Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 1. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae. Altona, 1760.

Bild:
<< vorherige Seite

Das verlohrne Paradies.
Treu, und standhaft bey ihm. Wie wenn das Feuer vom Himmel
Jn die Eichen des Waldes, und in die Bergfichten schläget,
Jhre stattliche Länge, mit kahlem versengeten Gipfel,
605Auf der Haide verbrannt steht. Er war itzt zu sprechen bereitet;
Deshalb schwenkten die doppelten Reihen von Flügel zu Flügel
Sich um ihn her, und schlossen mit allen Großen des Reiches
Rund ihn ein, und Aufmerksamkeit erhielt sie im Schweigen.
Dreymal versucht er zu reden b), und dreymal brachen die Thränen
610Trotz des Hochmuths hervor, aus seinen verfinsterten Augen;
Thränen, wie Engel sie weinen. Doch endlich fanden die Worte,
Unterflochten mit tiefen Seufzern, also den Ausgang:

O ihr Myriaden unsterblicher Geister; ihr Kräfte,
Die ihr mit nichts zu vergleichen, als mit dem Allmächtgen! der Streit selbst,
615Den wir mit ihm geführt, war ohne Ruhm nicht; so grausam
Auch der Ausgang gewesen, wie dieser Platz uns beweiset,
Und der grausame Wechsel, woran nicht ohn' Abscheu zu denken:
Aber welch eine Kraft des Gemüthes, und welche Gabe,
Etwas vorher zu sehn, und in die Zukunft zu schauen,
620Hätt' aus der tiefen Erkenntniß des Gegenwärtgen, und Künftgen,
Jemals fürchten können, daß eine Kriegsmacht von Göttern,
So wie diese vereinigt, und die so fest stand, wie diese,
Würde geschlagen werden? und wer kann itzo noch glauben,
Selbst
b) Er hat den Ovid in Gedanken, Met. XI, 419.
[Spaltenumbruch] Ter conata loqui, ter fletibus ora
rigavit.

[Spaltenumbruch] Dreymal versucht sie, zu reden, und
dreymal netzt sie mit Thränen
Jhre Wangen. Bentley.

Das verlohrne Paradies.
Treu, und ſtandhaft bey ihm. Wie wenn das Feuer vom Himmel
Jn die Eichen des Waldes, und in die Bergfichten ſchlaͤget,
Jhre ſtattliche Laͤnge, mit kahlem verſengeten Gipfel,
605Auf der Haide verbrannt ſteht. Er war itzt zu ſprechen bereitet;
Deshalb ſchwenkten die doppelten Reihen von Fluͤgel zu Fluͤgel
Sich um ihn her, und ſchloſſen mit allen Großen des Reiches
Rund ihn ein, und Aufmerkſamkeit erhielt ſie im Schweigen.
Dreymal verſucht er zu reden b), und dreymal brachen die Thraͤnen
610Trotz des Hochmuths hervor, aus ſeinen verfinſterten Augen;
Thraͤnen, wie Engel ſie weinen. Doch endlich fanden die Worte,
Unterflochten mit tiefen Seufzern, alſo den Ausgang:

O ihr Myriaden unſterblicher Geiſter; ihr Kraͤfte,
Die ihr mit nichts zu vergleichen, als mit dem Allmaͤchtgen! der Streit ſelbſt,
615Den wir mit ihm gefuͤhrt, war ohne Ruhm nicht; ſo grauſam
Auch der Ausgang geweſen, wie dieſer Platz uns beweiſet,
Und der grauſame Wechſel, woran nicht ohn’ Abſcheu zu denken:
Aber welch eine Kraft des Gemuͤthes, und welche Gabe,
Etwas vorher zu ſehn, und in die Zukunft zu ſchauen,
620Haͤtt’ aus der tiefen Erkenntniß des Gegenwaͤrtgen, und Kuͤnftgen,
Jemals fuͤrchten koͤnnen, daß eine Kriegsmacht von Goͤttern,
So wie dieſe vereinigt, und die ſo feſt ſtand, wie dieſe,
Wuͤrde geſchlagen werden? und wer kann itzo noch glauben,
Selbſt
b) Er hat den Ovid in Gedanken, Met. XI, 419.
[Spaltenumbruch] Ter conata loqui, ter fletibus ora
rigavit.

[Spaltenumbruch] Dreymal verſucht ſie, zu reden, und
dreymal netzt ſie mit Thraͤnen
Jhre Wangen. Bentley.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <lg n="16">
            <pb facs="#f0048" n="34"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Das verlohrne Paradies.</hi> </fw><lb/>
            <l>Treu, und &#x017F;tandhaft bey ihm. Wie wenn das Feuer vom Himmel</l><lb/>
            <l>Jn die Eichen des Waldes, und in die Bergfichten &#x017F;chla&#x0364;get,</l><lb/>
            <l>Jhre &#x017F;tattliche La&#x0364;nge, mit kahlem ver&#x017F;engeten Gipfel,</l><lb/>
            <l><note place="left">605</note>Auf der Haide verbrannt &#x017F;teht. Er war itzt zu &#x017F;prechen bereitet;</l><lb/>
            <l>Deshalb &#x017F;chwenkten die doppelten Reihen von Flu&#x0364;gel zu Flu&#x0364;gel</l><lb/>
            <l>Sich um ihn her, und &#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en mit allen Großen des Reiches</l><lb/>
            <l>Rund ihn ein, und Aufmerk&#x017F;amkeit erhielt &#x017F;ie im Schweigen.</l><lb/>
            <l>Dreymal ver&#x017F;ucht er zu reden <note place="foot" n="b)">Er hat den Ovid in Gedanken, <hi rendition="#aq">Met. XI,</hi> 419.<lb/><cb/> <hi rendition="#aq">Ter conata loqui, ter fletibus ora<lb/><hi rendition="#c">rigavit.</hi></hi><lb/><cb/>
Dreymal ver&#x017F;ucht &#x017F;ie, zu reden, und<lb/>
dreymal netzt &#x017F;ie mit Thra&#x0364;nen<lb/>
Jhre Wangen. <hi rendition="#et"><hi rendition="#fr">Bentley.</hi></hi></note>, und dreymal brachen die Thra&#x0364;nen</l><lb/>
            <l><note place="left">610</note>Trotz des Hochmuths hervor, aus &#x017F;einen verfin&#x017F;terten Augen;</l><lb/>
            <l>Thra&#x0364;nen, wie Engel &#x017F;ie weinen. Doch endlich fanden die Worte,</l><lb/>
            <l>Unterflochten mit tiefen Seufzern, al&#x017F;o den Ausgang:</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="17">
            <l>O ihr Myriaden un&#x017F;terblicher Gei&#x017F;ter; ihr Kra&#x0364;fte,</l><lb/>
            <l>Die ihr mit nichts zu vergleichen, als mit dem Allma&#x0364;chtgen! der Streit &#x017F;elb&#x017F;t,</l><lb/>
            <l><note place="left">615</note>Den wir mit ihm gefu&#x0364;hrt, war ohne Ruhm nicht; &#x017F;o grau&#x017F;am</l><lb/>
            <l>Auch der Ausgang gewe&#x017F;en, wie die&#x017F;er Platz uns bewei&#x017F;et,</l><lb/>
            <l>Und der grau&#x017F;ame Wech&#x017F;el, woran nicht ohn&#x2019; Ab&#x017F;cheu zu denken:</l><lb/>
            <l>Aber welch eine Kraft des Gemu&#x0364;thes, und welche Gabe,</l><lb/>
            <l>Etwas vorher zu &#x017F;ehn, und in die Zukunft zu &#x017F;chauen,</l><lb/>
            <l><note place="left">620</note>Ha&#x0364;tt&#x2019; aus der tiefen Erkenntniß des Gegenwa&#x0364;rtgen, und Ku&#x0364;nftgen,</l><lb/>
            <l>Jemals fu&#x0364;rchten ko&#x0364;nnen, daß eine Kriegsmacht von Go&#x0364;ttern,</l><lb/>
            <l>So wie die&#x017F;e vereinigt, und die &#x017F;o fe&#x017F;t &#x017F;tand, wie die&#x017F;e,</l><lb/>
            <l>Wu&#x0364;rde ge&#x017F;chlagen werden? und wer kann itzo noch glauben,</l><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch">Selb&#x017F;t</fw><lb/>
          </lg>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[34/0048] Das verlohrne Paradies. Treu, und ſtandhaft bey ihm. Wie wenn das Feuer vom Himmel Jn die Eichen des Waldes, und in die Bergfichten ſchlaͤget, Jhre ſtattliche Laͤnge, mit kahlem verſengeten Gipfel, Auf der Haide verbrannt ſteht. Er war itzt zu ſprechen bereitet; Deshalb ſchwenkten die doppelten Reihen von Fluͤgel zu Fluͤgel Sich um ihn her, und ſchloſſen mit allen Großen des Reiches Rund ihn ein, und Aufmerkſamkeit erhielt ſie im Schweigen. Dreymal verſucht er zu reden b), und dreymal brachen die Thraͤnen Trotz des Hochmuths hervor, aus ſeinen verfinſterten Augen; Thraͤnen, wie Engel ſie weinen. Doch endlich fanden die Worte, Unterflochten mit tiefen Seufzern, alſo den Ausgang: O ihr Myriaden unſterblicher Geiſter; ihr Kraͤfte, Die ihr mit nichts zu vergleichen, als mit dem Allmaͤchtgen! der Streit ſelbſt, Den wir mit ihm gefuͤhrt, war ohne Ruhm nicht; ſo grauſam Auch der Ausgang geweſen, wie dieſer Platz uns beweiſet, Und der grauſame Wechſel, woran nicht ohn’ Abſcheu zu denken: Aber welch eine Kraft des Gemuͤthes, und welche Gabe, Etwas vorher zu ſehn, und in die Zukunft zu ſchauen, Haͤtt’ aus der tiefen Erkenntniß des Gegenwaͤrtgen, und Kuͤnftgen, Jemals fuͤrchten koͤnnen, daß eine Kriegsmacht von Goͤttern, So wie dieſe vereinigt, und die ſo feſt ſtand, wie dieſe, Wuͤrde geſchlagen werden? und wer kann itzo noch glauben, Selbſt b) Er hat den Ovid in Gedanken, Met. XI, 419. Ter conata loqui, ter fletibus ora rigavit. Dreymal verſucht ſie, zu reden, und dreymal netzt ſie mit Thraͤnen Jhre Wangen. Bentley.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies01_1760
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies01_1760/48
Zitationshilfe: Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 1. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae. Altona, 1760, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies01_1760/48>, abgerufen am 25.11.2024.