Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

indessen auch pflichtlich, nur das lezte Billet machte
eine Ausnahme, weil Agnes die Gelegenheit durch
die Freunde ohne Umschweif nützen zu können meinte,
und so war das Papier wirklich zu Anfangs nicht ge-
ringem Schrecken des heimlichen Korrespondenten in
die Hände desjenigen gelangt, für den es am wenigsten
gehörte, und dem sein Inhalt das ganze hübsche Ge-
webe hätte verrathen müssen. Eine geschärfte Instruk-
tion für die Briefstellerin war die einzige Folge dieser
glücklich abgeleiteten Gefahr, aber einen weit wichtigern
Grund, ungesäumt an Agnes, so wie auch an den
Förster, zu schreiben, fand Larkens in der Ungewiß-
heit über die bewußte Ehrensache. Er sezte sich noch
in dieser Stunde nieder, doch mit dem Vorsatze, seine
Sorge nur so gelinde als möglich reden zu lassen, und
seine Erkundigungen ganz im Allgemeinen zu halten,
damit nicht etwa ein Verstoß gegen frühere Verhand-
lungen, die ihm unbekannt waren, zum Vorschein
komme.


Um aber die Stellung Noltens gegen die
Braut ganz anschaulich zu machen, müssen wir
in der Zeit etwas zurückschreiten und Folgendes er-
zählen.

Das Verhältniß der Verlobten stand in der wün-
schenswerthesten Blüthe, als Agnes durch eine heftige
Nervenkrankheit dem Tode nahe gebracht ward. Der
kritische Zeitpunkt ging indessen gegen Erwartung glück-

indeſſen auch pflichtlich, nur das lezte Billet machte
eine Ausnahme, weil Agnes die Gelegenheit durch
die Freunde ohne Umſchweif nützen zu können meinte,
und ſo war das Papier wirklich zu Anfangs nicht ge-
ringem Schrecken des heimlichen Korreſpondenten in
die Hände desjenigen gelangt, für den es am wenigſten
gehörte, und dem ſein Inhalt das ganze hübſche Ge-
webe hätte verrathen müſſen. Eine geſchärfte Inſtruk-
tion für die Briefſtellerin war die einzige Folge dieſer
glücklich abgeleiteten Gefahr, aber einen weit wichtigern
Grund, ungeſäumt an Agnes, ſo wie auch an den
Förſter, zu ſchreiben, fand Larkens in der Ungewiß-
heit über die bewußte Ehrenſache. Er ſezte ſich noch
in dieſer Stunde nieder, doch mit dem Vorſatze, ſeine
Sorge nur ſo gelinde als möglich reden zu laſſen, und
ſeine Erkundigungen ganz im Allgemeinen zu halten,
damit nicht etwa ein Verſtoß gegen frühere Verhand-
lungen, die ihm unbekannt waren, zum Vorſchein
komme.


Um aber die Stellung Noltens gegen die
Braut ganz anſchaulich zu machen, müſſen wir
in der Zeit etwas zurückſchreiten und Folgendes er-
zählen.

Das Verhältniß der Verlobten ſtand in der wün-
ſchenswertheſten Blüthe, als Agnes durch eine heftige
Nervenkrankheit dem Tode nahe gebracht ward. Der
kritiſche Zeitpunkt ging indeſſen gegen Erwartung glück-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0074" n="66"/>
inde&#x017F;&#x017F;en auch pflichtlich, nur das lezte Billet machte<lb/>
eine Ausnahme, weil <hi rendition="#g">Agnes</hi> die Gelegenheit durch<lb/>
die Freunde ohne Um&#x017F;chweif nützen zu können meinte,<lb/>
und &#x017F;o war das Papier wirklich zu Anfangs nicht ge-<lb/>
ringem Schrecken des heimlichen Korre&#x017F;pondenten in<lb/>
die Hände desjenigen gelangt, für den es am wenig&#x017F;ten<lb/>
gehörte, und dem &#x017F;ein Inhalt das ganze hüb&#x017F;che Ge-<lb/>
webe hätte verrathen mü&#x017F;&#x017F;en. Eine ge&#x017F;chärfte In&#x017F;truk-<lb/>
tion für die Brief&#x017F;tellerin war die einzige Folge die&#x017F;er<lb/>
glücklich abgeleiteten Gefahr, aber einen weit wichtigern<lb/>
Grund, unge&#x017F;äumt an <hi rendition="#g">Agnes</hi>, &#x017F;o wie auch an den<lb/>
För&#x017F;ter, zu &#x017F;chreiben, fand <hi rendition="#g">Larkens</hi> in der Ungewiß-<lb/>
heit über die bewußte Ehren&#x017F;ache. Er &#x017F;ezte &#x017F;ich noch<lb/>
in die&#x017F;er Stunde nieder, doch mit dem Vor&#x017F;atze, &#x017F;eine<lb/>
Sorge nur &#x017F;o gelinde als möglich reden zu la&#x017F;&#x017F;en, und<lb/>
&#x017F;eine Erkundigungen ganz im Allgemeinen zu halten,<lb/>
damit nicht etwa ein Ver&#x017F;toß gegen frühere Verhand-<lb/>
lungen, die ihm unbekannt waren, zum Vor&#x017F;chein<lb/>
komme.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <p>Um aber die Stellung <hi rendition="#g">Noltens</hi> gegen die<lb/>
Braut ganz an&#x017F;chaulich zu machen, mü&#x017F;&#x017F;en wir<lb/>
in der Zeit etwas zurück&#x017F;chreiten und Folgendes er-<lb/>
zählen.</p><lb/>
          <p>Das Verhältniß der Verlobten &#x017F;tand in der wün-<lb/>
&#x017F;chenswerthe&#x017F;ten Blüthe, als <hi rendition="#g">Agnes</hi> durch eine heftige<lb/>
Nervenkrankheit dem Tode nahe gebracht ward. Der<lb/>
kriti&#x017F;che Zeitpunkt ging inde&#x017F;&#x017F;en gegen Erwartung glück-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[66/0074] indeſſen auch pflichtlich, nur das lezte Billet machte eine Ausnahme, weil Agnes die Gelegenheit durch die Freunde ohne Umſchweif nützen zu können meinte, und ſo war das Papier wirklich zu Anfangs nicht ge- ringem Schrecken des heimlichen Korreſpondenten in die Hände desjenigen gelangt, für den es am wenigſten gehörte, und dem ſein Inhalt das ganze hübſche Ge- webe hätte verrathen müſſen. Eine geſchärfte Inſtruk- tion für die Briefſtellerin war die einzige Folge dieſer glücklich abgeleiteten Gefahr, aber einen weit wichtigern Grund, ungeſäumt an Agnes, ſo wie auch an den Förſter, zu ſchreiben, fand Larkens in der Ungewiß- heit über die bewußte Ehrenſache. Er ſezte ſich noch in dieſer Stunde nieder, doch mit dem Vorſatze, ſeine Sorge nur ſo gelinde als möglich reden zu laſſen, und ſeine Erkundigungen ganz im Allgemeinen zu halten, damit nicht etwa ein Verſtoß gegen frühere Verhand- lungen, die ihm unbekannt waren, zum Vorſchein komme. Um aber die Stellung Noltens gegen die Braut ganz anſchaulich zu machen, müſſen wir in der Zeit etwas zurückſchreiten und Folgendes er- zählen. Das Verhältniß der Verlobten ſtand in der wün- ſchenswertheſten Blüthe, als Agnes durch eine heftige Nervenkrankheit dem Tode nahe gebracht ward. Der kritiſche Zeitpunkt ging indeſſen gegen Erwartung glück-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/74
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/74>, abgerufen am 26.11.2024.