Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 2. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae Altona, 1763.Das verlohrne Paradies. Und so war die Erde gebildet; doch lag sie bisher noch, Einem unreifen Embryo gleich, im Schooße der Wasser Eingewickelt, und war nicht zu sehn. Das mächtige Weltmeer Ueberströmte die Fläche der Erde, jedoch nicht vergebens, 270Sondern belebte den ganzen Ball mit befruchtender Wärme Und erhitzte die große Mutter, vom zeugenden Saamen Völlig gesättiget, zur Empfängniß. Da sprach der Allmächtge Jhr, ihr Wasser unter dem Himmel, begebt euch gehorsam All' in einen Raum, und laßt das Trockne sich zeigen! 275Schnell erschienen sogleich die ungeheuren Gebirge [Spaltenumbruch] t), Thürmten den breiten nackenden Rücken empor in die Wolken, Und ihr Gipfel stieg auf in die Luft. So hoch die Gebirge Sich erhoben, so tief sank auch ein hohler, und breiter, Tiefer Boden, ein großes, geraumes Bette der Wasser, 280Und die Wasser flossen dahin mit fröhlicher Eile, Aufgerollt, so wie die fliehenden Tropfen, die über dem Staube Sich zusammengeballt. Wie hohe krystallene Mauren Standen einige da; die andern eileten plötzlich Jn geraden Linien fort; so hatten des Schöpfers 285Mächtge Befehle zur Flucht sie beflügelt. Wie kriegende Heere, (Denn du hast von Kriegen gehört,) beym Schall der Trompeten Unter t) Milton ist hier etwas weitläuftiger,
als die Schrift, da der Gegenstand eini- ge weitere Ausbildung zu erlauben scheint. Er scheint hauptsächlich den 104ten Pf. im 6ten und folgenden Versen vor Augen gehabt zu haben, der gleichfalls ein Lob- gesang auf die Schöpfung ist: Mit der Tiefe deckest du das Erdreich, wie [Spaltenumbruch] mit einem Kleide, und Wasser ste- hen über den Bergen. Aber von deinem Schelten fliehen sie, von dei- nem Donner fahren sie dahin. Die Berge gehen hoch hervor, und die Breiten setzen sich herunter zum Ort, den du ihnen gegründet hast etc. Das verlohrne Paradies. Und ſo war die Erde gebildet; doch lag ſie bisher noch, Einem unreifen Embryo gleich, im Schooße der Waſſer Eingewickelt, und war nicht zu ſehn. Das maͤchtige Weltmeer Ueberſtroͤmte die Flaͤche der Erde, jedoch nicht vergebens, 270Sondern belebte den ganzen Ball mit befruchtender Waͤrme Und erhitzte die große Mutter, vom zeugenden Saamen Voͤllig geſaͤttiget, zur Empfaͤngniß. Da ſprach der Allmaͤchtge Jhr, ihr Waſſer unter dem Himmel, begebt euch gehorſam All’ in einen Raum, und laßt das Trockne ſich zeigen! 275Schnell erſchienen ſogleich die ungeheuren Gebirge [Spaltenumbruch] t), Thuͤrmten den breiten nackenden Ruͤcken empor in die Wolken, Und ihr Gipfel ſtieg auf in die Luft. So hoch die Gebirge Sich erhoben, ſo tief ſank auch ein hohler, und breiter, Tiefer Boden, ein großes, geraumes Bette der Waſſer, 280Und die Waſſer floſſen dahin mit froͤhlicher Eile, Aufgerollt, ſo wie die fliehenden Tropfen, die uͤber dem Staube Sich zuſammengeballt. Wie hohe kryſtallene Mauren Standen einige da; die andern eileten ploͤtzlich Jn geraden Linien fort; ſo hatten des Schoͤpfers 285Maͤchtge Befehle zur Flucht ſie befluͤgelt. Wie kriegende Heere, (Denn du haſt von Kriegen gehoͤrt,) beym Schall der Trompeten Unter t) Milton iſt hier etwas weitlaͤuftiger,
als die Schrift, da der Gegenſtand eini- ge weitere Ausbildung zu erlauben ſcheint. Er ſcheint hauptſaͤchlich den 104ten Pf. im 6ten und folgenden Verſen vor Augen gehabt zu haben, der gleichfalls ein Lob- geſang auf die Schoͤpfung iſt: Mit der Tiefe deckeſt du das Erdreich, wie [Spaltenumbruch] mit einem Kleide, und Waſſer ſte- hen über den Bergen. Aber von deinem Schelten fliehen ſie, von dei- nem Donner fahren ſie dahin. Die Berge gehen hoch hervor, und die Breiten ſetzen ſich herunter zum Ort, den du ihnen gegründet haſt ꝛc. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0032" n="16"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Das verlohrne Paradies.</hi> </fw><lb/> <lg n="14"> <l>Und ſo war die Erde gebildet; doch lag ſie bisher noch,</l><lb/> <l>Einem unreifen Embryo gleich, im Schooße der Waſſer</l><lb/> <l>Eingewickelt, und war nicht zu ſehn. Das maͤchtige Weltmeer</l><lb/> <l>Ueberſtroͤmte die Flaͤche der Erde, jedoch nicht vergebens,<lb/><note place="left">270</note>Sondern belebte den ganzen Ball mit befruchtender Waͤrme</l><lb/> <l>Und erhitzte die große Mutter, vom zeugenden Saamen</l><lb/> <l>Voͤllig geſaͤttiget, zur Empfaͤngniß. Da ſprach der Allmaͤchtge</l><lb/> <l>Jhr, ihr Waſſer unter dem Himmel, begebt euch gehorſam</l><lb/> <l>All’ in einen Raum, und laßt das Trockne ſich zeigen!<lb/><note place="left">275</note>Schnell erſchienen ſogleich die ungeheuren Gebirge <cb/> <note place="foot" n="t)">Milton iſt hier etwas weitlaͤuftiger,<lb/> als die Schrift, da der Gegenſtand eini-<lb/> ge weitere Ausbildung zu erlauben ſcheint.<lb/> Er ſcheint hauptſaͤchlich den 104ten Pf.<lb/> im 6ten und folgenden Verſen vor Augen<lb/> gehabt zu haben, der gleichfalls ein Lob-<lb/> geſang auf die Schoͤpfung iſt: <hi rendition="#fr">Mit der<lb/> Tiefe deckeſt du das Erdreich, wie<lb/><cb/> mit einem Kleide, und Waſſer ſte-<lb/> hen über den Bergen. Aber von<lb/> deinem Schelten fliehen ſie, von dei-<lb/> nem Donner fahren ſie dahin. Die<lb/> Berge gehen hoch hervor, und die<lb/> Breiten ſetzen ſich herunter zum Ort,<lb/> den du ihnen gegründet haſt ꝛc.</hi></note>,</l><lb/> <l>Thuͤrmten den breiten nackenden Ruͤcken empor in die Wolken,</l><lb/> <l>Und ihr Gipfel ſtieg auf in die Luft. So hoch die Gebirge</l><lb/> <l>Sich erhoben, ſo tief ſank auch ein hohler, und breiter,</l><lb/> <l>Tiefer Boden, ein großes, geraumes Bette der Waſſer,<lb/><note place="left">280</note>Und die Waſſer floſſen dahin mit froͤhlicher Eile,</l><lb/> <l>Aufgerollt, ſo wie die fliehenden Tropfen, die uͤber dem Staube</l><lb/> <l>Sich zuſammengeballt. Wie hohe kryſtallene Mauren</l><lb/> <l>Standen einige da; die andern eileten ploͤtzlich</l><lb/> <l>Jn geraden Linien fort; ſo hatten des Schoͤpfers<lb/><note place="left">285</note>Maͤchtge Befehle zur Flucht ſie befluͤgelt. Wie kriegende Heere,<lb/> (Denn du haſt von Kriegen gehoͤrt,) beym Schall der Trompeten<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Unter</fw><lb/></l> </lg> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [16/0032]
Das verlohrne Paradies.
Und ſo war die Erde gebildet; doch lag ſie bisher noch,
Einem unreifen Embryo gleich, im Schooße der Waſſer
Eingewickelt, und war nicht zu ſehn. Das maͤchtige Weltmeer
Ueberſtroͤmte die Flaͤche der Erde, jedoch nicht vergebens,
Sondern belebte den ganzen Ball mit befruchtender Waͤrme
Und erhitzte die große Mutter, vom zeugenden Saamen
Voͤllig geſaͤttiget, zur Empfaͤngniß. Da ſprach der Allmaͤchtge
Jhr, ihr Waſſer unter dem Himmel, begebt euch gehorſam
All’ in einen Raum, und laßt das Trockne ſich zeigen!
Schnell erſchienen ſogleich die ungeheuren Gebirge
t),
Thuͤrmten den breiten nackenden Ruͤcken empor in die Wolken,
Und ihr Gipfel ſtieg auf in die Luft. So hoch die Gebirge
Sich erhoben, ſo tief ſank auch ein hohler, und breiter,
Tiefer Boden, ein großes, geraumes Bette der Waſſer,
Und die Waſſer floſſen dahin mit froͤhlicher Eile,
Aufgerollt, ſo wie die fliehenden Tropfen, die uͤber dem Staube
Sich zuſammengeballt. Wie hohe kryſtallene Mauren
Standen einige da; die andern eileten ploͤtzlich
Jn geraden Linien fort; ſo hatten des Schoͤpfers
Maͤchtge Befehle zur Flucht ſie befluͤgelt. Wie kriegende Heere,
(Denn du haſt von Kriegen gehoͤrt,) beym Schall der Trompeten
Unter
t) Milton iſt hier etwas weitlaͤuftiger,
als die Schrift, da der Gegenſtand eini-
ge weitere Ausbildung zu erlauben ſcheint.
Er ſcheint hauptſaͤchlich den 104ten Pf.
im 6ten und folgenden Verſen vor Augen
gehabt zu haben, der gleichfalls ein Lob-
geſang auf die Schoͤpfung iſt: Mit der
Tiefe deckeſt du das Erdreich, wie
mit einem Kleide, und Waſſer ſte-
hen über den Bergen. Aber von
deinem Schelten fliehen ſie, von dei-
nem Donner fahren ſie dahin. Die
Berge gehen hoch hervor, und die
Breiten ſetzen ſich herunter zum Ort,
den du ihnen gegründet haſt ꝛc.
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