vom Lärm des Redoutenhauses zu schlafen, das zum Unglücke seiner Wohnung gegenüber liegt? Ich dächte, ihr Herren, bevor Sie in den nächsten Tagen mit den hübschen Realitäten unserer Stadt Bekanntschaft machen, müßte es unterhaltend für Sie seyn, heute im Masken- saale, so zu sagen, die Fata morgana der hiesigen Menschheit zu sehen. -- Verzeihen Sie mein hinkendes Gleichniß und folgen Sie meinem Vorschlage." Es kostete Ueberredung, aber man entschloß sich und wünschte dem seltsamen Hofrathe gute Nacht.
Nachdenklich, unbehaglich, ja traurig war Nolten mit den Andern vor den Thüren des großen heller- leuchteten Gebäudes angekommen, worin schon das mannigfaltigste Leben wogte und wühlte. Alle mög- lichen Gestalten, zum Theil in auffallendem Kontraste, drehten sich stumm, feierlich, fremde oder leise summend, kopfnickend und tanzend durcheinander. Unser trübe gestimmter Freund, schneller als er vermuthete, von sei- nen Begleitern verloren, fühlte nach und nach in seiner Vermummung eine Art von dumpfem Troste, und wie mit seiner Umgebung, so spielte er gewissermaßen mit dem eigenen Herzen Versteckens, wobei er sich kaum bekannte, welche besondere Hoffnung ihn zwang, die Reihen der weiblichen Masken sorgfältiger zu mustern, als er sonst wohl gethan haben würde. Das beschei- dene Bild Agnesens, das ihn aus weiter Ferne sehn-
vom Lärm des Redoutenhauſes zu ſchlafen, das zum Unglücke ſeiner Wohnung gegenüber liegt? Ich dächte, ihr Herren, bevor Sie in den nächſten Tagen mit den hübſchen Realitäten unſerer Stadt Bekanntſchaft machen, müßte es unterhaltend für Sie ſeyn, heute im Masken- ſaale, ſo zu ſagen, die Fata morgana der hieſigen Menſchheit zu ſehen. — Verzeihen Sie mein hinkendes Gleichniß und folgen Sie meinem Vorſchlage.“ Es koſtete Ueberredung, aber man entſchloß ſich und wünſchte dem ſeltſamen Hofrathe gute Nacht.
Nachdenklich, unbehaglich, ja traurig war Nolten mit den Andern vor den Thüren des großen heller- leuchteten Gebäudes angekommen, worin ſchon das mannigfaltigſte Leben wogte und wühlte. Alle mög- lichen Geſtalten, zum Theil in auffallendem Kontraſte, drehten ſich ſtumm, feierlich, fremde oder leiſe ſummend, kopfnickend und tanzend durcheinander. Unſer trübe geſtimmter Freund, ſchneller als er vermuthete, von ſei- nen Begleitern verloren, fühlte nach und nach in ſeiner Vermummung eine Art von dumpfem Troſte, und wie mit ſeiner Umgebung, ſo ſpielte er gewiſſermaßen mit dem eigenen Herzen Verſteckens, wobei er ſich kaum bekannte, welche beſondere Hoffnung ihn zwang, die Reihen der weiblichen Masken ſorgfältiger zu muſtern, als er ſonſt wohl gethan haben würde. Das beſchei- dene Bild Agneſens, das ihn aus weiter Ferne ſehn-
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vom Lärm des Redoutenhauſes zu ſchlafen, das zum
Unglücke ſeiner Wohnung gegenüber liegt? Ich dächte,
ihr Herren, bevor Sie in den nächſten Tagen mit den
hübſchen Realitäten unſerer Stadt Bekanntſchaft machen,
müßte es unterhaltend für Sie ſeyn, heute im Masken-
ſaale, ſo zu ſagen, die Fata morgana der hieſigen
Menſchheit zu ſehen. — Verzeihen Sie mein hinkendes
Gleichniß und folgen Sie meinem Vorſchlage.“ Es
koſtete Ueberredung, aber man entſchloß ſich und
wünſchte dem ſeltſamen Hofrathe gute Nacht.
Nachdenklich, unbehaglich, ja traurig war Nolten
mit den Andern vor den Thüren des großen heller-
leuchteten Gebäudes angekommen, worin ſchon das
mannigfaltigſte Leben wogte und wühlte. Alle mög-
lichen Geſtalten, zum Theil in auffallendem Kontraſte,
drehten ſich ſtumm, feierlich, fremde oder leiſe ſummend,
kopfnickend und tanzend durcheinander. Unſer trübe
geſtimmter Freund, ſchneller als er vermuthete, von ſei-
nen Begleitern verloren, fühlte nach und nach in ſeiner
Vermummung eine Art von dumpfem Troſte, und wie
mit ſeiner Umgebung, ſo ſpielte er gewiſſermaßen mit
dem eigenen Herzen Verſteckens, wobei er ſich kaum
bekannte, welche beſondere Hoffnung ihn zwang, die
Reihen der weiblichen Masken ſorgfältiger zu muſtern,
als er ſonſt wohl gethan haben würde. Das beſchei-
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/45>, abgerufen am 30.01.2025.
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