Modestinus, Theophilus: Freymüthige Doch Bescheidene Unterredungen Von Kirchen- Religions- Politischen- und Natur-Sachen. Frankfurt (Main) u. a., 1737. Modestin. Mir gefällt unseres lieben Freundes Aufrichtigkeit; Jch zweiffele auch eben wegen seines redlichen Hertzens gar nicht: daß er durch die Gna- de GOttes noch wohl mit der Zeit davon werde ver- sichert und überzeuget werden. Wie mir schon mehr dergleichen Exempel bekannt sind. Jch will zu dem Ende nur einige wenige, meiner Empfindung nach bündige Gründe, anführen, wo sie mich zu hören gelieben. Nicander. Es wird mir solches sehr angenehm seyn. Modestin. Aus des Herrn vorigen Reden habe angemercket/ da er erwehnet: daß mit dem Wachs- thum und denen Kräfften des Leibes, auch die Kräff- te der Seelen zu- und wieder abnehmen, und will daraus schliessen: daß eines mit dem andern verge- he. Alleine vors erste ist hauptsächlich der Unter- scheid des ewigen Geistes und der thierischen See- len, welche wir mit den Thieren gemein haben, wohl zu betrachten. Zu deme werden öffters sehr alte Leute gefunden, deren Leibes-Kräffte zwar abgemat- tet, der Geist des Gemüthes doch noch sehr lebhafft gesund und starck ist: wie von dergleichen viele Ex- empel in der profan- und Kirchen-Historie zu finden, wie denn Agesilaus in seinem hohen Alter bey dem Plutarcho mit Wahrheit saget: Corporis vim con- senescere, animi vero robur praestantibus viris nullo tempore deesse. So ist demnach sein Schluß auf einen sehr schlechten Grund gebauet: ob gleich bey vielen, zumahlen thierischen Menschen, es mehren- theils eintrifft, daß mit Abnahme des Leibes auch die
Modeſtin. Mir gefaͤllt unſeres lieben Freundes Aufrichtigkeit; Jch zweiffele auch eben wegen ſeines redlichen Hertzens gar nicht: daß er durch die Gna- de GOttes noch wohl mit der Zeit davon werde ver- ſichert und uͤberzeuget werden. Wie mir ſchon mehr dergleichen Exempel bekannt ſind. Jch will zu dem Ende nur einige wenige, meiner Empfindung nach buͤndige Gruͤnde, anfuͤhren, wo ſie mich zu hoͤren gelieben. Nicander. Es wird mir ſolches ſehr angenehm ſeyn. Modeſtin. Aus des Herrn vorigen Reden habe angemercket/ da er erwehnet: daß mit dem Wachs- thum und denen Kraͤfften des Leibes, auch die Kraͤff- te der Seelen zu- und wieder abnehmen, und will daraus ſchlieſſen: daß eines mit dem andern verge- he. Alleine vors erſte iſt hauptſaͤchlich der Unter- ſcheid des ewigen Geiſtes und der thieriſchen See- len, welche wir mit den Thieren gemein haben, wohl zu betrachten. Zu deme werden oͤffters ſehr alte Leute gefunden, deren Leibes-Kraͤffte zwar abgemat- tet, der Geiſt des Gemuͤthes doch noch ſehr lebhafft geſund und ſtarck iſt: wie von dergleichen viele Ex- empel in der profan- und Kirchen-Hiſtorie zu finden, wie denn Ageſilaus in ſeinem hohen Alter bey dem Plutarcho mit Wahrheit ſaget: Corporis vim con- ſeneſcere, animi vero robur præſtantibus viris nullo tempore deeſſe. So iſt demnach ſein Schluß auf einen ſehr ſchlechten Grund gebauet: ob gleich bey vielen, zumahlen thieriſchen Menſchen, es mehren- theils eintrifft, daß mit Abnahme des Leibes auch die
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0018" n="12"/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <sp> <speaker> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#i">Modeſtin.</hi> </hi> </speaker> <p>Mir gefaͤllt unſeres lieben Freundes<lb/> Aufrichtigkeit; Jch zweiffele auch eben wegen ſeines<lb/> redlichen Hertzens gar nicht: daß er durch die Gna-<lb/> de GOttes noch wohl mit der Zeit davon werde ver-<lb/> ſichert und uͤberzeuget werden. Wie mir ſchon mehr<lb/> dergleichen Exempel bekannt ſind. Jch will zu dem<lb/> Ende nur einige wenige, meiner Empfindung nach<lb/> buͤndige Gruͤnde, anfuͤhren, wo ſie mich zu hoͤren<lb/> gelieben.</p> </sp><lb/> <sp> <speaker> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#i">Nicander.</hi> </hi> </speaker> <p>Es wird mir ſolches ſehr angenehm<lb/> ſeyn.</p> </sp><lb/> <sp> <speaker> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#i">Modeſtin.</hi> </hi> </speaker> <p>Aus des Herrn vorigen Reden habe<lb/> angemercket/ da er erwehnet: daß mit dem Wachs-<lb/> thum und denen Kraͤfften des Leibes, auch die Kraͤff-<lb/> te der Seelen zu- und wieder abnehmen, und will<lb/> daraus ſchlieſſen: daß eines mit dem andern verge-<lb/> he. Alleine vors erſte iſt hauptſaͤchlich der Unter-<lb/> ſcheid des ewigen Geiſtes und der thieriſchen See-<lb/> len, welche wir mit den Thieren gemein haben, wohl<lb/> zu betrachten. Zu deme werden oͤffters ſehr alte<lb/> Leute gefunden, deren Leibes-Kraͤffte zwar abgemat-<lb/> tet, der Geiſt des Gemuͤthes doch noch ſehr lebhafft<lb/> geſund und ſtarck iſt: wie von dergleichen viele Ex-<lb/> empel in der <hi rendition="#aq">profan-</hi> und Kirchen-Hiſtorie zu finden,<lb/> wie denn <hi rendition="#aq">Ageſilaus</hi> in ſeinem hohen Alter bey dem<lb/><hi rendition="#aq">Plutarcho</hi> mit Wahrheit ſaget: <hi rendition="#aq">Corporis vim con-<lb/> ſeneſcere, animi vero robur præſtantibus viris nullo<lb/> tempore deeſſe.</hi> So iſt demnach ſein Schluß auf<lb/> einen ſehr ſchlechten Grund gebauet: ob gleich bey<lb/> vielen, zumahlen thieriſchen Menſchen, es mehren-<lb/> theils eintrifft, daß mit Abnahme des Leibes auch<lb/> <fw place="bottom" type="catch">die</fw><lb/></p> </sp> </div> </body> </text> </TEI> [12/0018]
Modeſtin. Mir gefaͤllt unſeres lieben Freundes
Aufrichtigkeit; Jch zweiffele auch eben wegen ſeines
redlichen Hertzens gar nicht: daß er durch die Gna-
de GOttes noch wohl mit der Zeit davon werde ver-
ſichert und uͤberzeuget werden. Wie mir ſchon mehr
dergleichen Exempel bekannt ſind. Jch will zu dem
Ende nur einige wenige, meiner Empfindung nach
buͤndige Gruͤnde, anfuͤhren, wo ſie mich zu hoͤren
gelieben.
Nicander. Es wird mir ſolches ſehr angenehm
ſeyn.
Modeſtin. Aus des Herrn vorigen Reden habe
angemercket/ da er erwehnet: daß mit dem Wachs-
thum und denen Kraͤfften des Leibes, auch die Kraͤff-
te der Seelen zu- und wieder abnehmen, und will
daraus ſchlieſſen: daß eines mit dem andern verge-
he. Alleine vors erſte iſt hauptſaͤchlich der Unter-
ſcheid des ewigen Geiſtes und der thieriſchen See-
len, welche wir mit den Thieren gemein haben, wohl
zu betrachten. Zu deme werden oͤffters ſehr alte
Leute gefunden, deren Leibes-Kraͤffte zwar abgemat-
tet, der Geiſt des Gemuͤthes doch noch ſehr lebhafft
geſund und ſtarck iſt: wie von dergleichen viele Ex-
empel in der profan- und Kirchen-Hiſtorie zu finden,
wie denn Ageſilaus in ſeinem hohen Alter bey dem
Plutarcho mit Wahrheit ſaget: Corporis vim con-
ſeneſcere, animi vero robur præſtantibus viris nullo
tempore deeſſe. So iſt demnach ſein Schluß auf
einen ſehr ſchlechten Grund gebauet: ob gleich bey
vielen, zumahlen thieriſchen Menſchen, es mehren-
theils eintrifft, daß mit Abnahme des Leibes auch
die
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/modestinus_unterredungen_1737 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/modestinus_unterredungen_1737/18 |
Zitationshilfe: | Modestinus, Theophilus: Freymüthige Doch Bescheidene Unterredungen Von Kirchen- Religions- Politischen- und Natur-Sachen. Frankfurt (Main) u. a., 1737. , S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/modestinus_unterredungen_1737/18>, abgerufen am 16.07.2024. |