Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838.Zur Warnung. Einmal nach einer lustigen Nacht War ich am Morgen seltsam aufgewacht: Durst -- Wasserscheu -- ungleich Geblüt, Dabei gerührt und weichlich im Gemüth, Beinah poetisch, ja, ich bat die Muse um ein Lied; Sie, mit verstelltem Pathos, spottet' mein, Gab mir den schnöden Bafel ein: "Es schlagt eine Nachtigall Am Wasserfall; Und ein Vogel ebenfalls, Der schreibt sich Wendehals, Johann Jakob Wendehals; Der thut tanzen Bei den Pflanzen Obbemeldten Wasserfalls --" So ging es fort: mir wurde immer bänger; Jezt sprang ich auf -- zum Wein; der war denn auch mein Retter. -- Merkt's euch, ihr thränenreichen Sänger, Im Katzenjammer ruft man keine Götter! Zur Warnung. Einmal nach einer luſtigen Nacht War ich am Morgen ſeltſam aufgewacht: Durſt — Waſſerſcheu — ungleich Gebluͤt, Dabei geruͤhrt und weichlich im Gemuͤth, Beinah poetiſch, ja, ich bat die Muſe um ein Lied; Sie, mit verſtelltem Pathos, ſpottet' mein, Gab mir den ſchnoͤden Bafel ein: „Es ſchlagt eine Nachtigall Am Waſſerfall; Und ein Vogel ebenfalls, Der ſchreibt ſich Wendehals, Johann Jakob Wendehals; Der thut tanzen Bei den Pflanzen Obbemeldten Waſſerfalls —“ So ging es fort: mir wurde immer baͤnger; Jezt ſprang ich auf — zum Wein; der war denn auch mein Retter. — Merkt's euch, ihr thraͤnenreichen Saͤnger, Im Katzenjammer ruft man keine Goͤtter! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0229" n="213"/> </div> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b">Zur Warnung.</hi><lb/> </head> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Einmal nach einer luſtigen Nacht</l><lb/> <l>War ich am Morgen ſeltſam aufgewacht:</l><lb/> <l>Durſt — Waſſerſcheu — ungleich Gebluͤt,</l><lb/> <l>Dabei geruͤhrt und weichlich im Gemuͤth,</l><lb/> <l>Beinah poetiſch, ja, ich bat die Muſe um ein Lied;</l><lb/> <l>Sie, mit verſtelltem Pathos, ſpottet' mein,</l><lb/> <l>Gab mir den ſchnoͤden Bafel ein:</l><lb/> </lg> <lg n="2"> <l rendition="#et">„<hi rendition="#g">Es ſchlagt eine Nachtigall</hi></l><lb/> <l rendition="#et"><hi rendition="#g">Am Waſſerfall</hi>;</l><lb/> <l rendition="#et"><hi rendition="#g">Und ein Vogel ebenfalls</hi>,</l><lb/> <l rendition="#et"><hi rendition="#g">Der ſchreibt ſich Wendehals</hi>,</l><lb/> <l rendition="#et"><hi rendition="#g">Johann Jakob Wendehals</hi>;</l><lb/> <l rendition="#et"> <hi rendition="#g">Der thut tanzen</hi> </l><lb/> <l rendition="#et"> <hi rendition="#g">Bei den Pflanzen</hi> </l><lb/> <l rendition="#et"><hi rendition="#g">Obbemeldten Waſſerfalls —</hi>“</l><lb/> </lg> <lg n="3"> <l>So ging es fort: mir wurde immer baͤnger;</l><lb/> <l>Jezt ſprang ich auf — zum Wein; der war denn auch<lb/><hi rendition="#et">mein Retter.</hi></l><lb/> <l>— Merkt's euch, ihr thraͤnenreichen Saͤnger,</l><lb/> <l>Im Katzenjammer ruft man keine Goͤtter!</l><lb/> </lg> </lg> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </body> </text> </TEI> [213/0229]
Zur Warnung.
Einmal nach einer luſtigen Nacht
War ich am Morgen ſeltſam aufgewacht:
Durſt — Waſſerſcheu — ungleich Gebluͤt,
Dabei geruͤhrt und weichlich im Gemuͤth,
Beinah poetiſch, ja, ich bat die Muſe um ein Lied;
Sie, mit verſtelltem Pathos, ſpottet' mein,
Gab mir den ſchnoͤden Bafel ein:
„Es ſchlagt eine Nachtigall
Am Waſſerfall;
Und ein Vogel ebenfalls,
Der ſchreibt ſich Wendehals,
Johann Jakob Wendehals;
Der thut tanzen
Bei den Pflanzen
Obbemeldten Waſſerfalls —“
So ging es fort: mir wurde immer baͤnger;
Jezt ſprang ich auf — zum Wein; der war denn auch
mein Retter.
— Merkt's euch, ihr thraͤnenreichen Saͤnger,
Im Katzenjammer ruft man keine Goͤtter!
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Zitationshilfe: | Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838/229>, abgerufen am 03.07.2024. |