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Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 1. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae. Altona, 1760.

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Das verlohrne Paradies.
100Nicht gefallen; ich fürchte, vom Bösen sey er entsprungen.
Aber woher denn das Böse? Jn dir kann kein Böses nicht wohnen,
Denn du bist rein erschaffen. Doch wisse, verschiedene Kräfte
Sind, geringer als unser Verstand, in unserer Seele,
Die ihm als ihrem Oberhaupt dienen; und unter denselben
105Hat nach ihm oft die Einbildungskraft ihr Amt zu verwalten.
Diese formieret in uns von allen äußeren Dingen,
Welche von unsern fünf wachsamen Sinnen uns vorgestellt werden,
Phantasien und Luftgestalten, die unsre Vernunft dann
Trennet, oder verbindet, und alles aus ihnen erbauet,
110Was wir bejahen, oder verneinen, und was wir Erkenntniß,
Oder Meynung nennen. Zu ihrer einsamen Zelle
Weicht sie, wenn die Natur itzt ruht; doch wachet nicht selten
Gaukelnd die Einbildungskraft, wenn sie entfernt ist, und sucht sie
Nachzuahmen; allein indem sie viel ungleiche Bilder
115Mit einander verbindet, so schafft sie oft wilde Geburten
Und besonders in Träumen, in denen sie alte Geschichte
Oft mit neuern Reden unschicklich zusammensetzt. Etwas
Aehnlichs mit unsern letzten Gesprächen des Abends entdeck' ich
Auch in deinem Traum, wie mich dünkt, doch mit seltsamem Zusatz.
120Sey indessen nicht traurig. Jn Gott und des Menschen Gemüthe f))
Kann das Böse kommen, und wieder weichen; wofern es
So gemißbilligt wird, und läßt deshalb in der Seele
Weder Flecken, noch Tadel. Dies heißt mich hoffen, du werdest

Nim-
f) Gott bedeutet hier nur so viel als Engel, wie in verschiedenen an-
dern Stellen dieses Gedichts. N.

Das verlohrne Paradies.
100Nicht gefallen; ich fuͤrchte, vom Boͤſen ſey er entſprungen.
Aber woher denn das Boͤſe? Jn dir kann kein Boͤſes nicht wohnen,
Denn du biſt rein erſchaffen. Doch wiſſe, verſchiedene Kraͤfte
Sind, geringer als unſer Verſtand, in unſerer Seele,
Die ihm als ihrem Oberhaupt dienen; und unter denſelben
105Hat nach ihm oft die Einbildungskraft ihr Amt zu verwalten.
Dieſe formieret in uns von allen aͤußeren Dingen,
Welche von unſern fuͤnf wachſamen Sinnen uns vorgeſtellt werden,
Phantaſien und Luftgeſtalten, die unſre Vernunft dann
Trennet, oder verbindet, und alles aus ihnen erbauet,
110Was wir bejahen, oder verneinen, und was wir Erkenntniß,
Oder Meynung nennen. Zu ihrer einſamen Zelle
Weicht ſie, wenn die Natur itzt ruht; doch wachet nicht ſelten
Gaukelnd die Einbildungskraft, wenn ſie entfernt iſt, und ſucht ſie
Nachzuahmen; allein indem ſie viel ungleiche Bilder
115Mit einander verbindet, ſo ſchafft ſie oft wilde Geburten
Und beſonders in Traͤumen, in denen ſie alte Geſchichte
Oft mit neuern Reden unſchicklich zuſammenſetzt. Etwas
Aehnlichs mit unſern letzten Geſpraͤchen des Abends entdeck’ ich
Auch in deinem Traum, wie mich duͤnkt, doch mit ſeltſamem Zuſatz.
120Sey indeſſen nicht traurig. Jn Gott und des Menſchen Gemuͤthe f))
Kann das Boͤſe kommen, und wieder weichen; wofern es
So gemißbilligt wird, und laͤßt deshalb in der Seele
Weder Flecken, noch Tadel. Dies heißt mich hoffen, du werdeſt

Nim-
f) Gott bedeutet hier nur ſo viel als Engel, wie in verſchiedenen an-
dern Stellen dieſes Gedichts. N.
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[188/0210] Das verlohrne Paradies. Nicht gefallen; ich fuͤrchte, vom Boͤſen ſey er entſprungen. Aber woher denn das Boͤſe? Jn dir kann kein Boͤſes nicht wohnen, Denn du biſt rein erſchaffen. Doch wiſſe, verſchiedene Kraͤfte Sind, geringer als unſer Verſtand, in unſerer Seele, Die ihm als ihrem Oberhaupt dienen; und unter denſelben Hat nach ihm oft die Einbildungskraft ihr Amt zu verwalten. Dieſe formieret in uns von allen aͤußeren Dingen, Welche von unſern fuͤnf wachſamen Sinnen uns vorgeſtellt werden, Phantaſien und Luftgeſtalten, die unſre Vernunft dann Trennet, oder verbindet, und alles aus ihnen erbauet, Was wir bejahen, oder verneinen, und was wir Erkenntniß, Oder Meynung nennen. Zu ihrer einſamen Zelle Weicht ſie, wenn die Natur itzt ruht; doch wachet nicht ſelten Gaukelnd die Einbildungskraft, wenn ſie entfernt iſt, und ſucht ſie Nachzuahmen; allein indem ſie viel ungleiche Bilder Mit einander verbindet, ſo ſchafft ſie oft wilde Geburten Und beſonders in Traͤumen, in denen ſie alte Geſchichte Oft mit neuern Reden unſchicklich zuſammenſetzt. Etwas Aehnlichs mit unſern letzten Geſpraͤchen des Abends entdeck’ ich Auch in deinem Traum, wie mich duͤnkt, doch mit ſeltſamem Zuſatz. Sey indeſſen nicht traurig. Jn Gott und des Menſchen Gemuͤthe f)) Kann das Boͤſe kommen, und wieder weichen; wofern es So gemißbilligt wird, und laͤßt deshalb in der Seele Weder Flecken, noch Tadel. Dies heißt mich hoffen, du werdeſt Nim- f) Gott bedeutet hier nur ſo viel als Engel, wie in verſchiedenen an- dern Stellen dieſes Gedichts. N.

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Zitationshilfe: Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 1. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae. Altona, 1760, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies01_1760/210>, abgerufen am 23.11.2024.