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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

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wieder daneben geschossen; ich lasse mich rädern, das
ist's. -- Hm! freilich, hätt' ich nur ein einzig Mal
das Mädel mit diesen meinen Augen gesehen! aber
so, was bürgt mir für sie? Man hat Beispiele, daß
so ein Engelchen auch einmal einen schlechten Streich
macht, oder, was bei ihnen gerade so viel ist, einen
dummen. Nein, zum Henker, ich kann's wieder nicht
denken! Sind mir ihre Briefe nicht Zeugniß genug?
So schreibt doch wahrlich keine Galgenfeder! Und ge-
sezt, sie hätt' einmal ein paar Tage einen Wurm im
Kopf gehabt und ein bissel nebenaus geschielt, etwas
Gift mag so was immer ansetzen bei'm Liebhaber,
doch im Ganzen was thut's? Ein verdammter Egois-
mus, daß wir Männer uns Alles lieber verzeihen,
als so einem lieben Närrchen; eben als hätten wir
allein das Privilegium, uns zuweilen vom Leibhafti-
gen den Pelz ein wenig streicheln zu lassen, ohne ihn
just zu verbrennen. Wetter! diese frommen Hexchen
haben so gut Fleisch und Blut wie unser einer, und
der nächste Blick auf die Person des Alleinzigen wirft
den Hundertstels-Gedanken von Untreue und das ge-
wagteste Luftschloß wieder über'n Haufen; dann gibt
es nichts pikanter Wollüstiges für so eine süße Krabbe,
als die Thränchen, womit sie gleich drauf die Ver-
irrung ihrer Phantasie am bärtigen Halse des Lieb-
sten unter tausend Küssen stillschweigend abbüßet.
Aber auch nicht ein[ - 2 Zeichen fehlen], dieser leichten Seitensprünge
halt' ich Agnesen fä[h]ig; wenigstens wär' mir leid

wieder daneben geſchoſſen; ich laſſe mich rädern, das
iſt’s. — Hm! freilich, hätt’ ich nur ein einzig Mal
das Mädel mit dieſen meinen Augen geſehen! aber
ſo, was bürgt mir für ſie? Man hat Beiſpiele, daß
ſo ein Engelchen auch einmal einen ſchlechten Streich
macht, oder, was bei ihnen gerade ſo viel iſt, einen
dummen. Nein, zum Henker, ich kann’s wieder nicht
denken! Sind mir ihre Briefe nicht Zeugniß genug?
So ſchreibt doch wahrlich keine Galgenfeder! Und ge-
ſezt, ſie hätt’ einmal ein paar Tage einen Wurm im
Kopf gehabt und ein biſſel nebenaus geſchielt, etwas
Gift mag ſo was immer anſetzen bei’m Liebhaber,
doch im Ganzen was thut’s? Ein verdammter Egois-
mus, daß wir Männer uns Alles lieber verzeihen,
als ſo einem lieben Närrchen; eben als hätten wir
allein das Privilegium, uns zuweilen vom Leibhafti-
gen den Pelz ein wenig ſtreicheln zu laſſen, ohne ihn
juſt zu verbrennen. Wetter! dieſe frommen Hexchen
haben ſo gut Fleiſch und Blut wie unſer einer, und
der nächſte Blick auf die Perſon des Alleinzigen wirft
den Hundertſtels-Gedanken von Untreue und das ge-
wagteſte Luftſchloß wieder über’n Haufen; dann gibt
es nichts pikanter Wollüſtiges für ſo eine ſüße Krabbe,
als die Thränchen, womit ſie gleich drauf die Ver-
irrung ihrer Phantaſie am bärtigen Halſe des Lieb-
ſten unter tauſend Küſſen ſtillſchweigend abbüßet.
Aber auch nicht ein[ – 2 Zeichen fehlen], dieſer leichten Seitenſprünge
halt’ ich Agneſen fä[h]ig; wenigſtens wär’ mir leid

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[63/0071] wieder daneben geſchoſſen; ich laſſe mich rädern, das iſt’s. — Hm! freilich, hätt’ ich nur ein einzig Mal das Mädel mit dieſen meinen Augen geſehen! aber ſo, was bürgt mir für ſie? Man hat Beiſpiele, daß ſo ein Engelchen auch einmal einen ſchlechten Streich macht, oder, was bei ihnen gerade ſo viel iſt, einen dummen. Nein, zum Henker, ich kann’s wieder nicht denken! Sind mir ihre Briefe nicht Zeugniß genug? So ſchreibt doch wahrlich keine Galgenfeder! Und ge- ſezt, ſie hätt’ einmal ein paar Tage einen Wurm im Kopf gehabt und ein biſſel nebenaus geſchielt, etwas Gift mag ſo was immer anſetzen bei’m Liebhaber, doch im Ganzen was thut’s? Ein verdammter Egois- mus, daß wir Männer uns Alles lieber verzeihen, als ſo einem lieben Närrchen; eben als hätten wir allein das Privilegium, uns zuweilen vom Leibhafti- gen den Pelz ein wenig ſtreicheln zu laſſen, ohne ihn juſt zu verbrennen. Wetter! dieſe frommen Hexchen haben ſo gut Fleiſch und Blut wie unſer einer, und der nächſte Blick auf die Perſon des Alleinzigen wirft den Hundertſtels-Gedanken von Untreue und das ge- wagteſte Luftſchloß wieder über’n Haufen; dann gibt es nichts pikanter Wollüſtiges für ſo eine ſüße Krabbe, als die Thränchen, womit ſie gleich drauf die Ver- irrung ihrer Phantaſie am bärtigen Halſe des Lieb- ſten unter tauſend Küſſen ſtillſchweigend abbüßet. Aber auch nicht ein__, dieſer leichten Seitenſprünge halt’ ich Agneſen fähig; wenigſtens wär’ mir leid

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/71>, abgerufen am 18.05.2024.