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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

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gefälligen Sittenrichter in mir erblicken wolltest. Nie-
mand würde sich mit weniger Recht hiezu aufwerfen,
als ich, der ich selber erst vor Kurzem dem Teufel
entlaufen bin und Dreiviertel meines Seelenheils an
ihn verloren habe; aber ich schwör' ihm auch das
lezte theure Restchen vollends zu, wenn ich daran
lügen sollte, daß ein uneigennützig Mitleid mit jenem
liebenswürdigen Geschöpfe, ja mit euch Beiden, mich
zwinge, Allem aufzubieten, was deine unselige Ent-
fremdung von dem Mädchen hintertreiben kann."

"Gut, wir sprechen uns bald mehr darüber,"
sagte Nolten, und wollte ihm freundlich die Hand
drücken, was jedoch Larkens nach seiner Art schnell
abthat, weil ihn der geringste Anschein von Sentiment
zwischen Freunden immer verlegen und ärgerlich machte.

Nachdem man die beiden auswärtigen Freunde
bis zu ihrem Quartiere begleitet und die nächste Zu-
sammenkunft abgeredet hatte, gingen die Andern, welche
in Einem Hause und auf demselben Boden wohnten,
ziemlich einsylbig ihre gemeinschaftliche Straße.


Unser Maler fand zwischen den eigenen Wänden
jene Wohlthat ungestörter Einsamkeit, nach welcher
er sich vor wenigen Minuten so ungeduldig hinge-
drängt hatte, keineswegs. Die Eindrücke dieser lezten
Stunden waren zu mannigfaltig, zu mächtig, zu ent-
gegengesezt, als daß er hoffen konnte, sie zu ordnen,

gefälligen Sittenrichter in mir erblicken wollteſt. Nie-
mand würde ſich mit weniger Recht hiezu aufwerfen,
als ich, der ich ſelber erſt vor Kurzem dem Teufel
entlaufen bin und Dreiviertel meines Seelenheils an
ihn verloren habe; aber ich ſchwör’ ihm auch das
lezte theure Reſtchen vollends zu, wenn ich daran
lügen ſollte, daß ein uneigennützig Mitleid mit jenem
liebenswürdigen Geſchöpfe, ja mit euch Beiden, mich
zwinge, Allem aufzubieten, was deine unſelige Ent-
fremdung von dem Mädchen hintertreiben kann.“

„Gut, wir ſprechen uns bald mehr darüber,“
ſagte Nolten, und wollte ihm freundlich die Hand
drücken, was jedoch Larkens nach ſeiner Art ſchnell
abthat, weil ihn der geringſte Anſchein von Sentiment
zwiſchen Freunden immer verlegen und ärgerlich machte.

Nachdem man die beiden auswärtigen Freunde
bis zu ihrem Quartiere begleitet und die nächſte Zu-
ſammenkunft abgeredet hatte, gingen die Andern, welche
in Einem Hauſe und auf demſelben Boden wohnten,
ziemlich einſylbig ihre gemeinſchaftliche Straße.


Unſer Maler fand zwiſchen den eigenen Wänden
jene Wohlthat ungeſtörter Einſamkeit, nach welcher
er ſich vor wenigen Minuten ſo ungeduldig hinge-
drängt hatte, keineswegs. Die Eindrücke dieſer lezten
Stunden waren zu mannigfaltig, zu mächtig, zu ent-
gegengeſezt, als daß er hoffen konnte, ſie zu ordnen,

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[52/0060] gefälligen Sittenrichter in mir erblicken wollteſt. Nie- mand würde ſich mit weniger Recht hiezu aufwerfen, als ich, der ich ſelber erſt vor Kurzem dem Teufel entlaufen bin und Dreiviertel meines Seelenheils an ihn verloren habe; aber ich ſchwör’ ihm auch das lezte theure Reſtchen vollends zu, wenn ich daran lügen ſollte, daß ein uneigennützig Mitleid mit jenem liebenswürdigen Geſchöpfe, ja mit euch Beiden, mich zwinge, Allem aufzubieten, was deine unſelige Ent- fremdung von dem Mädchen hintertreiben kann.“ „Gut, wir ſprechen uns bald mehr darüber,“ ſagte Nolten, und wollte ihm freundlich die Hand drücken, was jedoch Larkens nach ſeiner Art ſchnell abthat, weil ihn der geringſte Anſchein von Sentiment zwiſchen Freunden immer verlegen und ärgerlich machte. Nachdem man die beiden auswärtigen Freunde bis zu ihrem Quartiere begleitet und die nächſte Zu- ſammenkunft abgeredet hatte, gingen die Andern, welche in Einem Hauſe und auf demſelben Boden wohnten, ziemlich einſylbig ihre gemeinſchaftliche Straße. Unſer Maler fand zwiſchen den eigenen Wänden jene Wohlthat ungeſtörter Einſamkeit, nach welcher er ſich vor wenigen Minuten ſo ungeduldig hinge- drängt hatte, keineswegs. Die Eindrücke dieſer lezten Stunden waren zu mannigfaltig, zu mächtig, zu ent- gegengeſezt, als daß er hoffen konnte, ſie zu ordnen,

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/60>, abgerufen am 18.05.2024.