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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

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die Kunst, ehrlichen Leuten ihre Züge abzustehlen, endlich
einmal für einen guten Zweck nütze. Du liebes betro-
genes Kind! und hast du denn niemals bei'm innigen
vertieften Anschaun meiner Lügenschrift etwas Unheim-
liches verspürt, wenn du das Blatt mit dankbarem
Entzücken an deine Lippen drücktest? hat nicht der En-
gel deiner Liebe dir zugeflüstert: halt, eine fremde
Hand schiebt der des Geliebten sich unter? Nein doch!
dein Schutzengel wird sich ja eher mit mir verschwören,
als daß er dich mit der unzeitigen Wahrheit betrüben
sollte, die dir zugleich den Geliebten raubt! Immerhin
also laß mich gewähren. Und hat es mir zeither an
Vorwänden nicht gefehlt, dich über das immer verscho-
bene Wiedersehn deines Theobalds und die lang-
entbehrte Umarmung zu trösten, so wird es mir, denk
ich, noch gelingen, dir ihn bald als einen völlig Neuen
entgegenzuführen, und du wirst nicht einmal wissen,
daß es ein strafwürdiger, aber bekehrter Flüchtling ist,
der zu deinen Füßen weint."

Dieß war so ziemlich das bald leise, bald laute
Selbstgespräch Larkens. Judem wir es wiederzugeben
suchten, weihten wir den Leser in das Geheimniß ein,
das ihm gegenwärtig vor Allem am Herzen lag. Es
versteht sich von selbst, daß er gleich bei'm Beginn sei-
nes wunderlichen Briefwechsels mit Agnes alle Vor-
sicht gebrauchte und jene namentlich unter irgend einem
Vorwand aufforderte, ihre Briefe immer unter der
Larkens'schen Adresse laufen zu lassen. Dieß geschah

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die Kunſt, ehrlichen Leuten ihre Züge abzuſtehlen, endlich
einmal für einen guten Zweck nütze. Du liebes betro-
genes Kind! und haſt du denn niemals bei’m innigen
vertieften Anſchaun meiner Lügenſchrift etwas Unheim-
liches verſpürt, wenn du das Blatt mit dankbarem
Entzücken an deine Lippen drückteſt? hat nicht der En-
gel deiner Liebe dir zugeflüſtert: halt, eine fremde
Hand ſchiebt der des Geliebten ſich unter? Nein doch!
dein Schutzengel wird ſich ja eher mit mir verſchwören,
als daß er dich mit der unzeitigen Wahrheit betrüben
ſollte, die dir zugleich den Geliebten raubt! Immerhin
alſo laß mich gewähren. Und hat es mir zeither an
Vorwänden nicht gefehlt, dich über das immer verſcho-
bene Wiederſehn deines Theobalds und die lang-
entbehrte Umarmung zu tröſten, ſo wird es mir, denk
ich, noch gelingen, dir ihn bald als einen völlig Neuen
entgegenzuführen, und du wirſt nicht einmal wiſſen,
daß es ein ſtrafwürdiger, aber bekehrter Flüchtling iſt,
der zu deinen Füßen weint.“

Dieß war ſo ziemlich das bald leiſe, bald laute
Selbſtgeſpräch Larkens. Judem wir es wiederzugeben
ſuchten, weihten wir den Leſer in das Geheimniß ein,
das ihm gegenwärtig vor Allem am Herzen lag. Es
verſteht ſich von ſelbſt, daß er gleich bei’m Beginn ſei-
nes wunderlichen Briefwechſels mit Agnes alle Vor-
ſicht gebrauchte und jene namentlich unter irgend einem
Vorwand aufforderte, ihre Briefe immer unter der
Larkens’ſchen Adreſſe laufen zu laſſen. Dieß geſchah

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[65/0073] die Kunſt, ehrlichen Leuten ihre Züge abzuſtehlen, endlich einmal für einen guten Zweck nütze. Du liebes betro- genes Kind! und haſt du denn niemals bei’m innigen vertieften Anſchaun meiner Lügenſchrift etwas Unheim- liches verſpürt, wenn du das Blatt mit dankbarem Entzücken an deine Lippen drückteſt? hat nicht der En- gel deiner Liebe dir zugeflüſtert: halt, eine fremde Hand ſchiebt der des Geliebten ſich unter? Nein doch! dein Schutzengel wird ſich ja eher mit mir verſchwören, als daß er dich mit der unzeitigen Wahrheit betrüben ſollte, die dir zugleich den Geliebten raubt! Immerhin alſo laß mich gewähren. Und hat es mir zeither an Vorwänden nicht gefehlt, dich über das immer verſcho- bene Wiederſehn deines Theobalds und die lang- entbehrte Umarmung zu tröſten, ſo wird es mir, denk ich, noch gelingen, dir ihn bald als einen völlig Neuen entgegenzuführen, und du wirſt nicht einmal wiſſen, daß es ein ſtrafwürdiger, aber bekehrter Flüchtling iſt, der zu deinen Füßen weint.“ Dieß war ſo ziemlich das bald leiſe, bald laute Selbſtgeſpräch Larkens. Judem wir es wiederzugeben ſuchten, weihten wir den Leſer in das Geheimniß ein, das ihm gegenwärtig vor Allem am Herzen lag. Es verſteht ſich von ſelbſt, daß er gleich bei’m Beginn ſei- nes wunderlichen Briefwechſels mit Agnes alle Vor- ſicht gebrauchte und jene namentlich unter irgend einem Vorwand aufforderte, ihre Briefe immer unter der Larkens’ſchen Adreſſe laufen zu laſſen. Dieß geſchah 5

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/73>, abgerufen am 26.11.2024.