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Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 1. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae. Altona, 1760.

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Das verlohrne Paradies.
Welche Last denn? O hätte mich doch sein mächtiges Schicksal
Zum geringern Engel gemacht, so stünd ich vielleicht noch
Glücklich; und täuschende Hoffnung, die keine Schranken mehr kennet,
Hätte nicht meinen Ehrgeiz erregt. Doch warum nicht? Wer weis es,
65Ob nicht ein andrer Geist, so mächtig, wie ich, sich empöret,
Und alsdenn mich geringern auf seine Seite gezogen?
Aber andre Mächte, mir gleich an Glanz und an Größe,
Sind nicht gefalln, und stehn unerschüttert; von innen und außen
Wider alle Versuchung gestählt. Hattst du denn denselben
70Freyen Willen, dieselbe Macht, zu stehn? Ja du hattst sie!
Wen oder was denn kannst du verklagen, was sonst, als des Himmels
Freye Liebe, die allen gleich mitgetheilt wird. -- So sey denn
Seine Liebe verflucht, da Haß und Liebe mir gleich ist,
Und zu ewger Pein mich verdammt, -- doch nein, sey du selber,
75Sey du selber verflucht, da du freywillig erwählet,
Wider seinen Willen erwählt hast, worüber du itzo
Dich mit so viel Rechte beklagst. Wie soll ich, Elender,
Seinem unendlichen Zorn entfliehn -- der Verzweiflung entfliehen,
Die mich beständig verfolgt! Wohin ich flieh, ist die Hölle;
80Jch bin selbst mir die Hölle! und in der tiefesten Tiefe
Find ich noch eine tiefere Tiefe, die, mich zu verschlingen,
Jhren drohenden Schlund mir immer eröffnet. Die Hölle
Die ich leide, scheint gegen sie Himmel! Ergieb dich denn endlich!
Jst kein Platz für die Reu, ist keiner für die Vergebung
85Uebrig gelassen? Nein keiner, als durch Unterwerfung. Mein Hochmuth
Untersagt mir dies Wort; die Furcht vor der Schande verbeut mirs

Bey

Das verlohrne Paradies.
Welche Laſt denn? O haͤtte mich doch ſein maͤchtiges Schickſal
Zum geringern Engel gemacht, ſo ſtuͤnd ich vielleicht noch
Gluͤcklich; und taͤuſchende Hoffnung, die keine Schranken mehr kennet,
Haͤtte nicht meinen Ehrgeiz erregt. Doch warum nicht? Wer weis es,
65Ob nicht ein andrer Geiſt, ſo maͤchtig, wie ich, ſich empoͤret,
Und alsdenn mich geringern auf ſeine Seite gezogen?
Aber andre Maͤchte, mir gleich an Glanz und an Groͤße,
Sind nicht gefalln, und ſtehn unerſchuͤttert; von innen und außen
Wider alle Verſuchung geſtaͤhlt. Hattſt du denn denſelben
70Freyen Willen, dieſelbe Macht, zu ſtehn? Ja du hattſt ſie!
Wen oder was denn kannſt du verklagen, was ſonſt, als des Himmels
Freye Liebe, die allen gleich mitgetheilt wird. — So ſey denn
Seine Liebe verflucht, da Haß und Liebe mir gleich iſt,
Und zu ewger Pein mich verdammt, — doch nein, ſey du ſelber,
75Sey du ſelber verflucht, da du freywillig erwaͤhlet,
Wider ſeinen Willen erwaͤhlt haſt, woruͤber du itzo
Dich mit ſo viel Rechte beklagſt. Wie ſoll ich, Elender,
Seinem unendlichen Zorn entfliehn — der Verzweiflung entfliehen,
Die mich beſtaͤndig verfolgt! Wohin ich flieh, iſt die Hoͤlle;
80Jch bin ſelbſt mir die Hoͤlle! und in der tiefeſten Tiefe
Find ich noch eine tiefere Tiefe, die, mich zu verſchlingen,
Jhren drohenden Schlund mir immer eroͤffnet. Die Hoͤlle
Die ich leide, ſcheint gegen ſie Himmel! Ergieb dich denn endlich!
Jſt kein Platz fuͤr die Reu, iſt keiner fuͤr die Vergebung
85Uebrig gelaſſen? Nein keiner, als durch Unterwerfung. Mein Hochmuth
Unterſagt mir dies Wort; die Furcht vor der Schande verbeut mirs

Bey
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[138/0158] Das verlohrne Paradies. Welche Laſt denn? O haͤtte mich doch ſein maͤchtiges Schickſal Zum geringern Engel gemacht, ſo ſtuͤnd ich vielleicht noch Gluͤcklich; und taͤuſchende Hoffnung, die keine Schranken mehr kennet, Haͤtte nicht meinen Ehrgeiz erregt. Doch warum nicht? Wer weis es, Ob nicht ein andrer Geiſt, ſo maͤchtig, wie ich, ſich empoͤret, Und alsdenn mich geringern auf ſeine Seite gezogen? Aber andre Maͤchte, mir gleich an Glanz und an Groͤße, Sind nicht gefalln, und ſtehn unerſchuͤttert; von innen und außen Wider alle Verſuchung geſtaͤhlt. Hattſt du denn denſelben Freyen Willen, dieſelbe Macht, zu ſtehn? Ja du hattſt ſie! Wen oder was denn kannſt du verklagen, was ſonſt, als des Himmels Freye Liebe, die allen gleich mitgetheilt wird. — So ſey denn Seine Liebe verflucht, da Haß und Liebe mir gleich iſt, Und zu ewger Pein mich verdammt, — doch nein, ſey du ſelber, Sey du ſelber verflucht, da du freywillig erwaͤhlet, Wider ſeinen Willen erwaͤhlt haſt, woruͤber du itzo Dich mit ſo viel Rechte beklagſt. Wie ſoll ich, Elender, Seinem unendlichen Zorn entfliehn — der Verzweiflung entfliehen, Die mich beſtaͤndig verfolgt! Wohin ich flieh, iſt die Hoͤlle; Jch bin ſelbſt mir die Hoͤlle! und in der tiefeſten Tiefe Find ich noch eine tiefere Tiefe, die, mich zu verſchlingen, Jhren drohenden Schlund mir immer eroͤffnet. Die Hoͤlle Die ich leide, ſcheint gegen ſie Himmel! Ergieb dich denn endlich! Jſt kein Platz fuͤr die Reu, iſt keiner fuͤr die Vergebung Uebrig gelaſſen? Nein keiner, als durch Unterwerfung. Mein Hochmuth Unterſagt mir dies Wort; die Furcht vor der Schande verbeut mirs Bey

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Zitationshilfe: Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 1. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae. Altona, 1760, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies01_1760/158>, abgerufen am 02.05.2024.