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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

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dem Schauspieler keinen Zweifel mehr übrig, wen die
Verstimmung betreffe; aber weit entfernt, den Fehler
auf Seiten Agnesens zu suchen, sah er an seinem
Freunde im Stillen nur den seichten Ueberdruß, die
undankbare Laune eines Liebhabers, und es mußte ihn
die kleinlaute Verlegenheit Theobalds, wenn dar-
auf die Rede kam, in der Meinung bestärken, dieser
fühle sein Unrecht. Dem Maler war ein solcher
Irrthum gewissermaßen nicht zuwider, er mochte lieber
den Schein der Untreue haben, als sein wahres Elend
täglich in den Augen des Schauspielers lesen.

Dem Leztern konnte es nicht entgehen, daß die
gewöhnlichen Briefe nach Neuburg seit einiger Zeit
stockten, obwohl von dorther immer welche einliefen,
und so entstand denn in dem sonderbaren Manne der
Entschluß, Noltens Pflicht in diesem Punkte zu
versehen. Allerdings nahm er sogleich das Unsichere
und Zufällige mit in Rechnung, doch zu befürchten
war ja eigentlich nichts, auch wenn das kecke Spiel
früher oder später an den Tag käme.

In der Zwischenzeit aber, d. h. vor der heim-
lichen Einrichtung, in deren Folge nachher Alles vom
Försterhause an den Bräutigam Geschriebene in die
Hände des unächten Correspondenten gelangte, waren
mehrere Briefe theils von Seiten des Alten, theils
von Agnesen selbst an Nolten gekommen, und
sie waren von der Art, daß Theobalds Urtheil, in
sofern es bis jezt unbedingt verwerfend gewesen, sich

dem Schauſpieler keinen Zweifel mehr übrig, wen die
Verſtimmung betreffe; aber weit entfernt, den Fehler
auf Seiten Agneſens zu ſuchen, ſah er an ſeinem
Freunde im Stillen nur den ſeichten Ueberdruß, die
undankbare Laune eines Liebhabers, und es mußte ihn
die kleinlaute Verlegenheit Theobalds, wenn dar-
auf die Rede kam, in der Meinung beſtärken, dieſer
fühle ſein Unrecht. Dem Maler war ein ſolcher
Irrthum gewiſſermaßen nicht zuwider, er mochte lieber
den Schein der Untreue haben, als ſein wahres Elend
täglich in den Augen des Schauſpielers leſen.

Dem Leztern konnte es nicht entgehen, daß die
gewöhnlichen Briefe nach Neuburg ſeit einiger Zeit
ſtockten, obwohl von dorther immer welche einliefen,
und ſo entſtand denn in dem ſonderbaren Manne der
Entſchluß, Noltens Pflicht in dieſem Punkte zu
verſehen. Allerdings nahm er ſogleich das Unſichere
und Zufällige mit in Rechnung, doch zu befürchten
war ja eigentlich nichts, auch wenn das kecke Spiel
früher oder ſpäter an den Tag käme.

In der Zwiſchenzeit aber, d. h. vor der heim-
lichen Einrichtung, in deren Folge nachher Alles vom
Förſterhauſe an den Bräutigam Geſchriebene in die
Hände des unächten Correſpondenten gelangte, waren
mehrere Briefe theils von Seiten des Alten, theils
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[92/0100] dem Schauſpieler keinen Zweifel mehr übrig, wen die Verſtimmung betreffe; aber weit entfernt, den Fehler auf Seiten Agneſens zu ſuchen, ſah er an ſeinem Freunde im Stillen nur den ſeichten Ueberdruß, die undankbare Laune eines Liebhabers, und es mußte ihn die kleinlaute Verlegenheit Theobalds, wenn dar- auf die Rede kam, in der Meinung beſtärken, dieſer fühle ſein Unrecht. Dem Maler war ein ſolcher Irrthum gewiſſermaßen nicht zuwider, er mochte lieber den Schein der Untreue haben, als ſein wahres Elend täglich in den Augen des Schauſpielers leſen. Dem Leztern konnte es nicht entgehen, daß die gewöhnlichen Briefe nach Neuburg ſeit einiger Zeit ſtockten, obwohl von dorther immer welche einliefen, und ſo entſtand denn in dem ſonderbaren Manne der Entſchluß, Noltens Pflicht in dieſem Punkte zu verſehen. Allerdings nahm er ſogleich das Unſichere und Zufällige mit in Rechnung, doch zu befürchten war ja eigentlich nichts, auch wenn das kecke Spiel früher oder ſpäter an den Tag käme. In der Zwiſchenzeit aber, d. h. vor der heim- lichen Einrichtung, in deren Folge nachher Alles vom Förſterhauſe an den Bräutigam Geſchriebene in die Hände des unächten Correſpondenten gelangte, waren mehrere Briefe theils von Seiten des Alten, theils von Agneſen ſelbſt an Nolten gekommen, und ſie waren von der Art, daß Theobalds Urtheil, in ſofern es bis jezt unbedingt verwerfend geweſen, ſich

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/100>, abgerufen am 18.05.2024.