Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838.Liebchen tritt von Bergeshöhen In das Thal: da wird es Freude! Wald und Flur wie neu erstehen Vor dem Kind im Rosenkleide; Alles drängt sich nach der Süßen, Alt und Jung will sie begrüßen, Nur der Knabe bleibet aus. Und doch ist ein tiefes Ahnen Von dem Fremdling ihr geblieben; Wie ein Traum will sie's gemahnen An ein früh gehegtes Lieben. Glänzen dann auf allen Wegen Schmuck und Perlen ihr entgegen, Denkt sie wohl, wer es gebracht. Schnell den Schleier vorgezogen, Steht das Töchterchen in Thränen, Und der Mutter Friedensbogen Neigt sich thauend ihrem Sehnen; Erd' und Himmel haben Frieden, Aber ach, sie sind geschieden, Sind getrennt, wie Tag und Nacht. Liebchen tritt von Bergeshoͤhen In das Thal: da wird es Freude! Wald und Flur wie neu erſtehen Vor dem Kind im Roſenkleide; Alles draͤngt ſich nach der Suͤßen, Alt und Jung will ſie begruͤßen, Nur der Knabe bleibet aus. Und doch iſt ein tiefes Ahnen Von dem Fremdling ihr geblieben; Wie ein Traum will ſie's gemahnen An ein fruͤh gehegtes Lieben. Glaͤnzen dann auf allen Wegen Schmuck und Perlen ihr entgegen, Denkt ſie wohl, wer es gebracht. Schnell den Schleier vorgezogen, Steht das Toͤchterchen in Thraͤnen, Und der Mutter Friedensbogen Neigt ſich thauend ihrem Sehnen; Erd' und Himmel haben Frieden, Aber ach, ſie ſind geſchieden, Sind getrennt, wie Tag und Nacht. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0173" n="157"/> <lg n="4"> <l>Liebchen tritt von Bergeshoͤhen</l><lb/> <l>In das Thal: da wird es Freude!</l><lb/> <l>Wald und Flur wie neu erſtehen</l><lb/> <l>Vor dem Kind im Roſenkleide;</l><lb/> <l>Alles draͤngt ſich nach der Suͤßen,</l><lb/> <l>Alt und Jung will ſie begruͤßen,</l><lb/> <l>Nur der Knabe bleibet aus.</l><lb/> </lg> <lg n="5"> <l>Und doch iſt ein tiefes Ahnen</l><lb/> <l>Von dem Fremdling ihr geblieben;</l><lb/> <l>Wie ein Traum will ſie's gemahnen</l><lb/> <l>An ein fruͤh gehegtes Lieben.</l><lb/> <l>Glaͤnzen dann auf allen Wegen</l><lb/> <l>Schmuck und Perlen ihr entgegen,</l><lb/> <l>Denkt ſie wohl, wer es gebracht.</l><lb/> </lg> <lg n="6"> <l>Schnell den Schleier vorgezogen,</l><lb/> <l>Steht das Toͤchterchen in Thraͤnen,</l><lb/> <l>Und der Mutter Friedensbogen</l><lb/> <l>Neigt ſich thauend ihrem Sehnen;</l><lb/> <l>Erd' und Himmel haben Frieden,</l><lb/> <l>Aber ach, <hi rendition="#g">ſie</hi> ſind geſchieden,</l><lb/> <l>Sind getrennt, wie <hi rendition="#g">Tag</hi> und <hi rendition="#g">Nacht</hi>.</l><lb/> </lg> </lg> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </body> </text> </TEI> [157/0173]
Liebchen tritt von Bergeshoͤhen
In das Thal: da wird es Freude!
Wald und Flur wie neu erſtehen
Vor dem Kind im Roſenkleide;
Alles draͤngt ſich nach der Suͤßen,
Alt und Jung will ſie begruͤßen,
Nur der Knabe bleibet aus.
Und doch iſt ein tiefes Ahnen
Von dem Fremdling ihr geblieben;
Wie ein Traum will ſie's gemahnen
An ein fruͤh gehegtes Lieben.
Glaͤnzen dann auf allen Wegen
Schmuck und Perlen ihr entgegen,
Denkt ſie wohl, wer es gebracht.
Schnell den Schleier vorgezogen,
Steht das Toͤchterchen in Thraͤnen,
Und der Mutter Friedensbogen
Neigt ſich thauend ihrem Sehnen;
Erd' und Himmel haben Frieden,
Aber ach, ſie ſind geſchieden,
Sind getrennt, wie Tag und Nacht.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838/173 |
Zitationshilfe: | Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838/173>, abgerufen am 22.07.2024. |