Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

Ursachen habe, wiewohl ich immer bloß die Symptome
eines ganz ordinären Liebesfrosts an dir zu bemerken
meinte, der sich selten anders erklären läßt, als im
Allgemeinen aus einem gewissen Deficit von Wärme.
In der Folge mag denn auch Gräfin Constanze ei-
nigen Einfluß gehabt haben; was? oder hätte sie wirk-
lich schon Alles wie mit Besen gekehrt in deinem
Herzschrank angetroffen?"

"Laß uns nicht leichtsinnig von einer ernsthaften
Sache reden!" versezte Nolten, "nein, glaub' es,
Alter, mein Verhältniß zu Agnes fand den Grund
seiner Zerstörung nicht eben da, wo ihn dein Scharf-
sinn mit so viel Zuversicht entdecken will. Du hättest
mir die Ursache längst abmerken können; eine ausführ-
liche Entwicklung der verhaßten Geschichte war mir zu
verdrießlich, und zudem mag mich eine dumme Schaam
abgehalten haben, über die ich nicht gebieten konnte.
Mich von einem kindischen Geschöpfe so genarrt, so
gekränkt zu wissen! mich selber so zu narren, so zu
täuschen! Höre nun; du weißt, was mich an das
Mädchen gefesselt hatte, was ich Alles in ihr suchte,
tausendfach fand; aber dir ist nicht bekannt, wie sehr
mich meine Rechnung zulezt betrog. Siehst du, wenn
äußerste Reinheit der Gesinnung, wenn kindliche Be-
scheidenheit und eine unbegränzte Ergebung von jeher
in meinen Augen für die Summe desjenigen galt, was
ich von einem weiblichen Wesen verlangen müsse, das
ich für immer sollte lieben können, so ist der Eigensinn

Urſachen habe, wiewohl ich immer bloß die Symptome
eines ganz ordinären Liebesfroſts an dir zu bemerken
meinte, der ſich ſelten anders erklären läßt, als im
Allgemeinen aus einem gewiſſen Deficit von Wärme.
In der Folge mag denn auch Gräfin Conſtanze ei-
nigen Einfluß gehabt haben; was? oder hätte ſie wirk-
lich ſchon Alles wie mit Beſen gekehrt in deinem
Herzſchrank angetroffen?“

„Laß uns nicht leichtſinnig von einer ernſthaften
Sache reden!“ verſezte Nolten, „nein, glaub’ es,
Alter, mein Verhältniß zu Agnes fand den Grund
ſeiner Zerſtörung nicht eben da, wo ihn dein Scharf-
ſinn mit ſo viel Zuverſicht entdecken will. Du hätteſt
mir die Urſache längſt abmerken können; eine ausführ-
liche Entwicklung der verhaßten Geſchichte war mir zu
verdrießlich, und zudem mag mich eine dumme Schaam
abgehalten haben, über die ich nicht gebieten konnte.
Mich von einem kindiſchen Geſchöpfe ſo genarrt, ſo
gekränkt zu wiſſen! mich ſelber ſo zu narren, ſo zu
täuſchen! Höre nun; du weißt, was mich an das
Mädchen gefeſſelt hatte, was ich Alles in ihr ſuchte,
tauſendfach fand; aber dir iſt nicht bekannt, wie ſehr
mich meine Rechnung zulezt betrog. Siehſt du, wenn
äußerſte Reinheit der Geſinnung, wenn kindliche Be-
ſcheidenheit und eine unbegränzte Ergebung von jeher
in meinen Augen für die Summe desjenigen galt, was
ich von einem weiblichen Weſen verlangen müſſe, das
ich für immer ſollte lieben können, ſo iſt der Eigenſinn

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0062" n="54"/>
Ur&#x017F;achen habe, wiewohl ich immer bloß die Symptome<lb/>
eines ganz ordinären Liebesfro&#x017F;ts an dir zu bemerken<lb/>
meinte, der &#x017F;ich &#x017F;elten anders erklären läßt, als im<lb/>
Allgemeinen aus einem gewi&#x017F;&#x017F;en Deficit von Wärme.<lb/>
In der Folge mag denn auch Gräfin <hi rendition="#g">Con&#x017F;tanze</hi> ei-<lb/>
nigen Einfluß gehabt haben; was? oder hätte &#x017F;ie wirk-<lb/>
lich &#x017F;chon Alles wie mit Be&#x017F;en gekehrt in deinem<lb/>
Herz&#x017F;chrank angetroffen?&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Laß uns nicht leicht&#x017F;innig von einer ern&#x017F;thaften<lb/>
Sache reden!&#x201C; ver&#x017F;ezte <hi rendition="#g">Nolten</hi>, &#x201E;nein, glaub&#x2019; es,<lb/>
Alter, mein Verhältniß zu <hi rendition="#g">Agnes</hi> fand den Grund<lb/>
&#x017F;einer Zer&#x017F;törung nicht eben da, wo ihn dein Scharf-<lb/>
&#x017F;inn mit &#x017F;o viel Zuver&#x017F;icht entdecken will. Du hätte&#x017F;t<lb/>
mir die Ur&#x017F;ache läng&#x017F;t abmerken können; eine ausführ-<lb/>
liche Entwicklung der verhaßten Ge&#x017F;chichte war mir zu<lb/>
verdrießlich, und zudem mag mich eine dumme Schaam<lb/>
abgehalten haben, über die ich nicht gebieten konnte.<lb/>
Mich von einem kindi&#x017F;chen Ge&#x017F;chöpfe &#x017F;o genarrt, &#x017F;o<lb/>
gekränkt zu wi&#x017F;&#x017F;en! mich &#x017F;elber &#x017F;o zu narren, &#x017F;o zu<lb/>
täu&#x017F;chen! Höre nun; du weißt, was mich an das<lb/>
Mädchen gefe&#x017F;&#x017F;elt hatte, was ich Alles in ihr &#x017F;uchte,<lb/>
tau&#x017F;endfach fand; aber dir i&#x017F;t nicht bekannt, wie &#x017F;ehr<lb/>
mich meine Rechnung zulezt betrog. Sieh&#x017F;t du, wenn<lb/>
äußer&#x017F;te Reinheit der Ge&#x017F;innung, wenn kindliche Be-<lb/>
&#x017F;cheidenheit und eine unbegränzte Ergebung von jeher<lb/>
in meinen Augen für die Summe desjenigen galt, was<lb/>
ich von einem weiblichen We&#x017F;en verlangen mü&#x017F;&#x017F;e, das<lb/>
ich für immer &#x017F;ollte lieben können, &#x017F;o i&#x017F;t der Eigen&#x017F;inn<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[54/0062] Urſachen habe, wiewohl ich immer bloß die Symptome eines ganz ordinären Liebesfroſts an dir zu bemerken meinte, der ſich ſelten anders erklären läßt, als im Allgemeinen aus einem gewiſſen Deficit von Wärme. In der Folge mag denn auch Gräfin Conſtanze ei- nigen Einfluß gehabt haben; was? oder hätte ſie wirk- lich ſchon Alles wie mit Beſen gekehrt in deinem Herzſchrank angetroffen?“ „Laß uns nicht leichtſinnig von einer ernſthaften Sache reden!“ verſezte Nolten, „nein, glaub’ es, Alter, mein Verhältniß zu Agnes fand den Grund ſeiner Zerſtörung nicht eben da, wo ihn dein Scharf- ſinn mit ſo viel Zuverſicht entdecken will. Du hätteſt mir die Urſache längſt abmerken können; eine ausführ- liche Entwicklung der verhaßten Geſchichte war mir zu verdrießlich, und zudem mag mich eine dumme Schaam abgehalten haben, über die ich nicht gebieten konnte. Mich von einem kindiſchen Geſchöpfe ſo genarrt, ſo gekränkt zu wiſſen! mich ſelber ſo zu narren, ſo zu täuſchen! Höre nun; du weißt, was mich an das Mädchen gefeſſelt hatte, was ich Alles in ihr ſuchte, tauſendfach fand; aber dir iſt nicht bekannt, wie ſehr mich meine Rechnung zulezt betrog. Siehſt du, wenn äußerſte Reinheit der Geſinnung, wenn kindliche Be- ſcheidenheit und eine unbegränzte Ergebung von jeher in meinen Augen für die Summe desjenigen galt, was ich von einem weiblichen Weſen verlangen müſſe, das ich für immer ſollte lieben können, ſo iſt der Eigenſinn

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/62
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/62>, abgerufen am 18.05.2024.