Eure Furcht vorm Tode hebt selber die Furcht auf. Warum denn Untersagt er die Frucht? Warum? allein, euch zu schrecken, Jn unwissender Niedrigkeit euch als seine Verehrer, Seine Sklaven, zu halten. Er weiß, euch werden die Augen, 730Die itzt heiter euch scheinen, und doch von Dunkel umhüllt sind, Wenn ihr esset, eröffnet; mit aufgeklärteren Blicken Werdet ihr seyn, wie Götter, und von dem Guten und Bösen So viel wissen, als sie. Daß ihr seyn werdet wie Götter, Muß nach aller Verhältniß erfolgen, indem ich dem Geist nach 735Mensch geworden. Denn bin ich als Thier zum Menschen geworden, O so werdet ihr Götter aus Menschen. Jhr werdet vielleicht so Sterben, indem ihr das Kleid der Menschheit verändert, die Gottheit Anzunehmen; ein Tod, der, wenn er nichts schlimmers hervorbringt, Allzuwünschenswerth ist, obgleich ihn Strafe gedrohet. 740Und was sind denn die Götter, daß Menschen nicht eben das würden, Wenn sie die Speise der Götter genießen? Die Götter, so glaubt man, Waren zuerst; nach diesem Glauben kömmt alles von ihnen. Doch ich leugne die Folge. Denn diesen herrlichen Erdkreis Seh ich allein durch die Sonn' erwärmt, die alles hervorbringt; 745Aber was bringen die Götter hervor? Woferne von ihnen Alle Dinge gekommen; wer hat denn die Kenntniß des Guten Und des Bösen hier so in diesem Baume verschlossen, Daß sie jeder, der von ihm ißt, auch wider den Willen Dieser Götter erlängt? Worinnen besteht die Beleidgung, 750Daß man also zur Weisheit kömmt? Was kann es ihm schaden, Daß ihr weiser geworden? was kann, wenn alles doch sein ist,
Dieser
Das verlohrne Paradies.
Eure Furcht vorm Tode hebt ſelber die Furcht auf. Warum denn Unterſagt er die Frucht? Warum? allein, euch zu ſchrecken, Jn unwiſſender Niedrigkeit euch als ſeine Verehrer, Seine Sklaven, zu halten. Er weiß, euch werden die Augen, 730Die itzt heiter euch ſcheinen, und doch von Dunkel umhuͤllt ſind, Wenn ihr eſſet, eroͤffnet; mit aufgeklaͤrteren Blicken Werdet ihr ſeyn, wie Goͤtter, und von dem Guten und Boͤſen So viel wiſſen, als ſie. Daß ihr ſeyn werdet wie Goͤtter, Muß nach aller Verhaͤltniß erfolgen, indem ich dem Geiſt nach 735Menſch geworden. Denn bin ich als Thier zum Menſchen geworden, O ſo werdet ihr Goͤtter aus Menſchen. Jhr werdet vielleicht ſo Sterben, indem ihr das Kleid der Menſchheit veraͤndert, die Gottheit Anzunehmen; ein Tod, der, wenn er nichts ſchlimmers hervorbringt, Allzuwuͤnſchenswerth iſt, obgleich ihn Strafe gedrohet. 740Und was ſind denn die Goͤtter, daß Menſchen nicht eben das wuͤrden, Wenn ſie die Speiſe der Goͤtter genießen? Die Goͤtter, ſo glaubt man, Waren zuerſt; nach dieſem Glauben koͤmmt alles von ihnen. Doch ich leugne die Folge. Denn dieſen herrlichen Erdkreis Seh ich allein durch die Sonn’ erwaͤrmt, die alles hervorbringt; 745Aber was bringen die Goͤtter hervor? Woferne von ihnen Alle Dinge gekommen; wer hat denn die Kenntniß des Guten Und des Boͤſen hier ſo in dieſem Baume verſchloſſen, Daß ſie jeder, der von ihm ißt, auch wider den Willen Dieſer Goͤtter erlaͤngt? Worinnen beſteht die Beleidgung, 750Daß man alſo zur Weisheit koͤmmt? Was kann es ihm ſchaden, Daß ihr weiſer geworden? was kann, wenn alles doch ſein iſt,
Dieſer
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Das verlohrne Paradies.
Eure Furcht vorm Tode hebt ſelber die Furcht auf. Warum denn
Unterſagt er die Frucht? Warum? allein, euch zu ſchrecken,
Jn unwiſſender Niedrigkeit euch als ſeine Verehrer,
Seine Sklaven, zu halten. Er weiß, euch werden die Augen,
Die itzt heiter euch ſcheinen, und doch von Dunkel umhuͤllt ſind,
Wenn ihr eſſet, eroͤffnet; mit aufgeklaͤrteren Blicken
Werdet ihr ſeyn, wie Goͤtter, und von dem Guten und Boͤſen
So viel wiſſen, als ſie. Daß ihr ſeyn werdet wie Goͤtter,
Muß nach aller Verhaͤltniß erfolgen, indem ich dem Geiſt nach
Menſch geworden. Denn bin ich als Thier zum Menſchen geworden,
O ſo werdet ihr Goͤtter aus Menſchen. Jhr werdet vielleicht ſo
Sterben, indem ihr das Kleid der Menſchheit veraͤndert, die Gottheit
Anzunehmen; ein Tod, der, wenn er nichts ſchlimmers hervorbringt,
Allzuwuͤnſchenswerth iſt, obgleich ihn Strafe gedrohet.
Und was ſind denn die Goͤtter, daß Menſchen nicht eben das wuͤrden,
Wenn ſie die Speiſe der Goͤtter genießen? Die Goͤtter, ſo glaubt man,
Waren zuerſt; nach dieſem Glauben koͤmmt alles von ihnen.
Doch ich leugne die Folge. Denn dieſen herrlichen Erdkreis
Seh ich allein durch die Sonn’ erwaͤrmt, die alles hervorbringt;
Aber was bringen die Goͤtter hervor? Woferne von ihnen
Alle Dinge gekommen; wer hat denn die Kenntniß des Guten
Und des Boͤſen hier ſo in dieſem Baume verſchloſſen,
Daß ſie jeder, der von ihm ißt, auch wider den Willen
Dieſer Goͤtter erlaͤngt? Worinnen beſteht die Beleidgung,
Daß man alſo zur Weisheit koͤmmt? Was kann es ihm ſchaden,
Daß ihr weiſer geworden? was kann, wenn alles doch ſein iſt,
Dieſer
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Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 2. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae Altona, 1763, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies02_1763/118>, abgerufen am 23.07.2024.
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