müthe der Armen, und die eingebildete Nothwendig- keit fing an, den Widerwillen gegen ihn zu überbieten.
Die Art jedoch, wie sich Agnes äußerlich be- trug, ließ in der That nicht auf eine so bedeutende Störung ihres Innern schließen, und der Vater glaubte nicht an eigentlichen Wahnsinn. Der sonderbare Hang zur Lustigkeit verlor sich ganz und machte einer gesez- ten Ruhe, einem liebenswürdigen Gleichmuthe Platz, der dem Gespräche so wie dem ordentlichen Gange der hänslichen Geschäfte gleich günstig war, man be- merkte nichts Verkehrtes in ihrem Thun und Reden, nichts Schwärmerisches in Miene und Geberde; aber an Theobald wollte sie nicht erinnert seyn, selbst Ottos Namen berührte sie kaum, so lange er abwe- send war, nur wenn er kam, sah man sie ihre ganze Aufmerksamkeit, alle Anmuth und Freundlichkeit an ihn verschwenden.
Wenn nun der Alte, durch ein so unerhörtes Benehmen zur Verzweiflung gebracht, sie zur Rede stellte, sie bald mit Sanftmuth, bald mit drohenden Vorwürfen an ihre Pflicht, an ihr Gewissen mahnte, so zeigte sie entweder eine stumme Gelassenheit, oder sie lief weinend aus dem Zimmer und schloß sich ein.
Der Vater hatte indessen auf die Entfernung des jungen Menschen gedacht und ihm bereits einige leise Winke gegeben, die aber bis jezt ganz ohne Wirkung blieben; er war in der peinlichsten Noth, zumal er Ursache hatte, zu befürchten, daß die Reize
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müthe der Armen, und die eingebildete Nothwendig- keit fing an, den Widerwillen gegen ihn zu überbieten.
Die Art jedoch, wie ſich Agnes äußerlich be- trug, ließ in der That nicht auf eine ſo bedeutende Störung ihres Innern ſchließen, und der Vater glaubte nicht an eigentlichen Wahnſinn. Der ſonderbare Hang zur Luſtigkeit verlor ſich ganz und machte einer geſez- ten Ruhe, einem liebenswürdigen Gleichmuthe Platz, der dem Geſpräche ſo wie dem ordentlichen Gange der hänslichen Geſchäfte gleich günſtig war, man be- merkte nichts Verkehrtes in ihrem Thun und Reden, nichts Schwärmeriſches in Miene und Geberde; aber an Theobald wollte ſie nicht erinnert ſeyn, ſelbſt Ottos Namen berührte ſie kaum, ſo lange er abwe- ſend war, nur wenn er kam, ſah man ſie ihre ganze Aufmerkſamkeit, alle Anmuth und Freundlichkeit an ihn verſchwenden.
Wenn nun der Alte, durch ein ſo unerhörtes Benehmen zur Verzweiflung gebracht, ſie zur Rede ſtellte, ſie bald mit Sanftmuth, bald mit drohenden Vorwürfen an ihre Pflicht, an ihr Gewiſſen mahnte, ſo zeigte ſie entweder eine ſtumme Gelaſſenheit, oder ſie lief weinend aus dem Zimmer und ſchloß ſich ein.
Der Vater hatte indeſſen auf die Entfernung des jungen Menſchen gedacht und ihm bereits einige leiſe Winke gegeben, die aber bis jezt ganz ohne Wirkung blieben; er war in der peinlichſten Noth, zumal er Urſache hatte, zu befürchten, daß die Reize
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müthe der Armen, und die eingebildete Nothwendig-
keit fing an, den Widerwillen gegen ihn zu überbieten.
Die Art jedoch, wie ſich Agnes äußerlich be-
trug, ließ in der That nicht auf eine ſo bedeutende
Störung ihres Innern ſchließen, und der Vater glaubte
nicht an eigentlichen Wahnſinn. Der ſonderbare Hang
zur Luſtigkeit verlor ſich ganz und machte einer geſez-
ten Ruhe, einem liebenswürdigen Gleichmuthe Platz,
der dem Geſpräche ſo wie dem ordentlichen Gange
der hänslichen Geſchäfte gleich günſtig war, man be-
merkte nichts Verkehrtes in ihrem Thun und Reden,
nichts Schwärmeriſches in Miene und Geberde; aber
an Theobald wollte ſie nicht erinnert ſeyn, ſelbſt
Ottos Namen berührte ſie kaum, ſo lange er abwe-
ſend war, nur wenn er kam, ſah man ſie ihre ganze
Aufmerkſamkeit, alle Anmuth und Freundlichkeit an
ihn verſchwenden.
Wenn nun der Alte, durch ein ſo unerhörtes
Benehmen zur Verzweiflung gebracht, ſie zur Rede
ſtellte, ſie bald mit Sanftmuth, bald mit drohenden
Vorwürfen an ihre Pflicht, an ihr Gewiſſen mahnte,
ſo zeigte ſie entweder eine ſtumme Gelaſſenheit, oder
ſie lief weinend aus dem Zimmer und ſchloß ſich ein.
Der Vater hatte indeſſen auf die Entfernung
des jungen Menſchen gedacht und ihm bereits einige
leiſe Winke gegeben, die aber bis jezt ganz ohne
Wirkung blieben; er war in der peinlichſten Noth,
zumal er Urſache hatte, zu befürchten, daß die Reize
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/89>, abgerufen am 27.11.2024.
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