Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite
ll.
Es war ein Kaufherr zu Heilbronn,
Fürwahr ein halber Salomon;
Mit seinen Thalern hätt' man mögen
Den Markt wohl zwiefach pflästern und legen;
Zwar seines Glaubens nur ein Jüd,
Jedoch ein ächt und fromm Gemüth,
Machte manchen Christenbettler satt.
Er hatte drei Häuser in der Stadt,
Indeß er selbst das ganze Jahr,
Oft über Meer, verreiset war.
Weil aber in guter Christen Mitte,
Sein Volk damals viel Tort erlitte,
Ließ Herr Aaron seiner Frauen
Auf dem Land ein Schlößlein bauen,
Ringsum mit Wiesen, See und Wald,
Zur Sommerszeit ein Aufenthalt.
Zu all dem sah sein jung Gemahl
Nur wie das Klagweib im Hochzeitsaal:
Ging weder fischen, weder jagen,
Ließ sich auch nicht vom Maulthier tragen
Durch Berg und Wald, das Dorf entlang,
Wollte kein Saitenspiel, noch Gesang:
Denn ihr einzig Kind, ein Mägdlein zart,
Wie ein Fürstenblut so schön von Art,
War leider taub und stumm geboren,
Auch Kunst und Hoffnung ganz verloreu.
Als nun das Mägdlein, endlich groß
Gleich einer Lilien aufschoß,
ll.
Es war ein Kaufherr zu Heilbronn,
Fuͤrwahr ein halber Salomon;
Mit ſeinen Thalern haͤtt' man moͤgen
Den Markt wohl zwiefach pflaͤſtern und legen;
Zwar ſeines Glaubens nur ein Juͤd,
Jedoch ein aͤcht und fromm Gemuͤth,
Machte manchen Chriſtenbettler ſatt.
Er hatte drei Haͤuſer in der Stadt,
Indeß er ſelbſt das ganze Jahr,
Oft uͤber Meer, verreiſet war.
Weil aber in guter Chriſten Mitte,
Sein Volk damals viel Tort erlitte,
Ließ Herr Aaron ſeiner Frauen
Auf dem Land ein Schloͤßlein bauen,
Ringsum mit Wieſen, See und Wald,
Zur Sommerszeit ein Aufenthalt.
Zu all dem ſah ſein jung Gemahl
Nur wie das Klagweib im Hochzeitſaal:
Ging weder fiſchen, weder jagen,
Ließ ſich auch nicht vom Maulthier tragen
Durch Berg und Wald, das Dorf entlang,
Wollte kein Saitenſpiel, noch Geſang:
Denn ihr einzig Kind, ein Maͤgdlein zart,
Wie ein Fuͤrſtenblut ſo ſchoͤn von Art,
War leider taub und ſtumm geboren,
Auch Kunſt und Hoffnung ganz verloreu.
Als nun das Maͤgdlein, endlich groß
Gleich einer Lilien aufſchoß,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0106" n="90"/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#aq #b">ll.</hi><lb/>
          </head>
          <lg type="poem">
            <lg n="1">
              <l>Es war ein Kaufherr zu Heilbronn,</l><lb/>
              <l>Fu&#x0364;rwahr ein halber Salomon;</l><lb/>
              <l>Mit &#x017F;einen Thalern ha&#x0364;tt' man mo&#x0364;gen</l><lb/>
              <l>Den Markt wohl zwiefach pfla&#x0364;&#x017F;tern und legen;</l><lb/>
              <l>Zwar &#x017F;eines Glaubens nur ein Ju&#x0364;d,</l><lb/>
              <l>Jedoch ein a&#x0364;cht und fromm Gemu&#x0364;th,</l><lb/>
              <l>Machte manchen Chri&#x017F;tenbettler &#x017F;att.</l><lb/>
              <l>Er hatte drei Ha&#x0364;u&#x017F;er in der Stadt,</l><lb/>
              <l>Indeß er &#x017F;elb&#x017F;t das ganze Jahr,</l><lb/>
              <l>Oft u&#x0364;ber Meer, verrei&#x017F;et war.</l><lb/>
              <l>Weil aber in guter Chri&#x017F;ten Mitte,</l><lb/>
              <l>Sein Volk damals viel Tort erlitte,</l><lb/>
              <l>Ließ Herr Aaron &#x017F;einer Frauen</l><lb/>
              <l>Auf dem Land ein Schlo&#x0364;ßlein bauen,</l><lb/>
              <l>Ringsum mit Wie&#x017F;en, See und Wald,</l><lb/>
              <l>Zur Sommerszeit ein Aufenthalt.</l><lb/>
              <l>Zu all dem &#x017F;ah &#x017F;ein jung Gemahl</l><lb/>
              <l>Nur wie das Klagweib im Hochzeit&#x017F;aal:</l><lb/>
              <l>Ging weder fi&#x017F;chen, weder jagen,</l><lb/>
              <l>Ließ &#x017F;ich auch nicht vom Maulthier tragen</l><lb/>
              <l>Durch Berg und Wald, das Dorf entlang,</l><lb/>
              <l>Wollte kein Saiten&#x017F;piel, noch Ge&#x017F;ang:</l><lb/>
              <l>Denn ihr einzig Kind, ein Ma&#x0364;gdlein zart,</l><lb/>
              <l>Wie ein Fu&#x0364;r&#x017F;tenblut &#x017F;o &#x017F;cho&#x0364;n von Art,</l><lb/>
              <l>War leider taub und &#x017F;tumm geboren,</l><lb/>
              <l>Auch Kun&#x017F;t und Hoffnung ganz verloreu.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="2">
              <l>Als nun das Ma&#x0364;gdlein, endlich groß</l><lb/>
              <l>Gleich einer Lilien auf&#x017F;choß,</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[90/0106] ll. Es war ein Kaufherr zu Heilbronn, Fuͤrwahr ein halber Salomon; Mit ſeinen Thalern haͤtt' man moͤgen Den Markt wohl zwiefach pflaͤſtern und legen; Zwar ſeines Glaubens nur ein Juͤd, Jedoch ein aͤcht und fromm Gemuͤth, Machte manchen Chriſtenbettler ſatt. Er hatte drei Haͤuſer in der Stadt, Indeß er ſelbſt das ganze Jahr, Oft uͤber Meer, verreiſet war. Weil aber in guter Chriſten Mitte, Sein Volk damals viel Tort erlitte, Ließ Herr Aaron ſeiner Frauen Auf dem Land ein Schloͤßlein bauen, Ringsum mit Wieſen, See und Wald, Zur Sommerszeit ein Aufenthalt. Zu all dem ſah ſein jung Gemahl Nur wie das Klagweib im Hochzeitſaal: Ging weder fiſchen, weder jagen, Ließ ſich auch nicht vom Maulthier tragen Durch Berg und Wald, das Dorf entlang, Wollte kein Saitenſpiel, noch Geſang: Denn ihr einzig Kind, ein Maͤgdlein zart, Wie ein Fuͤrſtenblut ſo ſchoͤn von Art, War leider taub und ſtumm geboren, Auch Kunſt und Hoffnung ganz verloreu. Als nun das Maͤgdlein, endlich groß Gleich einer Lilien aufſchoß,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838/106
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838/106>, abgerufen am 21.11.2024.