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Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 1. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae. Altona, 1760.

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Dritter Gesang.
630So alle'n mich hieher gebracht. O hellester Seraph,
Sage mir doch, in welchem von diesen leuchtenden Kugeln
Jst des Menschen Wohnung bestimmt? Oder hat er vielleicht nicht
Eine gewisse Wohnung, und kann nach seinem Gefallen
Alle die leuchtenden Kugeln bewohnen? Wie kann ich ihn finden,
635Um entweder an ihm die geheimen Blicke zu weiden,
Oder mit unverhohlner Verwundrung den Liebling zu schauen,
Welchen der große Schöpfer mit Welten begabt hat, und alle
Diese Gnaden auf ihn verschüttet, damit wir geziemend
Jn ihm, und allen Dingen den allgemeinen Regenten
640Preisen mögen; Jhn, welcher mit Recht in die tiefeste Hölle
Die Rebellen gejagt, und ihren Verlust zu ersetzen,
Dieses neue glückseelge Geschlecht der Menschen erschaffen,
Daß es ihm besser diene. Die Wege des Höchsten sind weise.

Also sprach unentdeckt der falsche Heuchler. Denn weder
645Menschen, noch Engel, vermögen die Heucheley zu erforschen;
Dieses einzige Uebel, das auf der Erd, und im Himmel,
Allem unsichtbar, wandelt, nur Gotte nicht, welcher es zuläßt,
Denn oft, wenn die Weisheit auch wacht, so schläft doch der Argwohn
An der Pforte der Weisheit, und überläßt die Verwaltung
650Seines Amtes der Einfalt, indem die Gutheit nichts übels,
Wo nichts übels zu seyn scheint, vermuthet. So ward auch der Engel
Uriel diesmal betrogen, wiewohl er der Sonne Beherrscher,
Und der scharfsichtigste Geist war von allen Geistern des Himmels,
Voller Aufrichtigkeit gab er dem schnöden Betrieger die Antwort:
Schöner
R

Dritter Geſang.
630So alle’n mich hieher gebracht. O helleſter Seraph,
Sage mir doch, in welchem von dieſen leuchtenden Kugeln
Jſt des Menſchen Wohnung beſtimmt? Oder hat er vielleicht nicht
Eine gewiſſe Wohnung, und kann nach ſeinem Gefallen
Alle die leuchtenden Kugeln bewohnen? Wie kann ich ihn finden,
635Um entweder an ihm die geheimen Blicke zu weiden,
Oder mit unverhohlner Verwundrung den Liebling zu ſchauen,
Welchen der große Schoͤpfer mit Welten begabt hat, und alle
Dieſe Gnaden auf ihn verſchuͤttet, damit wir geziemend
Jn ihm, und allen Dingen den allgemeinen Regenten
640Preiſen moͤgen; Jhn, welcher mit Recht in die tiefeſte Hoͤlle
Die Rebellen gejagt, und ihren Verluſt zu erſetzen,
Dieſes neue gluͤckſeelge Geſchlecht der Menſchen erſchaffen,
Daß es ihm beſſer diene. Die Wege des Hoͤchſten ſind weiſe.

Alſo ſprach unentdeckt der falſche Heuchler. Denn weder
645Menſchen, noch Engel, vermoͤgen die Heucheley zu erforſchen;
Dieſes einzige Uebel, das auf der Erd, und im Himmel,
Allem unſichtbar, wandelt, nur Gotte nicht, welcher es zulaͤßt,
Denn oft, wenn die Weisheit auch wacht, ſo ſchlaͤft doch der Argwohn
An der Pforte der Weisheit, und uͤberlaͤßt die Verwaltung
650Seines Amtes der Einfalt, indem die Gutheit nichts uͤbels,
Wo nichts uͤbels zu ſeyn ſcheint, vermuthet. So ward auch der Engel
Uriel diesmal betrogen, wiewohl er der Sonne Beherrſcher,
Und der ſcharfſichtigſte Geiſt war von allen Geiſtern des Himmels,
Voller Aufrichtigkeit gab er dem ſchnoͤden Betrieger die Antwort:
Schoͤner
R
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[129/0147] Dritter Geſang. So alle’n mich hieher gebracht. O helleſter Seraph, Sage mir doch, in welchem von dieſen leuchtenden Kugeln Jſt des Menſchen Wohnung beſtimmt? Oder hat er vielleicht nicht Eine gewiſſe Wohnung, und kann nach ſeinem Gefallen Alle die leuchtenden Kugeln bewohnen? Wie kann ich ihn finden, Um entweder an ihm die geheimen Blicke zu weiden, Oder mit unverhohlner Verwundrung den Liebling zu ſchauen, Welchen der große Schoͤpfer mit Welten begabt hat, und alle Dieſe Gnaden auf ihn verſchuͤttet, damit wir geziemend Jn ihm, und allen Dingen den allgemeinen Regenten Preiſen moͤgen; Jhn, welcher mit Recht in die tiefeſte Hoͤlle Die Rebellen gejagt, und ihren Verluſt zu erſetzen, Dieſes neue gluͤckſeelge Geſchlecht der Menſchen erſchaffen, Daß es ihm beſſer diene. Die Wege des Hoͤchſten ſind weiſe. Alſo ſprach unentdeckt der falſche Heuchler. Denn weder Menſchen, noch Engel, vermoͤgen die Heucheley zu erforſchen; Dieſes einzige Uebel, das auf der Erd, und im Himmel, Allem unſichtbar, wandelt, nur Gotte nicht, welcher es zulaͤßt, Denn oft, wenn die Weisheit auch wacht, ſo ſchlaͤft doch der Argwohn An der Pforte der Weisheit, und uͤberlaͤßt die Verwaltung Seines Amtes der Einfalt, indem die Gutheit nichts uͤbels, Wo nichts uͤbels zu ſeyn ſcheint, vermuthet. So ward auch der Engel Uriel diesmal betrogen, wiewohl er der Sonne Beherrſcher, Und der ſcharfſichtigſte Geiſt war von allen Geiſtern des Himmels, Voller Aufrichtigkeit gab er dem ſchnoͤden Betrieger die Antwort: Schoͤner R

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Zitationshilfe: Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 1. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae. Altona, 1760, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies01_1760/147>, abgerufen am 22.11.2024.