rührendsten psychologischen Subtilitäten, als gälte es eine Preisaufgabe, den Leichtsinn einer läppischen Dirne wieder zu Ehren zu bringen. Er ruft sogar die Medizin zu Hülfe; es ist wahr, das Mädchen war kurz vorher krank, aber was, zum Henker! hatten die Nerven meiner Braut mit dem Geometer zu schaffen? Kurzum, ich weiß nun, was ich von Allem zu glauben habe. Ich schrieb ihr, wie du weißt, seit sechs Monaten nicht mehr, und hoffte zulezt, auch sie habe stillschweigend resignirt, allein der Alte mag von Verbesserung meiner Umstände gehört haben: nun er- halt' ich gestern unerwartet einen Wisch durch Fer- dinand -- da!"
Larkens griff hastig nach dem Briefe, und zwar mit einer Bestürzung, die nur in diesem Augenblicke dem Freunde entgehen konnte. Nolten drang ihm das Papier beinahe bittend auf, indem er wiederholt sagte: "behalt' es, vergrab' es bei dir, bester einziger Larkens! und wenn es möglich ist, verschone mich mit seinem Inhalt, antworte statt meiner, nicht wahr, du thust mir die Liebe? O wie mir nun wieder leicht ist, seit ich des Quarks los bin! -- Alter, komm', laß Wein bringen! Wollen uns einmal wieder lustig machen. Der Tag schläft noch fest. Laß diese trübe Lampe mit unsern verdüsterten Geistern sich im Kar- funkel des Burgunders spiegeln!"
In Kurzem stand eine kühle Flasche auf dem Tische. Man suchte einige Lieblingsmaterien der Kunst
rührendſten pſychologiſchen Subtilitäten, als gälte es eine Preisaufgabe, den Leichtſinn einer läppiſchen Dirne wieder zu Ehren zu bringen. Er ruft ſogar die Medizin zu Hülfe; es iſt wahr, das Mädchen war kurz vorher krank, aber was, zum Henker! hatten die Nerven meiner Braut mit dem Geometer zu ſchaffen? Kurzum, ich weiß nun, was ich von Allem zu glauben habe. Ich ſchrieb ihr, wie du weißt, ſeit ſechs Monaten nicht mehr, und hoffte zulezt, auch ſie habe ſtillſchweigend reſignirt, allein der Alte mag von Verbeſſerung meiner Umſtände gehört haben: nun er- halt’ ich geſtern unerwartet einen Wiſch durch Fer- dinand — da!“
Larkens griff haſtig nach dem Briefe, und zwar mit einer Beſtürzung, die nur in dieſem Augenblicke dem Freunde entgehen konnte. Nolten drang ihm das Papier beinahe bittend auf, indem er wiederholt ſagte: „behalt’ es, vergrab’ es bei dir, beſter einziger Larkens! und wenn es möglich iſt, verſchone mich mit ſeinem Inhalt, antworte ſtatt meiner, nicht wahr, du thuſt mir die Liebe? O wie mir nun wieder leicht iſt, ſeit ich des Quarks los bin! — Alter, komm’, laß Wein bringen! Wollen uns einmal wieder luſtig machen. Der Tag ſchläft noch feſt. Laß dieſe trübe Lampe mit unſern verdüſterten Geiſtern ſich im Kar- funkel des Burgunders ſpiegeln!“
In Kurzem ſtand eine kühle Flaſche auf dem Tiſche. Man ſuchte einige Lieblingsmaterien der Kunſt
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0067"n="59"/>
rührendſten pſychologiſchen Subtilitäten, als gälte es<lb/>
eine Preisaufgabe, den Leichtſinn einer läppiſchen<lb/>
Dirne wieder zu Ehren zu bringen. Er ruft ſogar<lb/>
die Medizin zu Hülfe; es iſt wahr, das Mädchen<lb/>
war kurz vorher krank, aber was, zum Henker! hatten<lb/>
die Nerven meiner Braut mit dem Geometer zu<lb/>ſchaffen? Kurzum, ich weiß nun, was ich von Allem<lb/>
zu glauben habe. Ich ſchrieb ihr, wie du weißt, ſeit<lb/>ſechs Monaten nicht mehr, und hoffte zulezt, auch ſie<lb/>
habe ſtillſchweigend reſignirt, allein der Alte mag von<lb/>
Verbeſſerung meiner Umſtände gehört haben: nun er-<lb/>
halt’ ich geſtern unerwartet einen Wiſch durch <hirendition="#g">Fer-<lb/>
dinand</hi>— da!“</p><lb/><p><hirendition="#g">Larkens</hi> griff haſtig nach dem Briefe, und zwar<lb/>
mit einer Beſtürzung, die nur in <hirendition="#g">dieſem</hi> Augenblicke<lb/>
dem Freunde entgehen konnte. <hirendition="#g">Nolten</hi> drang ihm<lb/>
das Papier beinahe bittend auf, indem er wiederholt<lb/>ſagte: „behalt’ es, vergrab’ es bei dir, beſter einziger<lb/><hirendition="#g">Larkens</hi>! und wenn es möglich iſt, verſchone mich<lb/>
mit ſeinem Inhalt, antworte ſtatt meiner, nicht wahr,<lb/>
du thuſt mir die Liebe? O wie mir nun wieder leicht<lb/>
iſt, ſeit ich des Quarks los bin! — Alter, komm’,<lb/>
laß Wein bringen! Wollen uns einmal wieder luſtig<lb/>
machen. Der Tag ſchläft noch feſt. Laß dieſe trübe<lb/>
Lampe mit unſern verdüſterten Geiſtern ſich im Kar-<lb/>
funkel des Burgunders ſpiegeln!“</p><lb/><p>In Kurzem ſtand eine kühle Flaſche auf dem<lb/>
Tiſche. Man ſuchte einige Lieblingsmaterien der Kunſt<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[59/0067]
rührendſten pſychologiſchen Subtilitäten, als gälte es
eine Preisaufgabe, den Leichtſinn einer läppiſchen
Dirne wieder zu Ehren zu bringen. Er ruft ſogar
die Medizin zu Hülfe; es iſt wahr, das Mädchen
war kurz vorher krank, aber was, zum Henker! hatten
die Nerven meiner Braut mit dem Geometer zu
ſchaffen? Kurzum, ich weiß nun, was ich von Allem
zu glauben habe. Ich ſchrieb ihr, wie du weißt, ſeit
ſechs Monaten nicht mehr, und hoffte zulezt, auch ſie
habe ſtillſchweigend reſignirt, allein der Alte mag von
Verbeſſerung meiner Umſtände gehört haben: nun er-
halt’ ich geſtern unerwartet einen Wiſch durch Fer-
dinand — da!“
Larkens griff haſtig nach dem Briefe, und zwar
mit einer Beſtürzung, die nur in dieſem Augenblicke
dem Freunde entgehen konnte. Nolten drang ihm
das Papier beinahe bittend auf, indem er wiederholt
ſagte: „behalt’ es, vergrab’ es bei dir, beſter einziger
Larkens! und wenn es möglich iſt, verſchone mich
mit ſeinem Inhalt, antworte ſtatt meiner, nicht wahr,
du thuſt mir die Liebe? O wie mir nun wieder leicht
iſt, ſeit ich des Quarks los bin! — Alter, komm’,
laß Wein bringen! Wollen uns einmal wieder luſtig
machen. Der Tag ſchläft noch feſt. Laß dieſe trübe
Lampe mit unſern verdüſterten Geiſtern ſich im Kar-
funkel des Burgunders ſpiegeln!“
In Kurzem ſtand eine kühle Flaſche auf dem
Tiſche. Man ſuchte einige Lieblingsmaterien der Kunſt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/67>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.