Modestinus, Theophilus: Freymüthige Doch Bescheidene Unterredungen Von Kirchen- Religions- Politischen- und Natur-Sachen. Frankfurt (Main) u. a., 1737. Theogenes. Dem Herrn Nicander nehme ich es gar nicht übel, daß er seine Gedancken frey und aufrichtig eröffnet: sondern lobe vielmehr seine Red- lichkeit, und daß er keinen Heuchler abgiebet. Daß er nun die höchste Glückseligkeit des Menschen in die Vergnügung setzet: ist in richtigem Verstande gantz gut, und sind wir in so weit mit ihme einig. Ob aber eine wahre vollkommene Gemüths-Ruhe in dem Genuß derer Dinge zu finden seye, welche er vorgestellt hat; und ob des Menschen Gemüth nicht zum Genuß eines weit edlern und wichtigern Guts geschaffen und geordnet seye, als diese irrdi- sche vergängliche Dinge sind, welche wir mit denen Thieren gemein haben, wollen wir jetzo untersu- chen und erwegen. Wir haben in unserm vorigen Discours von denen schönen Kräfften des meusch- lichen Willens und Verstandes schon einige Er- wehnung gethan. Wo wir nun das sehnliche Verlangen und den Hunger unseres Geistes nach einer wahren beständigen Glückseligkeit recht er- wegen, werden wir befinden: daß erstlich alle diese eitele vergängliche Dinge den unendlichen Hunger nicht ersättigen können; und dahero auch billig und vernünfftig zu schliessen: daß unser Gemüth zum Genuß eines unendlichen Guten geschaffen seye. Denn sonsten würde der gütigste Schöpffer, als das höchste vollkommenste Gut, solches Seh- nen und Verlangen vergeblich in den Menschen geleget haben, da er doch nichts vergebens thut. Zum andern lehrets die Erfahrung, und bezeugen es J
Theogenes. Dem Herrn Nicander nehme ich es gar nicht uͤbel, daß er ſeine Gedancken frey und aufrichtig eroͤffnet: ſondern lobe vielmehr ſeine Red- lichkeit, und daß er keinen Heuchler abgiebet. Daß er nun die hoͤchſte Gluͤckſeligkeit des Menſchen in die Vergnuͤgung ſetzet: iſt in richtigem Verſtande gantz gut, und ſind wir in ſo weit mit ihme einig. Ob aber eine wahre vollkommene Gemuͤths-Ruhe in dem Genuß derer Dinge zu finden ſeye, welche er vorgeſtellt hat; und ob des Menſchen Gemuͤth nicht zum Genuß eines weit edlern und wichtigern Guts geſchaffen und geordnet ſeye, als dieſe irrdi- ſche vergaͤngliche Dinge ſind, welche wir mit denen Thieren gemein haben, wollen wir jetzo unterſu- chen und erwegen. Wir haben in unſerm vorigen Diſcours von denen ſchoͤnen Kraͤfften des meuſch- lichen Willens und Verſtandes ſchon einige Er- wehnung gethan. Wo wir nun das ſehnliche Verlangen und den Hunger unſeres Geiſtes nach einer wahren beſtaͤndigen Gluͤckſeligkeit recht er- wegen, werden wir befinden: daß erſtlich alle dieſe eitele vergaͤngliche Dinge den unendlichen Hunger nicht erſaͤttigen koͤnnen; und dahero auch billig und vernuͤnfftig zu ſchlieſſen: daß unſer Gemuͤth zum Genuß eines unendlichen Guten geſchaffen ſeye. Denn ſonſten wuͤrde der guͤtigſte Schoͤpffer, als das hoͤchſte vollkommenſte Gut, ſolches Seh- nen und Verlangen vergeblich in den Menſchen geleget haben, da er doch nichts vergebens thut. Zum andern lehrets die Erfahrung, und bezeugen es J
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Theogenes. Dem Herrn Nicander nehme ich es
gar nicht uͤbel, daß er ſeine Gedancken frey und
aufrichtig eroͤffnet: ſondern lobe vielmehr ſeine Red-
lichkeit, und daß er keinen Heuchler abgiebet. Daß
er nun die hoͤchſte Gluͤckſeligkeit des Menſchen in
die Vergnuͤgung ſetzet: iſt in richtigem Verſtande
gantz gut, und ſind wir in ſo weit mit ihme einig.
Ob aber eine wahre vollkommene Gemuͤths-Ruhe
in dem Genuß derer Dinge zu finden ſeye, welche
er vorgeſtellt hat; und ob des Menſchen Gemuͤth
nicht zum Genuß eines weit edlern und wichtigern
Guts geſchaffen und geordnet ſeye, als dieſe irrdi-
ſche vergaͤngliche Dinge ſind, welche wir mit denen
Thieren gemein haben, wollen wir jetzo unterſu-
chen und erwegen. Wir haben in unſerm vorigen
Diſcours von denen ſchoͤnen Kraͤfften des meuſch-
lichen Willens und Verſtandes ſchon einige Er-
wehnung gethan. Wo wir nun das ſehnliche
Verlangen und den Hunger unſeres Geiſtes nach
einer wahren beſtaͤndigen Gluͤckſeligkeit recht er-
wegen, werden wir befinden: daß erſtlich alle dieſe
eitele vergaͤngliche Dinge den unendlichen Hunger
nicht erſaͤttigen koͤnnen; und dahero auch billig
und vernuͤnfftig zu ſchlieſſen: daß unſer Gemuͤth
zum Genuß eines unendlichen Guten geſchaffen
ſeye. Denn ſonſten wuͤrde der guͤtigſte Schoͤpffer,
als das hoͤchſte vollkommenſte Gut, ſolches Seh-
nen und Verlangen vergeblich in den Menſchen
geleget haben, da er doch nichts vergebens thut.
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