Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Modestinus, Theophilus: Freymüthige Doch Bescheidene Unterredungen Von Kirchen- Religions- Politischen- und Natur-Sachen. Frankfurt (Main) u. a., 1737.

Bild:
<< vorherige Seite


läugnung seiner selbst nicht viel hielten; weiß ich
demnach zwischen solchen und einem andern natür-
lichen Menschen keinen Unterscheid zu finden.
Alamodan. Der Herr Nicander kan sein Hecheln
nicht lassen. Es klebet uns armen Menschen frey-
lich noch viele Schwachheit an; und ist wahr, daß
wir so heilig und unsträfflich nicht wandeln können,
wie wir wohl thun solten; und daß wir von man-
cherley Sorgen der Nahrung; von fleischlichen
Lüsten und Begierden; vom Verlangen in der Welt
etwas über andere erhaben zu seyn u. d. g. uns
nicht frey sprechen können. Wenn wir aber al-
les nur mässig brauchen; so hat GOtt keinen Miß-
fallen daran.
Modestin. Die heilige Schrifft bezeuget: daß
dasjenige, was nicht aus Glauben und im Glauben
geschehe, Sünde sey. Und wo der Mensch nicht
von neuem aus GOtt gebohren wird, so fliessen
seine meiste Actiones, sein Thun und Lassen aus
einem unreinen eigenliebigen Grunde; nützen nicht
viel, und können demnach auch GOtt dem HErrn
nicht gefallen. Denn vor ihme gilt nichts als eine
neue Creatur, oder der Glaube, welcher NB. durch
die Liebe thätig ist, wie Paulus die neue Creatur
selbsten beschreibet und erkläret in der Epistel an
die Galater.
Nicander. Alleine, mein Herr Modestin, was
halten sie denn von denen alten weisen Männern
unter denen Griechen und Römern, welche sehr tu-
gendhafft gelebet, als zum Exempel: Socrate, Epicte-
to, Aristide, Seneca,
u. d. g. wie auch der Chineser
Con-
C 5


laͤugnung ſeiner ſelbſt nicht viel hielten; weiß ich
demnach zwiſchen ſolchen und einem andern natuͤr-
lichen Menſchen keinen Unterſcheid zu finden.
Alamodan. Der Herr Nicander kan ſein Hecheln
nicht laſſen. Es klebet uns armen Menſchen frey-
lich noch viele Schwachheit an; und iſt wahr, daß
wir ſo heilig und unſtraͤfflich nicht wandeln koͤnnen,
wie wir wohl thun ſolten; und daß wir von man-
cherley Sorgen der Nahrung; von fleiſchlichen
Luͤſten und Begierden; vom Verlangen in der Welt
etwas uͤber andere erhaben zu ſeyn u. d. g. uns
nicht frey ſprechen koͤnnen. Wenn wir aber al-
les nur maͤſſig brauchen; ſo hat GOtt keinen Miß-
fallen daran.
Modeſtin. Die heilige Schrifft bezeuget: daß
dasjenige, was nicht aus Glauben und im Glauben
geſchehe, Suͤnde ſey. Und wo der Menſch nicht
von neuem aus GOtt gebohren wird, ſo flieſſen
ſeine meiſte Actiones, ſein Thun und Laſſen aus
einem unreinen eigenliebigen Grunde; nuͤtzen nicht
viel, und koͤnnen demnach auch GOtt dem HErrn
nicht gefallen. Denn vor ihme gilt nichts als eine
neue Creatur, oder der Glaube, welcher NB. durch
die Liebe thaͤtig iſt, wie Paulus die neue Creatur
ſelbſten beſchreibet und erklaͤret in der Epiſtel an
die Galater.
Nicander. Alleine, mein Herr Modeſtin, was
halten ſie denn von denen alten weiſen Maͤnnern
unter denen Griechen und Roͤmern, welche ſehr tu-
gendhafft gelebet, als zum Exempel: Socrate, Epicte-
to, Ariſtide, Seneca,
u. d. g. wie auch der Chineſer
Con-
C 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <sp>
          <p><pb facs="#f0047" n="41"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
la&#x0364;ugnung &#x017F;einer &#x017F;elb&#x017F;t nicht viel hielten; weiß ich<lb/>
demnach zwi&#x017F;chen &#x017F;olchen und einem andern natu&#x0364;r-<lb/>
lichen Men&#x017F;chen keinen Unter&#x017F;cheid zu finden.</p>
        </sp><lb/>
        <sp>
          <speaker> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#i">Alamodan.</hi> </hi> </speaker>
          <p>Der Herr <hi rendition="#aq">Nicander</hi> kan &#x017F;ein Hecheln<lb/>
nicht la&#x017F;&#x017F;en. Es klebet uns armen Men&#x017F;chen frey-<lb/>
lich noch viele Schwachheit an; und i&#x017F;t wahr, daß<lb/>
wir &#x017F;o heilig und un&#x017F;tra&#x0364;fflich nicht wandeln ko&#x0364;nnen,<lb/>
wie wir wohl thun &#x017F;olten; und daß wir von man-<lb/>
cherley Sorgen der Nahrung; von flei&#x017F;chlichen<lb/>
Lu&#x0364;&#x017F;ten und Begierden; vom Verlangen in der Welt<lb/>
etwas u&#x0364;ber andere erhaben zu &#x017F;eyn u. d. g. uns<lb/>
nicht frey &#x017F;prechen ko&#x0364;nnen. Wenn wir aber al-<lb/>
les nur ma&#x0364;&#x017F;&#x017F;ig brauchen; &#x017F;o hat GOtt keinen Miß-<lb/>
fallen daran.</p>
        </sp><lb/>
        <sp>
          <speaker> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#i">Mode&#x017F;tin.</hi> </hi> </speaker>
          <p>Die heilige Schrifft bezeuget: daß<lb/>
dasjenige, was nicht aus Glauben und im Glauben<lb/>
ge&#x017F;chehe, Su&#x0364;nde &#x017F;ey. Und wo der Men&#x017F;ch nicht<lb/>
von neuem aus GOtt gebohren wird, &#x017F;o flie&#x017F;&#x017F;en<lb/>
&#x017F;eine mei&#x017F;te <hi rendition="#aq">Actiones,</hi> &#x017F;ein Thun und La&#x017F;&#x017F;en aus<lb/>
einem unreinen eigenliebigen Grunde; nu&#x0364;tzen nicht<lb/>
viel, und ko&#x0364;nnen demnach auch GOtt dem HErrn<lb/>
nicht gefallen. Denn vor ihme gilt nichts als eine<lb/>
neue Creatur, oder der Glaube, welcher <hi rendition="#aq">NB.</hi> durch<lb/>
die Liebe tha&#x0364;tig i&#x017F;t, wie Paulus die neue Creatur<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;ten be&#x017F;chreibet und erkla&#x0364;ret in der Epi&#x017F;tel an<lb/>
die Galater.</p>
        </sp><lb/>
        <sp>
          <speaker> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#i">Nicander.</hi> </hi> </speaker>
          <p>Alleine, mein Herr <hi rendition="#aq">Mode&#x017F;tin,</hi> was<lb/>
halten &#x017F;ie denn von denen alten wei&#x017F;en Ma&#x0364;nnern<lb/>
unter denen Griechen und Ro&#x0364;mern, welche &#x017F;ehr tu-<lb/>
gendhafft gelebet, als zum Exempel: <hi rendition="#aq">Socrate, Epicte-<lb/>
to, Ari&#x017F;tide, Seneca,</hi> u. d. g. wie auch der Chine&#x017F;er<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">C 5</fw><fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#aq">Con-</hi></fw><lb/></p>
        </sp>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[41/0047] laͤugnung ſeiner ſelbſt nicht viel hielten; weiß ich demnach zwiſchen ſolchen und einem andern natuͤr- lichen Menſchen keinen Unterſcheid zu finden. Alamodan. Der Herr Nicander kan ſein Hecheln nicht laſſen. Es klebet uns armen Menſchen frey- lich noch viele Schwachheit an; und iſt wahr, daß wir ſo heilig und unſtraͤfflich nicht wandeln koͤnnen, wie wir wohl thun ſolten; und daß wir von man- cherley Sorgen der Nahrung; von fleiſchlichen Luͤſten und Begierden; vom Verlangen in der Welt etwas uͤber andere erhaben zu ſeyn u. d. g. uns nicht frey ſprechen koͤnnen. Wenn wir aber al- les nur maͤſſig brauchen; ſo hat GOtt keinen Miß- fallen daran. Modeſtin. Die heilige Schrifft bezeuget: daß dasjenige, was nicht aus Glauben und im Glauben geſchehe, Suͤnde ſey. Und wo der Menſch nicht von neuem aus GOtt gebohren wird, ſo flieſſen ſeine meiſte Actiones, ſein Thun und Laſſen aus einem unreinen eigenliebigen Grunde; nuͤtzen nicht viel, und koͤnnen demnach auch GOtt dem HErrn nicht gefallen. Denn vor ihme gilt nichts als eine neue Creatur, oder der Glaube, welcher NB. durch die Liebe thaͤtig iſt, wie Paulus die neue Creatur ſelbſten beſchreibet und erklaͤret in der Epiſtel an die Galater. Nicander. Alleine, mein Herr Modeſtin, was halten ſie denn von denen alten weiſen Maͤnnern unter denen Griechen und Roͤmern, welche ſehr tu- gendhafft gelebet, als zum Exempel: Socrate, Epicte- to, Ariſtide, Seneca, u. d. g. wie auch der Chineſer Con- C 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/modestinus_unterredungen_1737
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/modestinus_unterredungen_1737/47
Zitationshilfe: Modestinus, Theophilus: Freymüthige Doch Bescheidene Unterredungen Von Kirchen- Religions- Politischen- und Natur-Sachen. Frankfurt (Main) u. a., 1737. , S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/modestinus_unterredungen_1737/47>, abgerufen am 19.04.2024.