem andern Orte zu finden; man hat ihn auf ein großes Brauerei-Gebäude, den Kapuzinerkeller, neugierig ge- macht und er wird uns den Weg dahin zeigen.
Es lag der genannte Keller in einem ziemlich düstern und schmutzigen Winkel der Altstadt und bil-
geſtand, ſich Anfangs nicht ſogleich zertheilen wollten. Dieſen Vortheil aber gewährte Nannettens Gegen- wart vollkommen. Sowohl im Gefährte, wo ſie ſich mit Konrad, dem Kutſcher, einem treuherzigen Bur- ſchen aus Neuburg, gleich auf den luſtigſten Fuß zu ſetzen wußte, als in den Gaſthöfen, wo ſie die Eigen- heiten der Fremden genau zu beobachten, auf alle Ge- ſpräche zu horchen und die Merkwürdigkeiten einer Stadt immer zuerſt auszukundſchaften pflegte, — überall zeigte ſie eine raſche und praktiſche Beweglichkeit, und wo man hinkam, erwarb ſie ſich durch ein anſprechen- des Aeußere, durch ihren naiven und ſchnellen Ver- ſtand die charmanteſten Lobſprüche. — Das Wetter, das in den erſten Tagen meiſt Regen brachte, hatte ſich gefaßt und verſprach beſtändig zu bleiben. So langte man eines Abends ganz wohlgemuth in einer ehemaligen Reichsſtadt an, wo übernachtet werden mußte. Unſere Geſellſchaft war in dem beſten Gaſt- hofe untergebracht, und während dieſe ſich auf ihre Weiſe gütlich thut, möge der Leſer es nicht verſchmä- hen, auf kurze Zeit an einer entfernten Trinkgeſellſchaft aus der niedern Volksklaſſe Theil zu nehmen. Kon- rad hofft ſeine Rechnung dort beſſer als an jedem andern Orte zu finden; man hat ihn auf ein großes Brauerei-Gebäude, den Kapuzinerkeller, neugierig ge- macht und er wird uns den Weg dahin zeigen.
Es lag der genannte Keller in einem ziemlich düſtern und ſchmutzigen Winkel der Altſtadt und bil-
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geſtand, ſich Anfangs nicht ſogleich zertheilen wollten.
Dieſen Vortheil aber gewährte Nannettens Gegen-
wart vollkommen. Sowohl im Gefährte, wo ſie ſich
mit Konrad, dem Kutſcher, einem treuherzigen Bur-
ſchen aus Neuburg, gleich auf den luſtigſten Fuß zu
ſetzen wußte, als in den Gaſthöfen, wo ſie die Eigen-
heiten der Fremden genau zu beobachten, auf alle Ge-
ſpräche zu horchen und die Merkwürdigkeiten einer Stadt
immer zuerſt auszukundſchaften pflegte, — überall
zeigte ſie eine raſche und praktiſche Beweglichkeit, und
wo man hinkam, erwarb ſie ſich durch ein anſprechen-
des Aeußere, durch ihren naiven und ſchnellen Ver-
ſtand die charmanteſten Lobſprüche. — Das Wetter,
das in den erſten Tagen meiſt Regen brachte, hatte
ſich gefaßt und verſprach beſtändig zu bleiben. So
langte man eines Abends ganz wohlgemuth in einer
ehemaligen Reichsſtadt an, wo übernachtet werden
mußte. Unſere Geſellſchaft war in dem beſten Gaſt-
hofe untergebracht, und während dieſe ſich auf ihre
Weiſe gütlich thut, möge der Leſer es nicht verſchmä-
hen, auf kurze Zeit an einer entfernten Trinkgeſellſchaft
aus der niedern Volksklaſſe Theil zu nehmen. Kon-
rad hofft ſeine Rechnung dort beſſer als an jedem
andern Orte zu finden; man hat ihn auf ein großes
Brauerei-Gebäude, den Kapuzinerkeller, neugierig ge-
macht und er wird uns den Weg dahin zeigen.
Es lag der genannte Keller in einem ziemlich
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 482. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/168>, abgerufen am 25.11.2024.
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