dein Licht. Gute Nacht!" -- Unwillig und ängstlich eilte sie auf ihr Zimmer. Daß das, was sie in Händen hielt, Nolten zugehöre, zweifelte sie keinen Augenblick; auch wie es zu dem Larkens'schen Apparate gekommen, erklärte sie sich leicht daher, daß Theobald Einmal hinter die Gardine getreten war, um mit irgend etwas auszuhelfen, wobei er vielleicht der Tasche bedurfte. Aber die Möglichkeit, es könnte außer dem Mädchen sonst noch Jemand neugierig auf den Inhalt derselben gewesen seyn, beunruhigte sie um so stärker, je mehr sie Ursache hatte zu der Vermuthung, daß auch ihr Name und damit ein gefährliches Geheimniß darin be- rührt seyn könnte. Diese Rücksicht und vielleicht mit- unter ein verzeihliches Interesse des eigenen Herzens bewog sie, zwar mit beklommenem Athem, erst nur ei- nen halben Blick, dann einen ganzen, endlich mehrere und immer gierigere Blicke in die Blätter zu werfen. Aber mitten im wärmsten Zuge riß ihr das Gefühl von etwas Unerlaubtem, Verächtlichen die Tasche wie- der aus der Hand. Vor lauter ängstlicher Hast hatte sie bis jezt nichts Zusammenhängendes lesen können, und sie sagte das ihrem Gewissen zum Troste, während sie, dennoch mit einiger Ueberwindung, den Schatz bei Seite legte. Allein plötzlich steigt ihr eine Besorgniß auf, die alles Blut in ihre Wangen jagt. Sie hatte vorhin nur oberflächlich einige Briefe von zarter, unbekannter Schrift gesehen, und, ohne zu wissen warum, an eine Schwester Theobalds dabei gedacht; jezt meldete
dein Licht. Gute Nacht!“ — Unwillig und ängſtlich eilte ſie auf ihr Zimmer. Daß das, was ſie in Händen hielt, Nolten zugehöre, zweifelte ſie keinen Augenblick; auch wie es zu dem Larkens’ſchen Apparate gekommen, erklärte ſie ſich leicht daher, daß Theobald Einmal hinter die Gardine getreten war, um mit irgend etwas auszuhelfen, wobei er vielleicht der Taſche bedurfte. Aber die Möglichkeit, es könnte außer dem Mädchen ſonſt noch Jemand neugierig auf den Inhalt derſelben geweſen ſeyn, beunruhigte ſie um ſo ſtärker, je mehr ſie Urſache hatte zu der Vermuthung, daß auch ihr Name und damit ein gefährliches Geheimniß darin be- rührt ſeyn könnte. Dieſe Rückſicht und vielleicht mit- unter ein verzeihliches Intereſſe des eigenen Herzens bewog ſie, zwar mit beklommenem Athem, erſt nur ei- nen halben Blick, dann einen ganzen, endlich mehrere und immer gierigere Blicke in die Blätter zu werfen. Aber mitten im wärmſten Zuge riß ihr das Gefühl von etwas Unerlaubtem, Verächtlichen die Taſche wie- der aus der Hand. Vor lauter ängſtlicher Haſt hatte ſie bis jezt nichts Zuſammenhängendes leſen können, und ſie ſagte das ihrem Gewiſſen zum Troſte, während ſie, dennoch mit einiger Ueberwindung, den Schatz bei Seite legte. Allein plötzlich ſteigt ihr eine Beſorgniß auf, die alles Blut in ihre Wangen jagt. Sie hatte vorhin nur oberflächlich einige Briefe von zarter, unbekannter Schrift geſehen, und, ohne zu wiſſen warum, an eine Schweſter Theobalds dabei gedacht; jezt meldete
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dein Licht. Gute Nacht!“ — Unwillig und ängſtlich eilte
ſie auf ihr Zimmer. Daß das, was ſie in Händen hielt,
Nolten zugehöre, zweifelte ſie keinen Augenblick; auch
wie es zu dem Larkens’ſchen Apparate gekommen,
erklärte ſie ſich leicht daher, daß Theobald Einmal
hinter die Gardine getreten war, um mit irgend etwas
auszuhelfen, wobei er vielleicht der Taſche bedurfte.
Aber die Möglichkeit, es könnte außer dem Mädchen
ſonſt noch Jemand neugierig auf den Inhalt derſelben
geweſen ſeyn, beunruhigte ſie um ſo ſtärker, je mehr
ſie Urſache hatte zu der Vermuthung, daß auch ihr
Name und damit ein gefährliches Geheimniß darin be-
rührt ſeyn könnte. Dieſe Rückſicht und vielleicht mit-
unter ein verzeihliches Intereſſe des eigenen Herzens
bewog ſie, zwar mit beklommenem Athem, erſt nur ei-
nen halben Blick, dann einen ganzen, endlich mehrere
und immer gierigere Blicke in die Blätter zu werfen.
Aber mitten im wärmſten Zuge riß ihr das Gefühl
von etwas Unerlaubtem, Verächtlichen die Taſche wie-
der aus der Hand. Vor lauter ängſtlicher Haſt hatte
ſie bis jezt nichts Zuſammenhängendes leſen können,
und ſie ſagte das ihrem Gewiſſen zum Troſte, während ſie,
dennoch mit einiger Ueberwindung, den Schatz bei Seite
legte. Allein plötzlich ſteigt ihr eine Beſorgniß auf,
die alles Blut in ihre Wangen jagt. Sie hatte vorhin
nur oberflächlich einige Briefe von zarter, unbekannter
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/230>, abgerufen am 29.12.2024.
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