gen. Er wandelte, seitdem er Elisabethen gesehen, eine Zeitlang wie im Traume.
Wenn er seit seinen Kinderjahren, in Rißthal schon, so manchen verstohlenen Augenblick mit der Betrachtung jenes unwiderstehlichen Bildes zugebracht hatte, wenn sich hieraus allmählig ein schwärmerisch religiöser Umgang wie mit dem geliebten Idol eines Schutzgeists entspann, wenn die Treue, womit der Knabe sein Geheimniß verschwieg, den Reiz desselben unglaublich erhöhte, so mußte der Moment, worin das Wunderbild ihm lebendig entgegentrat, ein unge- heurer und unauslöschlicher seyn. Es war, als er- leuchtete ein zauberhaftes Licht die hintersten Schach- ten seiner inneren Welt, als bräche der unterirdische Strom seines Daseyns plötzlich lautrauschend zu seinen Füßen hervor aus der Tiefe, als wäre das Siegel vom Evangelium seines Schicksals gesprungen.
Niemand war Zeuge von dem seltsamen Bünd- niß, welches der Knabe in einer Art von Verzückung mit seiner angebeteten Freundin dort unter den Rui- nen schloß, aber nach dem, was er Adelheiden dar- über zu verstehen gab, sollte man glauben, daß ein gegenseitiges Gelübde der geistigsten Liebe Statt gefun- den, deren geheimnißvolles Band, an eine wunderbare Naturnothwendigkeit geknüpft, beide Gemüther, aller Entfernung zum Trotze, auf immer vereinigen sollte.
Doch dauerte es lang', bis Theobald die tiefe Sehnsucht nach der Entfernten überwand. Sein gan-
gen. Er wandelte, ſeitdem er Eliſabethen geſehen, eine Zeitlang wie im Traume.
Wenn er ſeit ſeinen Kinderjahren, in Rißthal ſchon, ſo manchen verſtohlenen Augenblick mit der Betrachtung jenes unwiderſtehlichen Bildes zugebracht hatte, wenn ſich hieraus allmählig ein ſchwärmeriſch religiöſer Umgang wie mit dem geliebten Idol eines Schutzgeiſts entſpann, wenn die Treue, womit der Knabe ſein Geheimniß verſchwieg, den Reiz deſſelben unglaublich erhöhte, ſo mußte der Moment, worin das Wunderbild ihm lebendig entgegentrat, ein unge- heurer und unauslöſchlicher ſeyn. Es war, als er- leuchtete ein zauberhaftes Licht die hinterſten Schach- ten ſeiner inneren Welt, als bräche der unterirdiſche Strom ſeines Daſeyns plötzlich lautrauſchend zu ſeinen Füßen hervor aus der Tiefe, als wäre das Siegel vom Evangelium ſeines Schickſals geſprungen.
Niemand war Zeuge von dem ſeltſamen Bünd- niß, welches der Knabe in einer Art von Verzückung mit ſeiner angebeteten Freundin dort unter den Rui- nen ſchloß, aber nach dem, was er Adelheiden dar- über zu verſtehen gab, ſollte man glauben, daß ein gegenſeitiges Gelübde der geiſtigſten Liebe Statt gefun- den, deren geheimnißvolles Band, an eine wunderbare Naturnothwendigkeit geknüpft, beide Gemüther, aller Entfernung zum Trotze, auf immer vereinigen ſollte.
Doch dauerte es lang’, bis Theobald die tiefe Sehnſucht nach der Entfernten überwand. Sein gan-
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gen. Er wandelte, ſeitdem er Eliſabethen geſehen,
eine Zeitlang wie im Traume.
Wenn er ſeit ſeinen Kinderjahren, in Rißthal
ſchon, ſo manchen verſtohlenen Augenblick mit der
Betrachtung jenes unwiderſtehlichen Bildes zugebracht
hatte, wenn ſich hieraus allmählig ein ſchwärmeriſch
religiöſer Umgang wie mit dem geliebten Idol eines
Schutzgeiſts entſpann, wenn die Treue, womit der
Knabe ſein Geheimniß verſchwieg, den Reiz deſſelben
unglaublich erhöhte, ſo mußte der Moment, worin
das Wunderbild ihm lebendig entgegentrat, ein unge-
heurer und unauslöſchlicher ſeyn. Es war, als er-
leuchtete ein zauberhaftes Licht die hinterſten Schach-
ten ſeiner inneren Welt, als bräche der unterirdiſche
Strom ſeines Daſeyns plötzlich lautrauſchend zu ſeinen
Füßen hervor aus der Tiefe, als wäre das Siegel
vom Evangelium ſeines Schickſals geſprungen.
Niemand war Zeuge von dem ſeltſamen Bünd-
niß, welches der Knabe in einer Art von Verzückung
mit ſeiner angebeteten Freundin dort unter den Rui-
nen ſchloß, aber nach dem, was er Adelheiden dar-
über zu verſtehen gab, ſollte man glauben, daß ein
gegenſeitiges Gelübde der geiſtigſten Liebe Statt gefun-
den, deren geheimnißvolles Band, an eine wunderbare
Naturnothwendigkeit geknüpft, beide Gemüther, aller
Entfernung zum Trotze, auf immer vereinigen ſollte.
Doch dauerte es lang’, bis Theobald die tiefe
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/331>, abgerufen am 30.01.2025.
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