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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

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Freien unter einem herbstlichen Baume, gerne einer
Beschaulichkeit hin, die man fromm hätte nennen kön-
nen, wenn eine innige Richtung der Seele auf die
Natur und die nächste Außenwelt in ihren kleinsten
Erscheinungen diese Benennung verdiente; denn daß
ausdrücklich religiöse Gefühle dabei wirkten, wüßte
ich nicht, ausgeschlossen waren sie auf keinen Fall.
Ich unterhielt zu Zeiten eine unbestimmte Wehmuth
bei mir, welche der Freude verwandt ist, und deren
eigenthümlichen Kreis, Geruchskreis möcht' ich sagen,
ich, wie den Ort, woran sie sich knüpfte, willkürlich
betreten oder lassen konnte. Mit welchem unaus-
sprechlichen Vergnügen konnte ich, wenn die Andern
im Hofe sich tummelten, oben an einer Dachlücke
sitzen, mein Vesperbrod verzehren, eine neue Zeichnung
ohne Musterblatt vornehmen! Dort nämlich ist ein
Verschlag von Brettern, schmal und niedrig, wo mir
die Sonne immer einen besondern Glanz, überhaupt
ein ganz ander Wesen zu haben schien, auch konnte
ich völlig Nacht machen, und (dieß war die höchste
Lust), während außen heller Tag, eine Kerze anzün-
den, die ich mir heimlich zu verschaffen und wohl zu
verstecken wußte." "Herr Gott, du namenlose Güte!"
rief der Förster aus, "hätt' ich und meine selige Frau
damals gewußt, was für ein gefährlich Feuerspiel" --
"So verging eine Stunde," fuhr Nolten fort, der un-
gern unterbrochen war, "bis mich doch auch die Ge-
sellschaft reizte, da ich denn ein Räuberfangspiel, das

Freien unter einem herbſtlichen Baume, gerne einer
Beſchaulichkeit hin, die man fromm hätte nennen kön-
nen, wenn eine innige Richtung der Seele auf die
Natur und die nächſte Außenwelt in ihren kleinſten
Erſcheinungen dieſe Benennung verdiente; denn daß
ausdrücklich religiöſe Gefühle dabei wirkten, wüßte
ich nicht, ausgeſchloſſen waren ſie auf keinen Fall.
Ich unterhielt zu Zeiten eine unbeſtimmte Wehmuth
bei mir, welche der Freude verwandt iſt, und deren
eigenthümlichen Kreis, Geruchskreis möcht’ ich ſagen,
ich, wie den Ort, woran ſie ſich knüpfte, willkürlich
betreten oder laſſen konnte. Mit welchem unaus-
ſprechlichen Vergnügen konnte ich, wenn die Andern
im Hofe ſich tummelten, oben an einer Dachlücke
ſitzen, mein Veſperbrod verzehren, eine neue Zeichnung
ohne Muſterblatt vornehmen! Dort nämlich iſt ein
Verſchlag von Brettern, ſchmal und niedrig, wo mir
die Sonne immer einen beſondern Glanz, überhaupt
ein ganz ander Weſen zu haben ſchien, auch konnte
ich völlig Nacht machen, und (dieß war die höchſte
Luſt), während außen heller Tag, eine Kerze anzün-
den, die ich mir heimlich zu verſchaffen und wohl zu
verſtecken wußte.“ „Herr Gott, du namenloſe Güte!“
rief der Förſter aus, „hätt’ ich und meine ſelige Frau
damals gewußt, was für ein gefährlich Feuerſpiel“ —
„So verging eine Stunde,“ fuhr Nolten fort, der un-
gern unterbrochen war, „bis mich doch auch die Ge-
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[418/0104] Freien unter einem herbſtlichen Baume, gerne einer Beſchaulichkeit hin, die man fromm hätte nennen kön- nen, wenn eine innige Richtung der Seele auf die Natur und die nächſte Außenwelt in ihren kleinſten Erſcheinungen dieſe Benennung verdiente; denn daß ausdrücklich religiöſe Gefühle dabei wirkten, wüßte ich nicht, ausgeſchloſſen waren ſie auf keinen Fall. Ich unterhielt zu Zeiten eine unbeſtimmte Wehmuth bei mir, welche der Freude verwandt iſt, und deren eigenthümlichen Kreis, Geruchskreis möcht’ ich ſagen, ich, wie den Ort, woran ſie ſich knüpfte, willkürlich betreten oder laſſen konnte. Mit welchem unaus- ſprechlichen Vergnügen konnte ich, wenn die Andern im Hofe ſich tummelten, oben an einer Dachlücke ſitzen, mein Veſperbrod verzehren, eine neue Zeichnung ohne Muſterblatt vornehmen! Dort nämlich iſt ein Verſchlag von Brettern, ſchmal und niedrig, wo mir die Sonne immer einen beſondern Glanz, überhaupt ein ganz ander Weſen zu haben ſchien, auch konnte ich völlig Nacht machen, und (dieß war die höchſte Luſt), während außen heller Tag, eine Kerze anzün- den, die ich mir heimlich zu verſchaffen und wohl zu verſtecken wußte.“ „Herr Gott, du namenloſe Güte!“ rief der Förſter aus, „hätt’ ich und meine ſelige Frau damals gewußt, was für ein gefährlich Feuerſpiel“ — „So verging eine Stunde,“ fuhr Nolten fort, der un- gern unterbrochen war, „bis mich doch auch die Ge- ſellſchaft reizte, da ich denn ein Räuberfangſpiel, das

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 418. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/104>, abgerufen am 23.11.2024.