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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

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die Vertilgung so merkwürdiger Aktenstücke nicht über
sich vermocht, vielmehr lagen sie über die Zeit der er-
sten Untersuchungen als geheimes Depositum in dem
Hause eines unverdächtigten Bekannten, später nahm
sie der Verfasser wieder zu sich und ein versiegeltes
Portefeuille in seinem Pult verwahrte den verrätheri-
schen Schatz. Wie sehr der Umstand unsern Schauspie-
ler beunruhigen mußte in dem Augenblick, als ihm die
Festnehmung seiner eigenen Person das Ernstliche der
Absicht genugsam bewies, läßt sich denken; denn daß
man die Briefe finden würde, daß der Inhalt, obwohl
höchst komischer Natur, gar sehr gegen ihn zeugen müsse,
war zu erwarten.

Die Beiden wußten kaum, wie ihnen geschah, als
sie sich eines Morgens in zwei abgesonderte Zimmer
des sogenannten alten Schlosses zu trauriger Einsam-
keit verwiesen sahen. Leopold und Ferdinand
waren theilnehmende Begleiter auf dem verhaßten
Gange. Beim Abschied konnte Nolten kein Wort
vorbringen, kaum fand er Gelegenheit, dem Bildhauer
ein kurzes Billet an den Grafen nochmals zu empfeh-
len. Larkens's Benehmen drückte einen knirschenden
Schmerz aus, er kehrte das Gesicht ab, während er
Noltens Hand zum lezten Mal faßte.

Wenn der Mensch von einem unerwarteten Strei-
che des ungerechtesten Geschickes betäubt stille steht und
sich allein betrachtet, abgeschlossen von allen äußeren
mitwirkenden Ursachen, wenn das verworrene Geschrei

die Vertilgung ſo merkwürdiger Aktenſtücke nicht über
ſich vermocht, vielmehr lagen ſie über die Zeit der er-
ſten Unterſuchungen als geheimes Depoſitum in dem
Hauſe eines unverdächtigten Bekannten, ſpäter nahm
ſie der Verfaſſer wieder zu ſich und ein verſiegeltes
Portefeuille in ſeinem Pult verwahrte den verrätheri-
ſchen Schatz. Wie ſehr der Umſtand unſern Schauſpie-
ler beunruhigen mußte in dem Augenblick, als ihm die
Feſtnehmung ſeiner eigenen Perſon das Ernſtliche der
Abſicht genugſam bewies, läßt ſich denken; denn daß
man die Briefe finden würde, daß der Inhalt, obwohl
höchſt komiſcher Natur, gar ſehr gegen ihn zeugen müſſe,
war zu erwarten.

Die Beiden wußten kaum, wie ihnen geſchah, als
ſie ſich eines Morgens in zwei abgeſonderte Zimmer
des ſogenannten alten Schloſſes zu trauriger Einſam-
keit verwieſen ſahen. Leopold und Ferdinand
waren theilnehmende Begleiter auf dem verhaßten
Gange. Beim Abſchied konnte Nolten kein Wort
vorbringen, kaum fand er Gelegenheit, dem Bildhauer
ein kurzes Billet an den Grafen nochmals zu empfeh-
len. Larkens’s Benehmen drückte einen knirſchenden
Schmerz aus, er kehrte das Geſicht ab, während er
Noltens Hand zum lezten Mal faßte.

Wenn der Menſch von einem unerwarteten Strei-
che des ungerechteſten Geſchickes betäubt ſtille ſteht und
ſich allein betrachtet, abgeſchloſſen von allen äußeren
mitwirkenden Urſachen, wenn das verworrene Geſchrei

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[252/0260] die Vertilgung ſo merkwürdiger Aktenſtücke nicht über ſich vermocht, vielmehr lagen ſie über die Zeit der er- ſten Unterſuchungen als geheimes Depoſitum in dem Hauſe eines unverdächtigten Bekannten, ſpäter nahm ſie der Verfaſſer wieder zu ſich und ein verſiegeltes Portefeuille in ſeinem Pult verwahrte den verrätheri- ſchen Schatz. Wie ſehr der Umſtand unſern Schauſpie- ler beunruhigen mußte in dem Augenblick, als ihm die Feſtnehmung ſeiner eigenen Perſon das Ernſtliche der Abſicht genugſam bewies, läßt ſich denken; denn daß man die Briefe finden würde, daß der Inhalt, obwohl höchſt komiſcher Natur, gar ſehr gegen ihn zeugen müſſe, war zu erwarten. Die Beiden wußten kaum, wie ihnen geſchah, als ſie ſich eines Morgens in zwei abgeſonderte Zimmer des ſogenannten alten Schloſſes zu trauriger Einſam- keit verwieſen ſahen. Leopold und Ferdinand waren theilnehmende Begleiter auf dem verhaßten Gange. Beim Abſchied konnte Nolten kein Wort vorbringen, kaum fand er Gelegenheit, dem Bildhauer ein kurzes Billet an den Grafen nochmals zu empfeh- len. Larkens’s Benehmen drückte einen knirſchenden Schmerz aus, er kehrte das Geſicht ab, während er Noltens Hand zum lezten Mal faßte. Wenn der Menſch von einem unerwarteten Strei- che des ungerechteſten Geſchickes betäubt ſtille ſteht und ſich allein betrachtet, abgeſchloſſen von allen äußeren mitwirkenden Urſachen, wenn das verworrene Geſchrei

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/260>, abgerufen am 22.07.2024.