schnellen Flucht getroffen haben würde. Loskine hatte meinen Vorschlag kaum vernommen, so entriß sie sich mir eilig, denn wir hörten Geräusch. In ei- nem Gewirre von ängstlich sich durchkreuzenden Ge- danken über die Ungewißheit, in welcher ich in mehr als Einer Hinsicht mit meinem Plane stand, blieb ich mir selber überlassen. Hat das Mädchen mich verstanden? Werde ich Gelegenheit finden, sie noch Einmal darüber zu vernehmen? oder, wenn sie mich gefaßt hat, wird sie sich zu dem Schritte ent- schließen? ist der leztere überhaupt ausführbar? Diese Zweifel beunruhigten mich nicht wenig, bis mir der glückliche Einfall kam, Alles dem Willen des Schicksals anheim zu stellen und zulezt das Glücken oder Mislingen meiner Absichten als Probe ihrer Güte oder Verwerflichkeit anzusehen. Mit dieser Idee schmeichelte ich mir ordentlich, sowie durch den stren- gen Vorsatz, Loskinen für jezt nicht mehr aufzusuchen, mich wenigstens nicht näher mit ihr darüber zu ver- ständigen. Um wie viel bedeutender -- dieß schwebte im Hintergrund meiner Seele -- um wie viel glän- zender wird nachher die Erfüllung deiner Erwartungen seyn! Aber auch selbst in ihrem Fehlschlagen sah ich einen für mich reizenden Schmerz und eine schöne Entsagung voraus.
Jezt begab ich mich zu meiner Gesellschaft, zog den Hauptmann bei Seite und erklärte ihm die Nothwen- digkeit meiner Entfernung, die ich ihm durch einen
ſchnellen Flucht getroffen haben würde. Loskine hatte meinen Vorſchlag kaum vernommen, ſo entriß ſie ſich mir eilig, denn wir hörten Geräuſch. In ei- nem Gewirre von ängſtlich ſich durchkreuzenden Ge- danken über die Ungewißheit, in welcher ich in mehr als Einer Hinſicht mit meinem Plane ſtand, blieb ich mir ſelber überlaſſen. Hat das Mädchen mich verſtanden? Werde ich Gelegenheit finden, ſie noch Einmal darüber zu vernehmen? oder, wenn ſie mich gefaßt hat, wird ſie ſich zu dem Schritte ent- ſchließen? iſt der leztere überhaupt ausführbar? Dieſe Zweifel beunruhigten mich nicht wenig, bis mir der glückliche Einfall kam, Alles dem Willen des Schickſals anheim zu ſtellen und zulezt das Glücken oder Mislingen meiner Abſichten als Probe ihrer Güte oder Verwerflichkeit anzuſehen. Mit dieſer Idee ſchmeichelte ich mir ordentlich, ſowie durch den ſtren- gen Vorſatz, Loskinen für jezt nicht mehr aufzuſuchen, mich wenigſtens nicht näher mit ihr darüber zu ver- ſtändigen. Um wie viel bedeutender — dieß ſchwebte im Hintergrund meiner Seele — um wie viel glän- zender wird nachher die Erfüllung deiner Erwartungen ſeyn! Aber auch ſelbſt in ihrem Fehlſchlagen ſah ich einen für mich reizenden Schmerz und eine ſchöne Entſagung voraus.
Jezt begab ich mich zu meiner Geſellſchaft, zog den Hauptmann bei Seite und erklärte ihm die Nothwen- digkeit meiner Entfernung, die ich ihm durch einen
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ſchnellen Flucht getroffen haben würde. Loskine
hatte meinen Vorſchlag kaum vernommen, ſo entriß
ſie ſich mir eilig, denn wir hörten Geräuſch. In ei-
nem Gewirre von ängſtlich ſich durchkreuzenden Ge-
danken über die Ungewißheit, in welcher ich in mehr
als Einer Hinſicht mit meinem Plane ſtand, blieb
ich mir ſelber überlaſſen. Hat das Mädchen mich
verſtanden? Werde ich Gelegenheit finden, ſie noch
Einmal darüber zu vernehmen? oder, wenn ſie
mich gefaßt hat, wird ſie ſich zu dem Schritte ent-
ſchließen? iſt der leztere überhaupt ausführbar?
Dieſe Zweifel beunruhigten mich nicht wenig, bis mir
der glückliche Einfall kam, Alles dem Willen des
Schickſals anheim zu ſtellen und zulezt das Glücken
oder Mislingen meiner Abſichten als Probe ihrer
Güte oder Verwerflichkeit anzuſehen. Mit dieſer Idee
ſchmeichelte ich mir ordentlich, ſowie durch den ſtren-
gen Vorſatz, Loskinen für jezt nicht mehr aufzuſuchen,
mich wenigſtens nicht näher mit ihr darüber zu ver-
ſtändigen. Um wie viel bedeutender — dieß ſchwebte
im Hintergrund meiner Seele — um wie viel glän-
zender wird nachher die Erfüllung deiner Erwartungen
ſeyn! Aber auch ſelbſt in ihrem Fehlſchlagen ſah ich
einen für mich reizenden Schmerz und eine ſchöne
Entſagung voraus.
Jezt begab ich mich zu meiner Geſellſchaft, zog den
Hauptmann bei Seite und erklärte ihm die Nothwen-
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/321>, abgerufen am 05.12.2024.
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