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Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 2. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae Altona, 1763.

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Das verlohrne Paradies. Neunter Gesang.

Die ich dir, Undankbare, so voller Großmuth bezeiget,
Da du verlohren warest, nicht Jch? Jch konnte ja leben,
Und unsterbliche Freuden genießen, und wählte mit dir doch
1200Lieber freywillig den Tod. Und nunmehr bin ich die Ursach

Deines Verbrechens? Bin, wie du sagst, in meinem Verbothe
Strenge genug nicht gewesen? Was konnt ich denn mehr noch? Jch warnte,
Jch ermahnete dich, und sagte vorher die Gefahr dir,
Und den laurenden Feind, im Hinterhalte verborgen.
1205Mehr als dieses heißt Zwang; und soll der Wille noch frey seyn,

So hat Zwang hier nicht statt. Doch ein zu stolzes Vertrauen
Trieb dich fort; du verließest dich drauf, daß keine Gefahr sey,
Oder daß du dadurch zu einer rühmlichen Prüfung
Anlaß bekämst. Auch ich, ich habe vielleicht drinn gefehlet,
1210Daß ich zu sehr das bewundert, was so vollkommen in dir scheint,

Und gedacht, es dürfe sich dir kein Uebel nicht nahen.
Diesen Jrrthum bereu ich zu spät; er wird mein Verbrechen,
Und macht dich zu meinem Verkläger. So wird es in Zukunft
Jeglichem gehn, der zu sehr der Tugend des Weibes vertrauet,
1215Und ihr zu herrschen erlaubt. Einschränkung kann sie nicht dulden,

Und, ist sie sich selber gelassen, und folget draus Unglück:
Wird sie am ersten die Schuld auf seine Gefälligkeit werfen.

So verschwendeten sie in wechselsweiser Beschuldgung
Fruchtlos die Stunden, da keines von ihnen sich selber verdammte;
1220Und kein Ende sah man von ihrem vergeblichen Zwiste.
Das

Das verlohrne Paradies. Neunter Geſang.

Die ich dir, Undankbare, ſo voller Großmuth bezeiget,
Da du verlohren wareſt, nicht Jch? Jch konnte ja leben,
Und unſterbliche Freuden genießen, und waͤhlte mit dir doch
1200Lieber freywillig den Tod. Und nunmehr bin ich die Urſach

Deines Verbrechens? Bin, wie du ſagſt, in meinem Verbothe
Strenge genug nicht geweſen? Was konnt ich denn mehr noch? Jch warnte,
Jch ermahnete dich, und ſagte vorher die Gefahr dir,
Und den laurenden Feind, im Hinterhalte verborgen.
1205Mehr als dieſes heißt Zwang; und ſoll der Wille noch frey ſeyn,

So hat Zwang hier nicht ſtatt. Doch ein zu ſtolzes Vertrauen
Trieb dich fort; du verließeſt dich drauf, daß keine Gefahr ſey,
Oder daß du dadurch zu einer ruͤhmlichen Pruͤfung
Anlaß bekaͤmſt. Auch ich, ich habe vielleicht drinn gefehlet,
1210Daß ich zu ſehr das bewundert, was ſo vollkommen in dir ſcheint,

Und gedacht, es duͤrfe ſich dir kein Uebel nicht nahen.
Dieſen Jrrthum bereu ich zu ſpaͤt; er wird mein Verbrechen,
Und macht dich zu meinem Verklaͤger. So wird es in Zukunft
Jeglichem gehn, der zu ſehr der Tugend des Weibes vertrauet,
1215Und ihr zu herrſchen erlaubt. Einſchraͤnkung kann ſie nicht dulden,

Und, iſt ſie ſich ſelber gelaſſen, und folget draus Ungluͤck:
Wird ſie am erſten die Schuld auf ſeine Gefaͤlligkeit werfen.

So verſchwendeten ſie in wechſelsweiſer Beſchuldgung
Fruchtlos die Stunden, da keines von ihnen ſich ſelber verdammte;
1220Und kein Ende ſah man von ihrem vergeblichen Zwiſte.
Das
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[118/0140] Das verlohrne Paradies. Neunter Geſang. Die ich dir, Undankbare, ſo voller Großmuth bezeiget, Da du verlohren wareſt, nicht Jch? Jch konnte ja leben, Und unſterbliche Freuden genießen, und waͤhlte mit dir doch Lieber freywillig den Tod. Und nunmehr bin ich die Urſach Deines Verbrechens? Bin, wie du ſagſt, in meinem Verbothe Strenge genug nicht geweſen? Was konnt ich denn mehr noch? Jch warnte, Jch ermahnete dich, und ſagte vorher die Gefahr dir, Und den laurenden Feind, im Hinterhalte verborgen. Mehr als dieſes heißt Zwang; und ſoll der Wille noch frey ſeyn, So hat Zwang hier nicht ſtatt. Doch ein zu ſtolzes Vertrauen Trieb dich fort; du verließeſt dich drauf, daß keine Gefahr ſey, Oder daß du dadurch zu einer ruͤhmlichen Pruͤfung Anlaß bekaͤmſt. Auch ich, ich habe vielleicht drinn gefehlet, Daß ich zu ſehr das bewundert, was ſo vollkommen in dir ſcheint, Und gedacht, es duͤrfe ſich dir kein Uebel nicht nahen. Dieſen Jrrthum bereu ich zu ſpaͤt; er wird mein Verbrechen, Und macht dich zu meinem Verklaͤger. So wird es in Zukunft Jeglichem gehn, der zu ſehr der Tugend des Weibes vertrauet, Und ihr zu herrſchen erlaubt. Einſchraͤnkung kann ſie nicht dulden, Und, iſt ſie ſich ſelber gelaſſen, und folget draus Ungluͤck: Wird ſie am erſten die Schuld auf ſeine Gefaͤlligkeit werfen. So verſchwendeten ſie in wechſelsweiſer Beſchuldgung Fruchtlos die Stunden, da keines von ihnen ſich ſelber verdammte; Und kein Ende ſah man von ihrem vergeblichen Zwiſte. Das

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Zitationshilfe: Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 2. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae Altona, 1763, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies02_1763/140>, abgerufen am 24.11.2024.