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Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 2. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae Altona, 1763.

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Das verlohrne Paradies.

Schon bey dem ersten Versuch dem Stummen die Sprache verliehen,
Und die Zunge, die nicht vorher zum Reden gemacht war,
775Doch dein Lob zu reden gelehrt. Dein Lob hat auch der nicht

Vor uns verheelt, der deinen Gebrauch verwehret, indem er
Dich den Baum der Erkenntniß genannt, der Erkenntniß des Guten
Und des Bösen; und dann erst hernach verbiethet zu essen.
Doch sein Verboth preist mehr nur dich an, indem es das Gute,
780Welches du mittheilst, und welches uns fehlt, nur mehr noch entdecket.

Denn das Gute, von dem man nicht weiß, daß man es besitzet,
Jst nur unstreitig so viel, als ob man es gar nicht besäße.
Was verbiethet er denn? Was, als Erkenntniß! Verbiethet
Uns das Gute, verbiethet er uns, noch weiser zu werden.
785Solch ein Geboth verpflichtet uns nicht! Doch bänd' uns der Tod nun

Künftig mit seinen gewaltigen Banden: was hülf' uns die Freyheit
Unserer Seele? denn an dem Tage, (so lautet das Urtheil,)
Da wir von dieser vortrefflichen Frucht zu essen es wagen,
Werden wir sterben. Doch stirbt denn die Schlange? Sie hat ja gegessen,
790Und lebt doch, und besitzt Erkenntniß, und redet, und urtheilt

Voller Vernunft, da kurz noch zuvor die Vernunft ihr versagt war.
Jst denn also der Tod für uns allein nur erfunden?
Oder ist diese Speise der Götter, die Thieren erlaubt ist,
Uns allein nur verwehrt? Sie scheint den Thieren vergönnet,
795Und das einzige Thier, so sie am ersten gekostet,

Misgönnt nicht dem Menschen die Frucht; es bringet mit Freuden
Dieß ihm zugefallene Gut. Von allem Verdachte
Jst es frey, und dem Menschen geneigt; es kennet nicht Listen

Oder

Das verlohrne Paradies.

Schon bey dem erſten Verſuch dem Stummen die Sprache verliehen,
Und die Zunge, die nicht vorher zum Reden gemacht war,
775Doch dein Lob zu reden gelehrt. Dein Lob hat auch der nicht

Vor uns verheelt, der deinen Gebrauch verwehret, indem er
Dich den Baum der Erkenntniß genannt, der Erkenntniß des Guten
Und des Boͤſen; und dann erſt hernach verbiethet zu eſſen.
Doch ſein Verboth preiſt mehr nur dich an, indem es das Gute,
780Welches du mittheilſt, und welches uns fehlt, nur mehr noch entdecket.

Denn das Gute, von dem man nicht weiß, daß man es beſitzet,
Jſt nur unſtreitig ſo viel, als ob man es gar nicht beſaͤße.
Was verbiethet er denn? Was, als Erkenntniß! Verbiethet
Uns das Gute, verbiethet er uns, noch weiſer zu werden.
785Solch ein Geboth verpflichtet uns nicht! Doch baͤnd’ uns der Tod nun

Kuͤnftig mit ſeinen gewaltigen Banden: was huͤlf’ uns die Freyheit
Unſerer Seele? denn an dem Tage, (ſo lautet das Urtheil,)
Da wir von dieſer vortrefflichen Frucht zu eſſen es wagen,
Werden wir ſterben. Doch ſtirbt denn die Schlange? Sie hat ja gegeſſen,
790Und lebt doch, und beſitzt Erkenntniß, und redet, und urtheilt

Voller Vernunft, da kurz noch zuvor die Vernunft ihr verſagt war.
Jſt denn alſo der Tod fuͤr uns allein nur erfunden?
Oder iſt dieſe Speiſe der Goͤtter, die Thieren erlaubt iſt,
Uns allein nur verwehrt? Sie ſcheint den Thieren vergoͤnnet,
795Und das einzige Thier, ſo ſie am erſten gekoſtet,

Misgoͤnnt nicht dem Menſchen die Frucht; es bringet mit Freuden
Dieß ihm zugefallene Gut. Von allem Verdachte
Jſt es frey, und dem Menſchen geneigt; es kennet nicht Liſten

Oder
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[100/0120] Das verlohrne Paradies. Schon bey dem erſten Verſuch dem Stummen die Sprache verliehen, Und die Zunge, die nicht vorher zum Reden gemacht war, Doch dein Lob zu reden gelehrt. Dein Lob hat auch der nicht Vor uns verheelt, der deinen Gebrauch verwehret, indem er Dich den Baum der Erkenntniß genannt, der Erkenntniß des Guten Und des Boͤſen; und dann erſt hernach verbiethet zu eſſen. Doch ſein Verboth preiſt mehr nur dich an, indem es das Gute, Welches du mittheilſt, und welches uns fehlt, nur mehr noch entdecket. Denn das Gute, von dem man nicht weiß, daß man es beſitzet, Jſt nur unſtreitig ſo viel, als ob man es gar nicht beſaͤße. Was verbiethet er denn? Was, als Erkenntniß! Verbiethet Uns das Gute, verbiethet er uns, noch weiſer zu werden. Solch ein Geboth verpflichtet uns nicht! Doch baͤnd’ uns der Tod nun Kuͤnftig mit ſeinen gewaltigen Banden: was huͤlf’ uns die Freyheit Unſerer Seele? denn an dem Tage, (ſo lautet das Urtheil,) Da wir von dieſer vortrefflichen Frucht zu eſſen es wagen, Werden wir ſterben. Doch ſtirbt denn die Schlange? Sie hat ja gegeſſen, Und lebt doch, und beſitzt Erkenntniß, und redet, und urtheilt Voller Vernunft, da kurz noch zuvor die Vernunft ihr verſagt war. Jſt denn alſo der Tod fuͤr uns allein nur erfunden? Oder iſt dieſe Speiſe der Goͤtter, die Thieren erlaubt iſt, Uns allein nur verwehrt? Sie ſcheint den Thieren vergoͤnnet, Und das einzige Thier, ſo ſie am erſten gekoſtet, Misgoͤnnt nicht dem Menſchen die Frucht; es bringet mit Freuden Dieß ihm zugefallene Gut. Von allem Verdachte Jſt es frey, und dem Menſchen geneigt; es kennet nicht Liſten Oder

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Zitationshilfe: Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 2. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae Altona, 1763, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies02_1763/120>, abgerufen am 26.11.2024.