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Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 1. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae. Altona, 1760.

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Vierter Gesang.
135Und kömmt an die Gränzen von Eden, wo itzo voll Anmuth
Näher das Paradies mit einer grünen Umfassung
Einer Landwehr gleich, das Haupt einer felsichten Wildniß
Krönte, deren haarichte Seiten mit dicken Gesträuchen
Ueberwachsen, grotesk, und verwildert, den Zugang versagten.
140Hohe dunkele Schatten, von unübersteiglicher Höhe,
Ragten über dem Haupt hervor; die Ceder, die Tanne,
Und die Ficht', und die Palme mit weitverbreiteten Zweigen,
Eine waldichte Scene; und so wie Schatten auf Schatten
Stufenweis aufsteigen, standen sie da, ein Waldtheater,
145Von dem prächtigsten Anblick. Weit über die schattichten Gipfel
Ragte der grünende Wall des Paradieses herüber.
Unser Stammvater schaute von da mit offener Aussicht
Jn sein niederes Reich, das nachbarlich rund um ihn herlag.
Höher noch, als der Wall, stand eine zirkelnde Reihe
150Mit den schönsten Früchten beladner herrlichen Bäume.
Frucht und Blüthe sah man zugleich, von güldenem Glanze,
Mit dem bunten Schmelze der muntersten Farben vermischet.
Auf sie drückte weit freudger die Sonne die lachenden Stralen,
Als bey ihrem Abschied in schönen Abendgewölken;
155Oder im feuchten Bogen, wenn Gott die Erde getränkt hat.
So voll Anmuth erschien hier die Landschaft. Aus reinen Lüften
Kam er in reinre. Sein Herz empfand ein solches Vergnügen,
Solche Frühlingslust, die fähig war, alle Betrübniß
Zu vertreiben, nur nicht die Verzweiflung. Nun schüttelten sanfte
160Lispelnde Lüfte die Schwingen, mit süßen Gerüchen beladen,

Und
S 3

Vierter Geſang.
135Und koͤmmt an die Graͤnzen von Eden, wo itzo voll Anmuth
Naͤher das Paradies mit einer gruͤnen Umfaſſung
Einer Landwehr gleich, das Haupt einer felſichten Wildniß
Kroͤnte, deren haarichte Seiten mit dicken Geſtraͤuchen
Ueberwachſen, grotesk, und verwildert, den Zugang verſagten.
140Hohe dunkele Schatten, von unuͤberſteiglicher Hoͤhe,
Ragten uͤber dem Haupt hervor; die Ceder, die Tanne,
Und die Ficht’, und die Palme mit weitverbreiteten Zweigen,
Eine waldichte Scene; und ſo wie Schatten auf Schatten
Stufenweis aufſteigen, ſtanden ſie da, ein Waldtheater,
145Von dem praͤchtigſten Anblick. Weit uͤber die ſchattichten Gipfel
Ragte der gruͤnende Wall des Paradieſes heruͤber.
Unſer Stammvater ſchaute von da mit offener Ausſicht
Jn ſein niederes Reich, das nachbarlich rund um ihn herlag.
Hoͤher noch, als der Wall, ſtand eine zirkelnde Reihe
150Mit den ſchoͤnſten Fruͤchten beladner herrlichen Baͤume.
Frucht und Bluͤthe ſah man zugleich, von guͤldenem Glanze,
Mit dem bunten Schmelze der munterſten Farben vermiſchet.
Auf ſie druͤckte weit freudger die Sonne die lachenden Stralen,
Als bey ihrem Abſchied in ſchoͤnen Abendgewoͤlken;
155Oder im feuchten Bogen, wenn Gott die Erde getraͤnkt hat.
So voll Anmuth erſchien hier die Landſchaft. Aus reinen Luͤften
Kam er in reinre. Sein Herz empfand ein ſolches Vergnuͤgen,
Solche Fruͤhlingsluſt, die faͤhig war, alle Betruͤbniß
Zu vertreiben, nur nicht die Verzweiflung. Nun ſchuͤttelten ſanfte
160Liſpelnde Luͤfte die Schwingen, mit ſuͤßen Geruͤchen beladen,

Und
S 3
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[141/0161] Vierter Geſang. Und koͤmmt an die Graͤnzen von Eden, wo itzo voll Anmuth Naͤher das Paradies mit einer gruͤnen Umfaſſung Einer Landwehr gleich, das Haupt einer felſichten Wildniß Kroͤnte, deren haarichte Seiten mit dicken Geſtraͤuchen Ueberwachſen, grotesk, und verwildert, den Zugang verſagten. Hohe dunkele Schatten, von unuͤberſteiglicher Hoͤhe, Ragten uͤber dem Haupt hervor; die Ceder, die Tanne, Und die Ficht’, und die Palme mit weitverbreiteten Zweigen, Eine waldichte Scene; und ſo wie Schatten auf Schatten Stufenweis aufſteigen, ſtanden ſie da, ein Waldtheater, Von dem praͤchtigſten Anblick. Weit uͤber die ſchattichten Gipfel Ragte der gruͤnende Wall des Paradieſes heruͤber. Unſer Stammvater ſchaute von da mit offener Ausſicht Jn ſein niederes Reich, das nachbarlich rund um ihn herlag. Hoͤher noch, als der Wall, ſtand eine zirkelnde Reihe Mit den ſchoͤnſten Fruͤchten beladner herrlichen Baͤume. Frucht und Bluͤthe ſah man zugleich, von guͤldenem Glanze, Mit dem bunten Schmelze der munterſten Farben vermiſchet. Auf ſie druͤckte weit freudger die Sonne die lachenden Stralen, Als bey ihrem Abſchied in ſchoͤnen Abendgewoͤlken; Oder im feuchten Bogen, wenn Gott die Erde getraͤnkt hat. So voll Anmuth erſchien hier die Landſchaft. Aus reinen Luͤften Kam er in reinre. Sein Herz empfand ein ſolches Vergnuͤgen, Solche Fruͤhlingsluſt, die faͤhig war, alle Betruͤbniß Zu vertreiben, nur nicht die Verzweiflung. Nun ſchuͤttelten ſanfte Liſpelnde Luͤfte die Schwingen, mit ſuͤßen Geruͤchen beladen, Und S 3

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Zitationshilfe: Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 1. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae. Altona, 1760, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies01_1760/161>, abgerufen am 02.05.2024.