Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 1. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae. Altona, 1760.

Bild:
<< vorherige Seite

Vierter Gesang.
395Er läßt dann vom erhabenen Stand auf dem hohen Baume
Sich hinab zu den spielenden Heerden vierfüßiger Thiere,
Und wird selber bald dieses, bald jenes; wie ihre Gestalten
Seinem Endzweck am nützlichsten scheinen, um desto näher
Seinen Raub zu betrachten, und unbemerkt zu versuchen,
400Ob er von ihrem Zustand durch Wort, oder Handlungen etwas
Mehrers erfahren könne. Jtzt tritt er mit funkelnden Augen
Als ein Löw um sie her, dann als ein Tyger, der etwan
Jn dem sonnichten Forst zwey Rehkälber spielend entdecket:
Alsobald legt er sich nieder, springt wieder auf, und verändert
405Ostmals seinen lauschenden Stand, als einer, der klüglich
Seinen Posten erwählt, um, wenn er auf einmal herzuschießt,
Desto gewisser sie beyde mit seinen Klauen zu fassen.
Als itzt Adam, der erste der Männer, zur ersten der Weiber,
Eva, also die Rede richtet. Aufmerksam kehrt Satan
410Sich herum, ganz Ohr, die neue Sprache zu hören.

Einzige Theilnehmerinn an allen diesen Vergnügen,
Selbst ein Theil von ihnen, weit theurer, als alle. -- Nothwendig
Muß die Macht, die uns schuf, und die zu unserm Gebrauche
Diese geraume Welt geschaffen, unendlich gütig
415Und von Jhrem Guten nicht minder freygebig, und mild seyn,
Als sie unendlich ist! Da sie so hoch aus dem Staub uns erhoben
Und in alle Glückseeligkeit hier uns eingesetzt; da wir
Nichts um sie verdienen, und nichts zu verrichten vermögen,
Was sie bedürfen könnte. Der Schöpfer verlanget von uns auch
Kei-
U

Vierter Geſang.
395Er laͤßt dann vom erhabenen Stand auf dem hohen Baume
Sich hinab zu den ſpielenden Heerden vierfuͤßiger Thiere,
Und wird ſelber bald dieſes, bald jenes; wie ihre Geſtalten
Seinem Endzweck am nuͤtzlichſten ſcheinen, um deſto naͤher
Seinen Raub zu betrachten, und unbemerkt zu verſuchen,
400Ob er von ihrem Zuſtand durch Wort, oder Handlungen etwas
Mehrers erfahren koͤnne. Jtzt tritt er mit funkelnden Augen
Als ein Loͤw um ſie her, dann als ein Tyger, der etwan
Jn dem ſonnichten Forſt zwey Rehkaͤlber ſpielend entdecket:
Alſobald legt er ſich nieder, ſpringt wieder auf, und veraͤndert
405Oſtmals ſeinen lauſchenden Stand, als einer, der kluͤglich
Seinen Poſten erwaͤhlt, um, wenn er auf einmal herzuſchießt,
Deſto gewiſſer ſie beyde mit ſeinen Klauen zu faſſen.
Als itzt Adam, der erſte der Maͤnner, zur erſten der Weiber,
Eva, alſo die Rede richtet. Aufmerkſam kehrt Satan
410Sich herum, ganz Ohr, die neue Sprache zu hoͤren.

Einzige Theilnehmerinn an allen dieſen Vergnuͤgen,
Selbſt ein Theil von ihnen, weit theurer, als alle. — Nothwendig
Muß die Macht, die uns ſchuf, und die zu unſerm Gebrauche
Dieſe geraume Welt geſchaffen, unendlich guͤtig
415Und von Jhrem Guten nicht minder freygebig, und mild ſeyn,
Als ſie unendlich iſt! Da ſie ſo hoch aus dem Staub uns erhoben
Und in alle Gluͤckſeeligkeit hier uns eingeſetzt; da wir
Nichts um ſie verdienen, und nichts zu verrichten vermoͤgen,
Was ſie beduͤrfen koͤnnte. Der Schoͤpfer verlanget von uns auch
Kei-
U
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <lg n="7">
            <pb facs="#f0173" n="153"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Vierter Ge&#x017F;ang.</hi> </fw><lb/>
            <l><note place="left">395</note>Er la&#x0364;ßt dann vom erhabenen Stand auf dem hohen Baume</l><lb/>
            <l>Sich hinab zu den &#x017F;pielenden Heerden vierfu&#x0364;ßiger Thiere,</l><lb/>
            <l>Und wird &#x017F;elber bald die&#x017F;es, bald jenes; wie ihre Ge&#x017F;talten</l><lb/>
            <l>Seinem Endzweck am nu&#x0364;tzlich&#x017F;ten &#x017F;cheinen, um de&#x017F;to na&#x0364;her</l><lb/>
            <l>Seinen Raub zu betrachten, und unbemerkt zu ver&#x017F;uchen,</l><lb/>
            <l><note place="left">400</note>Ob er von ihrem Zu&#x017F;tand durch Wort, oder Handlungen etwas</l><lb/>
            <l>Mehrers erfahren ko&#x0364;nne. Jtzt tritt er mit funkelnden Augen</l><lb/>
            <l>Als ein Lo&#x0364;w um &#x017F;ie her, dann als ein Tyger, der etwan</l><lb/>
            <l>Jn dem &#x017F;onnichten For&#x017F;t zwey Rehka&#x0364;lber &#x017F;pielend entdecket:</l><lb/>
            <l>Al&#x017F;obald legt er &#x017F;ich nieder, &#x017F;pringt wieder auf, und vera&#x0364;ndert</l><lb/>
            <l><note place="left">405</note>O&#x017F;tmals &#x017F;einen lau&#x017F;chenden Stand, als einer, der klu&#x0364;glich</l><lb/>
            <l>Seinen Po&#x017F;ten erwa&#x0364;hlt, um, wenn er auf einmal herzu&#x017F;chießt,</l><lb/>
            <l>De&#x017F;to gewi&#x017F;&#x017F;er &#x017F;ie beyde mit &#x017F;einen Klauen zu fa&#x017F;&#x017F;en.</l><lb/>
            <l>Als itzt <hi rendition="#fr">Adam,</hi> der er&#x017F;te der Ma&#x0364;nner, zur er&#x017F;ten der Weiber,</l><lb/>
            <l><hi rendition="#fr">Eva,</hi> al&#x017F;o die Rede richtet. Aufmerk&#x017F;am kehrt <hi rendition="#fr">Satan</hi></l><lb/>
            <l><note place="left">410</note>Sich herum, ganz Ohr, die neue Sprache zu ho&#x0364;ren.</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="8">
            <l>Einzige Theilnehmerinn an allen die&#x017F;en Vergnu&#x0364;gen,</l><lb/>
            <l>Selb&#x017F;t ein Theil von ihnen, weit theurer, als alle. &#x2014; Nothwendig</l><lb/>
            <l>Muß die Macht, die uns &#x017F;chuf, und die zu un&#x017F;erm Gebrauche</l><lb/>
            <l>Die&#x017F;e geraume Welt ge&#x017F;chaffen, unendlich gu&#x0364;tig</l><lb/>
            <l><note place="left">415</note>Und von Jhrem Guten nicht minder freygebig, und mild &#x017F;eyn,</l><lb/>
            <l>Als &#x017F;ie unendlich i&#x017F;t! Da &#x017F;ie &#x017F;o hoch aus dem Staub uns erhoben</l><lb/>
            <l>Und in alle Glu&#x0364;ck&#x017F;eeligkeit hier uns einge&#x017F;etzt; da wir</l><lb/>
            <l>Nichts um &#x017F;ie verdienen, und nichts zu verrichten vermo&#x0364;gen,</l><lb/>
            <l>Was &#x017F;ie bedu&#x0364;rfen ko&#x0364;nnte. Der Scho&#x0364;pfer verlanget von uns auch</l><lb/>
            <fw place="bottom" type="sig">U</fw>
            <fw place="bottom" type="catch">Kei-</fw><lb/>
          </lg>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[153/0173] Vierter Geſang. Er laͤßt dann vom erhabenen Stand auf dem hohen Baume Sich hinab zu den ſpielenden Heerden vierfuͤßiger Thiere, Und wird ſelber bald dieſes, bald jenes; wie ihre Geſtalten Seinem Endzweck am nuͤtzlichſten ſcheinen, um deſto naͤher Seinen Raub zu betrachten, und unbemerkt zu verſuchen, Ob er von ihrem Zuſtand durch Wort, oder Handlungen etwas Mehrers erfahren koͤnne. Jtzt tritt er mit funkelnden Augen Als ein Loͤw um ſie her, dann als ein Tyger, der etwan Jn dem ſonnichten Forſt zwey Rehkaͤlber ſpielend entdecket: Alſobald legt er ſich nieder, ſpringt wieder auf, und veraͤndert Oſtmals ſeinen lauſchenden Stand, als einer, der kluͤglich Seinen Poſten erwaͤhlt, um, wenn er auf einmal herzuſchießt, Deſto gewiſſer ſie beyde mit ſeinen Klauen zu faſſen. Als itzt Adam, der erſte der Maͤnner, zur erſten der Weiber, Eva, alſo die Rede richtet. Aufmerkſam kehrt Satan Sich herum, ganz Ohr, die neue Sprache zu hoͤren. Einzige Theilnehmerinn an allen dieſen Vergnuͤgen, Selbſt ein Theil von ihnen, weit theurer, als alle. — Nothwendig Muß die Macht, die uns ſchuf, und die zu unſerm Gebrauche Dieſe geraume Welt geſchaffen, unendlich guͤtig Und von Jhrem Guten nicht minder freygebig, und mild ſeyn, Als ſie unendlich iſt! Da ſie ſo hoch aus dem Staub uns erhoben Und in alle Gluͤckſeeligkeit hier uns eingeſetzt; da wir Nichts um ſie verdienen, und nichts zu verrichten vermoͤgen, Was ſie beduͤrfen koͤnnte. Der Schoͤpfer verlanget von uns auch Kei- U

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies01_1760
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies01_1760/173
Zitationshilfe: Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 1. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae. Altona, 1760, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies01_1760/173>, abgerufen am 02.05.2024.