Kein Wunder, wenn ihr jezt die kläglichen Worte Thereilens aus dem gestrigen Schauspiele einka- men, das gleichsam weissagend von ihr gesprochen; kein Wunder, gab sie auf einen Augenblick dem wi- dersinnigen Gedanken Raum, als hätte Larkens einige Mal eine boshafte Anspielung auf sie im Sinne gehabt. Aber ganz ist ihr gegenwärtiger Zustand durch die leidenschaftlichen Zeilen bezeichnet:
O armer Zorn! Noch ärmere Liebe! Zornwuth und Liebe Verzweifelnd an einander gehezt, Beiden das Auge voll Thränen, Und Mitleid dazwischen, Ein flehendes Kind!
Desselben Morgens gegen zehn Uhr, als Lar- kens eben von einem Ausgange nach Hause kam, übergab sein Bedienter ihm das braune Kästchen, das die Laterna magica verwahrte; man habe es vor ei- ner Viertelstunde aus dem Zarlin'schen Hause hie- her gebracht nebst dem Danke der gnädigen Frau. Unser Schauspieler öffnete den Deckel, zog begierig die zu oberst liegende Brieftasche heraus, untersuchte sie von allen Seiten und sein Mund verzog sich zu einem vergnügten, doch gewissermaßen befremdeten Lächeln, indem er ausrief: "Bei'm Himmel! die Falle hat ge- lockt, der Speck ist angebissen, und das wacker! kein
Kein Wunder, wenn ihr jezt die kläglichen Worte Thereilens aus dem geſtrigen Schauſpiele einka- men, das gleichſam weiſſagend von ihr geſprochen; kein Wunder, gab ſie auf einen Augenblick dem wi- derſinnigen Gedanken Raum, als hätte Larkens einige Mal eine boshafte Anſpielung auf ſie im Sinne gehabt. Aber ganz iſt ihr gegenwärtiger Zuſtand durch die leidenſchaftlichen Zeilen bezeichnet:
O armer Zorn! Noch ärmere Liebe! Zornwuth und Liebe Verzweifelnd an einander gehezt, Beiden das Auge voll Thränen, Und Mitleid dazwiſchen, Ein flehendes Kind!
Deſſelben Morgens gegen zehn Uhr, als Lar- kens eben von einem Ausgange nach Hauſe kam, übergab ſein Bedienter ihm das braune Käſtchen, das die Laterna magica verwahrte; man habe es vor ei- ner Viertelſtunde aus dem Zarlin’ſchen Hauſe hie- her gebracht nebſt dem Danke der gnädigen Frau. Unſer Schauſpieler öffnete den Deckel, zog begierig die zu oberſt liegende Brieftaſche heraus, unterſuchte ſie von allen Seiten und ſein Mund verzog ſich zu einem vergnügten, doch gewiſſermaßen befremdeten Lächeln, indem er ausrief: „Bei’m Himmel! die Falle hat ge- lockt, der Speck iſt angebiſſen, und das wacker! kein
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Kein Wunder, wenn ihr jezt die kläglichen Worte
Thereilens aus dem geſtrigen Schauſpiele einka-
men, das gleichſam weiſſagend von ihr geſprochen;
kein Wunder, gab ſie auf einen Augenblick dem wi-
derſinnigen Gedanken Raum, als hätte Larkens
einige Mal eine boshafte Anſpielung auf ſie im
Sinne gehabt. Aber ganz iſt ihr gegenwärtiger Zuſtand
durch die leidenſchaftlichen Zeilen bezeichnet:
O armer Zorn!
Noch ärmere Liebe!
Zornwuth und Liebe
Verzweifelnd an einander gehezt,
Beiden das Auge voll Thränen,
Und Mitleid dazwiſchen,
Ein flehendes Kind!
Deſſelben Morgens gegen zehn Uhr, als Lar-
kens eben von einem Ausgange nach Hauſe kam,
übergab ſein Bedienter ihm das braune Käſtchen, das
die Laterna magica verwahrte; man habe es vor ei-
ner Viertelſtunde aus dem Zarlin’ſchen Hauſe hie-
her gebracht nebſt dem Danke der gnädigen Frau.
Unſer Schauſpieler öffnete den Deckel, zog begierig die
zu oberſt liegende Brieftaſche heraus, unterſuchte ſie
von allen Seiten und ſein Mund verzog ſich zu einem
vergnügten, doch gewiſſermaßen befremdeten Lächeln,
indem er ausrief: „Bei’m Himmel! die Falle hat ge-
lockt, der Speck iſt angebiſſen, und das wacker! kein
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/241>, abgerufen am 23.02.2025.
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