Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

Spielmanns so lebhaft interessiren und noch heute
sich emsig um die Vervollständigung seiner Geschichte
bekümmert haben. Ey, eben recht, daß mir das bei-
fällt; Sie sollen auch jezt zuerst die Ehre haben und
die Ergebnisse Ihrer staubigen Forschungen uns in
einem lebendigen und heiteren Gemälde vorlegen, ich
aber will etwa nachhelfen, wo Sie eine Lücke lassen
sollten." Der Oberst ließ sich nicht lang bitten und
die Gesellschaft merkte wacker auf.

"In dieser Gegend soll vor Alters gar häufig
ein Näuber, Marmetin, sein Wesen getrieben ha-
ben, den Jedermann unter dem Namen Jung Vol-
ker
kannte. Räuber sag' ich? Behüte Gott, daß
ich ihm diesen abscheulichen Namen gebe, dem Lieb-
linge des Glücks, dem Lustigsten aller Waghälse, Aben-
teurer und Schelme, die sich jemals von fremder Leute
Hab' und Gut gefüttert haben. Wahr ist's, er stand
an der Spitze von etwa siebenzehn bis zwanzig Kerls,
die der Schrecken aller reichen Knicker waren. Aber,
beim Himmel, die pedantische Göttin der Gerechtig-
keit selbst mußte, dünkt mich, mit wohlgefälligem
Lächeln zusehn, wie das verrufenste Gewerbe unter
dieses Volkers Händen einen Schein von Liebens-
würdigkeit gewann. Der Prasser, der übermüthige
Edelmann und ehrlose Vasallen waren nicht sicher
vor meinem Helden und seiner verwegenen Bande,
aber dem Bauern füllte er Küchen und Ställe. Voll
körperlicher Anmuth, tapfer, besonnen, leutselig und

Spielmanns ſo lebhaft intereſſiren und noch heute
ſich emſig um die Vervollſtändigung ſeiner Geſchichte
bekümmert haben. Ey, eben recht, daß mir das bei-
fällt; Sie ſollen auch jezt zuerſt die Ehre haben und
die Ergebniſſe Ihrer ſtaubigen Forſchungen uns in
einem lebendigen und heiteren Gemälde vorlegen, ich
aber will etwa nachhelfen, wo Sie eine Lücke laſſen
ſollten.“ Der Oberſt ließ ſich nicht lang bitten und
die Geſellſchaft merkte wacker auf.

„In dieſer Gegend ſoll vor Alters gar häufig
ein Näuber, Marmetin, ſein Weſen getrieben ha-
ben, den Jedermann unter dem Namen Jung Vol-
ker
kannte. Räuber ſag’ ich? Behüte Gott, daß
ich ihm dieſen abſcheulichen Namen gebe, dem Lieb-
linge des Glücks, dem Luſtigſten aller Waghälſe, Aben-
teurer und Schelme, die ſich jemals von fremder Leute
Hab’ und Gut gefüttert haben. Wahr iſt’s, er ſtand
an der Spitze von etwa ſiebenzehn bis zwanzig Kerls,
die der Schrecken aller reichen Knicker waren. Aber,
beim Himmel, die pedantiſche Göttin der Gerechtig-
keit ſelbſt mußte, dünkt mich, mit wohlgefälligem
Lächeln zuſehn, wie das verrufenſte Gewerbe unter
dieſes Volkers Händen einen Schein von Liebens-
würdigkeit gewann. Der Praſſer, der übermüthige
Edelmann und ehrloſe Vaſallen waren nicht ſicher
vor meinem Helden und ſeiner verwegenen Bande,
aber dem Bauern füllte er Küchen und Ställe. Voll
körperlicher Anmuth, tapfer, beſonnen, leutſelig und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0132" n="446"/>
Spielmanns &#x017F;o lebhaft intere&#x017F;&#x017F;iren und noch heute<lb/>
&#x017F;ich em&#x017F;ig um die Vervoll&#x017F;tändigung &#x017F;einer Ge&#x017F;chichte<lb/>
bekümmert haben. Ey, eben recht, daß mir das bei-<lb/>
fällt; Sie &#x017F;ollen auch jezt zuer&#x017F;t die Ehre haben und<lb/>
die Ergebni&#x017F;&#x017F;e Ihrer &#x017F;taubigen For&#x017F;chungen uns in<lb/>
einem lebendigen und heiteren Gemälde vorlegen, ich<lb/>
aber will etwa nachhelfen, wo Sie eine Lücke la&#x017F;&#x017F;en<lb/>
&#x017F;ollten.&#x201C; Der Ober&#x017F;t ließ &#x017F;ich nicht lang bitten und<lb/>
die Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft merkte wacker auf.</p><lb/>
          <p>&#x201E;In die&#x017F;er Gegend &#x017F;oll vor Alters gar häufig<lb/>
ein Näuber, <hi rendition="#g">Marmetin</hi>, &#x017F;ein We&#x017F;en getrieben ha-<lb/>
ben, den Jedermann unter dem Namen <hi rendition="#g">Jung Vol-<lb/>
ker</hi> kannte. Räuber &#x017F;ag&#x2019; ich? Behüte Gott, daß<lb/>
ich ihm die&#x017F;en ab&#x017F;cheulichen Namen gebe, dem Lieb-<lb/>
linge des Glücks, dem Lu&#x017F;tig&#x017F;ten aller Waghäl&#x017F;e, Aben-<lb/>
teurer und Schelme, die &#x017F;ich jemals von fremder Leute<lb/>
Hab&#x2019; und Gut gefüttert haben. Wahr i&#x017F;t&#x2019;s, er &#x017F;tand<lb/>
an der Spitze von etwa &#x017F;iebenzehn bis zwanzig Kerls,<lb/>
die der Schrecken aller reichen Knicker waren. Aber,<lb/>
beim Himmel, die pedanti&#x017F;che Göttin der Gerechtig-<lb/>
keit &#x017F;elb&#x017F;t mußte, dünkt mich, mit wohlgefälligem<lb/>
Lächeln zu&#x017F;ehn, wie das verrufen&#x017F;te Gewerbe unter<lb/>
die&#x017F;es <hi rendition="#g">Volkers</hi> Händen einen Schein von Liebens-<lb/>
würdigkeit gewann. Der Pra&#x017F;&#x017F;er, der übermüthige<lb/>
Edelmann und ehrlo&#x017F;e Va&#x017F;allen waren nicht &#x017F;icher<lb/>
vor meinem Helden und &#x017F;einer verwegenen Bande,<lb/>
aber dem Bauern füllte er Küchen und Ställe. Voll<lb/>
körperlicher Anmuth, tapfer, be&#x017F;onnen, leut&#x017F;elig und<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[446/0132] Spielmanns ſo lebhaft intereſſiren und noch heute ſich emſig um die Vervollſtändigung ſeiner Geſchichte bekümmert haben. Ey, eben recht, daß mir das bei- fällt; Sie ſollen auch jezt zuerſt die Ehre haben und die Ergebniſſe Ihrer ſtaubigen Forſchungen uns in einem lebendigen und heiteren Gemälde vorlegen, ich aber will etwa nachhelfen, wo Sie eine Lücke laſſen ſollten.“ Der Oberſt ließ ſich nicht lang bitten und die Geſellſchaft merkte wacker auf. „In dieſer Gegend ſoll vor Alters gar häufig ein Näuber, Marmetin, ſein Weſen getrieben ha- ben, den Jedermann unter dem Namen Jung Vol- ker kannte. Räuber ſag’ ich? Behüte Gott, daß ich ihm dieſen abſcheulichen Namen gebe, dem Lieb- linge des Glücks, dem Luſtigſten aller Waghälſe, Aben- teurer und Schelme, die ſich jemals von fremder Leute Hab’ und Gut gefüttert haben. Wahr iſt’s, er ſtand an der Spitze von etwa ſiebenzehn bis zwanzig Kerls, die der Schrecken aller reichen Knicker waren. Aber, beim Himmel, die pedantiſche Göttin der Gerechtig- keit ſelbſt mußte, dünkt mich, mit wohlgefälligem Lächeln zuſehn, wie das verrufenſte Gewerbe unter dieſes Volkers Händen einen Schein von Liebens- würdigkeit gewann. Der Praſſer, der übermüthige Edelmann und ehrloſe Vaſallen waren nicht ſicher vor meinem Helden und ſeiner verwegenen Bande, aber dem Bauern füllte er Küchen und Ställe. Voll körperlicher Anmuth, tapfer, beſonnen, leutſelig und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/132
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 446. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/132>, abgerufen am 27.04.2024.