gegeben, mit Willen schlechterdings nichts gegen meine genaue Instruktion zu thun oder merken zu lassen, so diktirt' ich ihr einige Seiten, welche sie zu meiner größten Freude mit fremden Zeichen schrieb, da sie unsere Buchstaben nur sehr schlecht zu machen wußte. Aber es kostete immer noch Mühe genug, bis ich ihr meine Worte geschickt in die Feder gegeben und noch mehr, bis sie sich die Rolle einigermaßen angeeignet hatte. Sodann schafft' ich die nöthige Kleidung, und wahres Vergnügen gewährte mir die naive Miene, womit sie sich selbst in ihrer idealischen Vermummung betrachtete. Sie behandelte das Ganze mit einer ge- wissen Feierlichkeit und gefiel sich gar wohl dabei; ihre Recitation freilich war hart und trocken, allein ihr Be- griff von dieser poetischen Figur so ziemlich richtig. Sämmtliche Vorbereitungen geschahen in einem abgele- genen Zimmer außer dem Hause, wo ich Schauspielern beiderlei Geschlechts zuweilen Unterricht ertheilte, so daß mein jetziges Geschäft Niemanden auffiel. Wie anständig das Mädchen seine Sache machte, haben Sie ja gesehen, und ich selbst verwunderte mich im Stillen über die glückliche Ausführung."
Leopold ward kaum fertig, sein Erstaunen aus- zudrücken, indem er sich die Einzelnheiten der Neu- jahrsfeier auf dem Thurme zurückrief. Da er nun um so mehr Verlangen bezeugte, über die sonderbare Per- son der Zigeunerin und ihr früheres Verhältniß zu Theobald eines Näheren belehrt zu werden, zeigte
gegeben, mit Willen ſchlechterdings nichts gegen meine genaue Inſtruktion zu thun oder merken zu laſſen, ſo diktirt’ ich ihr einige Seiten, welche ſie zu meiner größten Freude mit fremden Zeichen ſchrieb, da ſie unſere Buchſtaben nur ſehr ſchlecht zu machen wußte. Aber es koſtete immer noch Mühe genug, bis ich ihr meine Worte geſchickt in die Feder gegeben und noch mehr, bis ſie ſich die Rolle einigermaßen angeeignet hatte. Sodann ſchafft’ ich die nöthige Kleidung, und wahres Vergnügen gewährte mir die naive Miene, womit ſie ſich ſelbſt in ihrer idealiſchen Vermummung betrachtete. Sie behandelte das Ganze mit einer ge- wiſſen Feierlichkeit und gefiel ſich gar wohl dabei; ihre Recitation freilich war hart und trocken, allein ihr Be- griff von dieſer poetiſchen Figur ſo ziemlich richtig. Sämmtliche Vorbereitungen geſchahen in einem abgele- genen Zimmer außer dem Hauſe, wo ich Schauſpielern beiderlei Geſchlechts zuweilen Unterricht ertheilte, ſo daß mein jetziges Geſchäft Niemanden auffiel. Wie anſtändig das Mädchen ſeine Sache machte, haben Sie ja geſehen, und ich ſelbſt verwunderte mich im Stillen über die glückliche Ausführung.“
Leopold ward kaum fertig, ſein Erſtaunen aus- zudrücken, indem er ſich die Einzelnheiten der Neu- jahrsfeier auf dem Thurme zurückrief. Da er nun um ſo mehr Verlangen bezeugte, über die ſonderbare Per- ſon der Zigeunerin und ihr früheres Verhältniß zu Theobald eines Näheren belehrt zu werden, zeigte
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gegeben, mit Willen ſchlechterdings nichts gegen meine
genaue Inſtruktion zu thun oder merken zu laſſen, ſo
diktirt’ ich ihr einige Seiten, welche ſie zu meiner
größten Freude mit fremden Zeichen ſchrieb, da ſie
unſere Buchſtaben nur ſehr ſchlecht zu machen wußte.
Aber es koſtete immer noch Mühe genug, bis ich ihr
meine Worte geſchickt in die Feder gegeben und noch
mehr, bis ſie ſich die Rolle einigermaßen angeeignet
hatte. Sodann ſchafft’ ich die nöthige Kleidung,
und wahres Vergnügen gewährte mir die naive Miene,
womit ſie ſich ſelbſt in ihrer idealiſchen Vermummung
betrachtete. Sie behandelte das Ganze mit einer ge-
wiſſen Feierlichkeit und gefiel ſich gar wohl dabei; ihre
Recitation freilich war hart und trocken, allein ihr Be-
griff von dieſer poetiſchen Figur ſo ziemlich richtig.
Sämmtliche Vorbereitungen geſchahen in einem abgele-
genen Zimmer außer dem Hauſe, wo ich Schauſpielern
beiderlei Geſchlechts zuweilen Unterricht ertheilte, ſo
daß mein jetziges Geſchäft Niemanden auffiel. Wie
anſtändig das Mädchen ſeine Sache machte, haben Sie
ja geſehen, und ich ſelbſt verwunderte mich im Stillen
über die glückliche Ausführung.“
Leopold ward kaum fertig, ſein Erſtaunen aus-
zudrücken, indem er ſich die Einzelnheiten der Neu-
jahrsfeier auf dem Thurme zurückrief. Da er nun um
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ſon der Zigeunerin und ihr früheres Verhältniß zu
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/280>, abgerufen am 16.02.2025.
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