Mörike, Eduard: Mozart auf der Reise nach Prag. Stuttgart u. a., 1856.Der Sommer bringt die Entfernte und bringt Apollo von weitem vernimmt die Stimme der Mörike, Mozart. 5
Der Sommer bringt die Entfernte und bringt Apollo von weitem vernimmt die Stimme der Mörike, Mozart. 5
<TEI> <text> <body> <pb facs="#f0077" n="65"/> <p>Der Sommer bringt die Entfernte und bringt<lb/> ſie mit glücklich umgewandtem Herzen zurück. Das<lb/> Dorf, das Schloß, der Garten, alles empfängt ſie<lb/> mit tauſend Freuden. Roſen und Lilien, in erhöh¬<lb/> tem Schimmer, ſehen entzückt und beſchämt zu ihr<lb/> auf, Glück winken ihr Sträucher und Bäume: für<lb/> Einen, ach, den edelſten, kommt ſie zu ſpät. Sie<lb/> findet ſeine Krone verdorrt, ihre Finger betaſten den<lb/> lebloſen Stamm und die klirrenden Aeſte ſeines Ge¬<lb/> zweigs. Er kennt und ſieht ſeine Pflegerin nimmer.<lb/> Wie weint ſie, wie ſtrömt ihre zärtliche Klage!</p><lb/> <p>Apollo von weitem vernimmt die Stimme der<lb/> Tochter. Er kommt, er tritt herzu und ſchaut mit¬<lb/> fühlend ihren Jammer. Alsbald mit ſeinen allheilen¬<lb/> den Händen berührt er den Baum, daß er in ſich<lb/> erbebt, der vertrocknete Saft in der Rinde gewaltſam<lb/> anſchwillt, ſchon junges Laub ausbricht, ſchon weiße<lb/> Blumen da und dort in ambroſiſcher Fülle aufgehen.<lb/> Ja — denn was vermöchten die Himmliſchen nicht? —<lb/> ſchön runde Früchte ſetzen an, dreimal drei, nach der<lb/> Zahl der neun Schweſtern; ſie wachſen und wachſen,<lb/> ihr kindliches Grün zuſehends mit der Farbe des<lb/> Goldes vertauſchend. Phöbus — ſo ſchloß ſich das<lb/> Gedicht —</p><lb/> <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Mörike</hi>, Mozart. 5<lb/></fw> </body> </text> </TEI> [65/0077]
Der Sommer bringt die Entfernte und bringt
ſie mit glücklich umgewandtem Herzen zurück. Das
Dorf, das Schloß, der Garten, alles empfängt ſie
mit tauſend Freuden. Roſen und Lilien, in erhöh¬
tem Schimmer, ſehen entzückt und beſchämt zu ihr
auf, Glück winken ihr Sträucher und Bäume: für
Einen, ach, den edelſten, kommt ſie zu ſpät. Sie
findet ſeine Krone verdorrt, ihre Finger betaſten den
lebloſen Stamm und die klirrenden Aeſte ſeines Ge¬
zweigs. Er kennt und ſieht ſeine Pflegerin nimmer.
Wie weint ſie, wie ſtrömt ihre zärtliche Klage!
Apollo von weitem vernimmt die Stimme der
Tochter. Er kommt, er tritt herzu und ſchaut mit¬
fühlend ihren Jammer. Alsbald mit ſeinen allheilen¬
den Händen berührt er den Baum, daß er in ſich
erbebt, der vertrocknete Saft in der Rinde gewaltſam
anſchwillt, ſchon junges Laub ausbricht, ſchon weiße
Blumen da und dort in ambroſiſcher Fülle aufgehen.
Ja — denn was vermöchten die Himmliſchen nicht? —
ſchön runde Früchte ſetzen an, dreimal drei, nach der
Zahl der neun Schweſtern; ſie wachſen und wachſen,
ihr kindliches Grün zuſehends mit der Farbe des
Goldes vertauſchend. Phöbus — ſo ſchloß ſich das
Gedicht —
Mörike, Mozart. 5
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