Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite
Läß'st du der Heimath Friedens-Auen,
So manch ein lang gewohntes Glück,
Um dir den eignen Herd zu bauen,
Halb wehmuthsvoll, halb froh zurück:
Getrost! so darf ich laut es zeugen,
Ein würdig Herz hast du gewählt;
Selbst böser Neid bekennt mit Schweigen,
Daß Nichts zu deinem Glücke fehlt.
Denn Heiterkeit und holde Sitte,
Wie Sommerluft, durchwehn dein Haus,
Und, goldbeschuht, mit leisem Tritte
Gehn Segensengel ein und aus."
Die Muse schwieg, und ohne Säumen
Flocht sie nun mit geschäft'ger Hand,
Indeß zu anspruchslosen Reimen
Ich ihre Worte still verband.
Auf einmal hielt sie mir entgegen
Den fertigen Cyanenkranz,
Und sprach: "Bring's Ihr mit meinem Segen!"
Und schwand dahin im Nebelglanz.
Ich aber blieb noch lange lauschen
Von Liedestrunkenheit bewegt,
Das Aehrenfeld begann zu rauschen,
Von Morgenschauern angeregt.
Laͤß'ſt du der Heimath Friedens-Auen,
So manch ein lang gewohntes Gluͤck,
Um dir den eignen Herd zu bauen,
Halb wehmuthsvoll, halb froh zuruͤck:
Getroſt! ſo darf ich laut es zeugen,
Ein wuͤrdig Herz haſt du gewaͤhlt;
Selbſt boͤſer Neid bekennt mit Schweigen,
Daß Nichts zu deinem Gluͤcke fehlt.
Denn Heiterkeit und holde Sitte,
Wie Sommerluft, durchwehn dein Haus,
Und, goldbeſchuht, mit leiſem Tritte
Gehn Segensengel ein und aus.“
Die Muſe ſchwieg, und ohne Saͤumen
Flocht ſie nun mit geſchaͤft'ger Hand,
Indeß zu anſpruchsloſen Reimen
Ich ihre Worte ſtill verband.
Auf einmal hielt ſie mir entgegen
Den fertigen Cyanenkranz,
Und ſprach: „Bring's Ihr mit meinem Segen!“
Und ſchwand dahin im Nebelglanz.
Ich aber blieb noch lange lauſchen
Von Liedestrunkenheit bewegt,
Das Aehrenfeld begann zu rauſchen,
Von Morgenſchauern angeregt.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <pb facs="#f0073" n="57"/>
          <lg n="18">
            <l>La&#x0364;ß'&#x017F;t du der Heimath Friedens-Auen,</l><lb/>
            <l>So manch ein lang gewohntes Glu&#x0364;ck,</l><lb/>
            <l>Um dir den eignen Herd zu bauen,</l><lb/>
            <l>Halb wehmuthsvoll, halb froh zuru&#x0364;ck:</l><lb/>
          </lg>
          <lg n="19">
            <l>Getro&#x017F;t! &#x017F;o darf ich laut es zeugen,</l><lb/>
            <l>Ein wu&#x0364;rdig Herz ha&#x017F;t du gewa&#x0364;hlt;</l><lb/>
            <l>Selb&#x017F;t bo&#x0364;&#x017F;er Neid bekennt mit Schweigen,</l><lb/>
            <l>Daß Nichts zu deinem Glu&#x0364;cke fehlt.</l><lb/>
          </lg>
          <lg n="20">
            <l>Denn Heiterkeit und holde Sitte,</l><lb/>
            <l>Wie Sommerluft, durchwehn dein Haus,</l><lb/>
            <l>Und, goldbe&#x017F;chuht, mit lei&#x017F;em Tritte</l><lb/>
            <l>Gehn Segensengel ein und aus.&#x201C;</l><lb/>
          </lg>
          <lg n="21">
            <l>Die Mu&#x017F;e &#x017F;chwieg, und ohne Sa&#x0364;umen</l><lb/>
            <l>Flocht &#x017F;ie nun mit ge&#x017F;cha&#x0364;ft'ger Hand,</l><lb/>
            <l>Indeß zu an&#x017F;pruchslo&#x017F;en Reimen</l><lb/>
            <l>Ich ihre Worte &#x017F;till verband.</l><lb/>
          </lg>
          <lg n="22">
            <l>Auf einmal hielt &#x017F;ie mir entgegen</l><lb/>
            <l>Den fertigen Cyanenkranz,</l><lb/>
            <l>Und &#x017F;prach: &#x201E;Bring's Ihr mit meinem Segen!&#x201C;</l><lb/>
            <l>Und &#x017F;chwand dahin im Nebelglanz.</l><lb/>
          </lg>
          <lg n="23">
            <l>Ich aber blieb noch lange lau&#x017F;chen</l><lb/>
            <l>Von Liedestrunkenheit bewegt,</l><lb/>
            <l>Das Aehrenfeld begann zu rau&#x017F;chen,</l><lb/>
            <l>Von Morgen&#x017F;chauern angeregt.</l><lb/>
          </lg>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[57/0073] Laͤß'ſt du der Heimath Friedens-Auen, So manch ein lang gewohntes Gluͤck, Um dir den eignen Herd zu bauen, Halb wehmuthsvoll, halb froh zuruͤck: Getroſt! ſo darf ich laut es zeugen, Ein wuͤrdig Herz haſt du gewaͤhlt; Selbſt boͤſer Neid bekennt mit Schweigen, Daß Nichts zu deinem Gluͤcke fehlt. Denn Heiterkeit und holde Sitte, Wie Sommerluft, durchwehn dein Haus, Und, goldbeſchuht, mit leiſem Tritte Gehn Segensengel ein und aus.“ Die Muſe ſchwieg, und ohne Saͤumen Flocht ſie nun mit geſchaͤft'ger Hand, Indeß zu anſpruchsloſen Reimen Ich ihre Worte ſtill verband. Auf einmal hielt ſie mir entgegen Den fertigen Cyanenkranz, Und ſprach: „Bring's Ihr mit meinem Segen!“ Und ſchwand dahin im Nebelglanz. Ich aber blieb noch lange lauſchen Von Liedestrunkenheit bewegt, Das Aehrenfeld begann zu rauſchen, Von Morgenſchauern angeregt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838/73
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838/73>, abgerufen am 06.05.2024.