Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

zu erkennen, wovon wir gleich Anfangs ein Beispiel
gegeben.

Die musikalischen Lektionen wurden ausgesezt und
fingen wieder an, weil es der Vater verlangte, der
in solchen Unterhaltungen eine willkommene Zer-
streuung für seine Tochter sah. Diese zeigte nun-
mehr eine sonderbare stille Gleichgültigkeit, ließ mit
sich anfangen, was man wollte, oder ging ihr lebloses
träumerisches Wesen sprungweise in jene zweideutige
Munterkeit über, wovon wir oben gesprochen. Der
Alte sah es gern, wenn sie mit Otto sich lustig
machte, nur stuzte er oft über die Ausgelassenheit, ja
Keckheit seines Mädchens, wenn es nach beendigter
Lektion an ein Spaßen, Lachen und Necken zwischen
den jungen Leuten ging, wenn die Schülerin dem
Lehrmeister blitzschnell in die Locken fuhr und auch
wohl einen lebhaften Kuß auf die Stirne drückte, so
daß Freund Otto selbst etwas verlegen ward und
mit all seiner sonstigen Gewandtheit sich zum ersten
Mal ein wenig linkisch der reizenden Cousine gegen-
über ausnahm. "Bist doch mein lieber Vetter," lachte
sie dann, "was zierst du dich so närrisch? Aber für-
wahr, ich wollte, wir wären Brautleute! mit dir
könnt' ich leben, du bist ganz darnach gemacht, daß
man dich nicht zu viel und nicht zu wenig lieben
kann!"

Diese und ähnliche Reden, so arglos sie auch
hingeworfen waren, klangen dem Alten bedenklich,

zu erkennen, wovon wir gleich Anfangs ein Beiſpiel
gegeben.

Die muſikaliſchen Lektionen wurden ausgeſezt und
fingen wieder an, weil es der Vater verlangte, der
in ſolchen Unterhaltungen eine willkommene Zer-
ſtreuung für ſeine Tochter ſah. Dieſe zeigte nun-
mehr eine ſonderbare ſtille Gleichgültigkeit, ließ mit
ſich anfangen, was man wollte, oder ging ihr lebloſes
träumeriſches Weſen ſprungweiſe in jene zweideutige
Munterkeit über, wovon wir oben geſprochen. Der
Alte ſah es gern, wenn ſie mit Otto ſich luſtig
machte, nur ſtuzte er oft über die Ausgelaſſenheit, ja
Keckheit ſeines Mädchens, wenn es nach beendigter
Lektion an ein Spaßen, Lachen und Necken zwiſchen
den jungen Leuten ging, wenn die Schülerin dem
Lehrmeiſter blitzſchnell in die Locken fuhr und auch
wohl einen lebhaften Kuß auf die Stirne drückte, ſo
daß Freund Otto ſelbſt etwas verlegen ward und
mit all ſeiner ſonſtigen Gewandtheit ſich zum erſten
Mal ein wenig linkiſch der reizenden Couſine gegen-
über ausnahm. „Biſt doch mein lieber Vetter,“ lachte
ſie dann, „was zierſt du dich ſo närriſch? Aber für-
wahr, ich wollte, wir wären Brautleute! mit dir
könnt’ ich leben, du biſt ganz darnach gemacht, daß
man dich nicht zu viel und nicht zu wenig lieben
kann!“

Dieſe und ähnliche Reden, ſo arglos ſie auch
hingeworfen waren, klangen dem Alten bedenklich,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0087" n="79"/>
zu erkennen, wovon wir gleich Anfangs ein Bei&#x017F;piel<lb/>
gegeben.</p><lb/>
          <p>Die mu&#x017F;ikali&#x017F;chen Lektionen wurden ausge&#x017F;ezt und<lb/>
fingen wieder an, weil es der Vater verlangte, der<lb/>
in &#x017F;olchen Unterhaltungen eine willkommene Zer-<lb/>
&#x017F;treuung für &#x017F;eine Tochter &#x017F;ah. Die&#x017F;e zeigte nun-<lb/>
mehr eine &#x017F;onderbare &#x017F;tille Gleichgültigkeit, ließ mit<lb/>
&#x017F;ich anfangen, was man wollte, oder ging ihr leblo&#x017F;es<lb/>
träumeri&#x017F;ches We&#x017F;en &#x017F;prungwei&#x017F;e in jene zweideutige<lb/>
Munterkeit über, wovon wir oben ge&#x017F;prochen. Der<lb/>
Alte &#x017F;ah es gern, wenn &#x017F;ie mit <hi rendition="#g">Otto</hi> &#x017F;ich lu&#x017F;tig<lb/>
machte, nur &#x017F;tuzte er oft über die Ausgela&#x017F;&#x017F;enheit, ja<lb/>
Keckheit &#x017F;eines Mädchens, wenn es nach beendigter<lb/>
Lektion an ein Spaßen, Lachen und Necken zwi&#x017F;chen<lb/>
den jungen Leuten ging, wenn die Schülerin dem<lb/>
Lehrmei&#x017F;ter blitz&#x017F;chnell in die Locken fuhr und auch<lb/>
wohl einen lebhaften Kuß auf die Stirne drückte, &#x017F;o<lb/>
daß Freund <hi rendition="#g">Otto</hi> &#x017F;elb&#x017F;t etwas verlegen ward und<lb/>
mit all &#x017F;einer &#x017F;on&#x017F;tigen Gewandtheit &#x017F;ich zum er&#x017F;ten<lb/>
Mal ein wenig linki&#x017F;ch der reizenden Cou&#x017F;ine gegen-<lb/>
über ausnahm. &#x201E;Bi&#x017F;t doch mein lieber Vetter,&#x201C; lachte<lb/>
&#x017F;ie dann, &#x201E;was zier&#x017F;t du dich &#x017F;o närri&#x017F;ch? Aber für-<lb/>
wahr, ich wollte, wir wären Brautleute! mit dir<lb/>
könnt&#x2019; ich leben, du bi&#x017F;t ganz darnach gemacht, daß<lb/>
man dich nicht zu viel und nicht zu wenig lieben<lb/>
kann!&#x201C;</p><lb/>
          <p>Die&#x017F;e und ähnliche Reden, &#x017F;o arglos &#x017F;ie auch<lb/>
hingeworfen waren, klangen dem Alten bedenklich,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[79/0087] zu erkennen, wovon wir gleich Anfangs ein Beiſpiel gegeben. Die muſikaliſchen Lektionen wurden ausgeſezt und fingen wieder an, weil es der Vater verlangte, der in ſolchen Unterhaltungen eine willkommene Zer- ſtreuung für ſeine Tochter ſah. Dieſe zeigte nun- mehr eine ſonderbare ſtille Gleichgültigkeit, ließ mit ſich anfangen, was man wollte, oder ging ihr lebloſes träumeriſches Weſen ſprungweiſe in jene zweideutige Munterkeit über, wovon wir oben geſprochen. Der Alte ſah es gern, wenn ſie mit Otto ſich luſtig machte, nur ſtuzte er oft über die Ausgelaſſenheit, ja Keckheit ſeines Mädchens, wenn es nach beendigter Lektion an ein Spaßen, Lachen und Necken zwiſchen den jungen Leuten ging, wenn die Schülerin dem Lehrmeiſter blitzſchnell in die Locken fuhr und auch wohl einen lebhaften Kuß auf die Stirne drückte, ſo daß Freund Otto ſelbſt etwas verlegen ward und mit all ſeiner ſonſtigen Gewandtheit ſich zum erſten Mal ein wenig linkiſch der reizenden Couſine gegen- über ausnahm. „Biſt doch mein lieber Vetter,“ lachte ſie dann, „was zierſt du dich ſo närriſch? Aber für- wahr, ich wollte, wir wären Brautleute! mit dir könnt’ ich leben, du biſt ganz darnach gemacht, daß man dich nicht zu viel und nicht zu wenig lieben kann!“ Dieſe und ähnliche Reden, ſo arglos ſie auch hingeworfen waren, klangen dem Alten bedenklich,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/87
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/87>, abgerufen am 27.11.2024.