stürzte sich drauf hin, umarmte das Kreuz, hieng den Kranz dran, und weinte laut. -- O Mariane, Mariane! rief er, auf deinem Grab, auf deinem Grab! ... Nimm mich zu dir! Nimm mich zu dir, Engel! -- Von der heftigen Bewegung, und der schnellen Verkältung entkräftet, sank er ohn- mächtig an dem Kreuz nieder.
Therese wachte erst um Ein Uhr wieder auf. Sie erschrack, weil sie dachte, lang geschlafen zu haben, sprang auf, und eilte auf das Zimmer ihres Bru- ders. Die Thüre war offen, zitternd trat sie hin- ein, und -- Jesus Maria! Das Bette war leer. --
Siegwart! Bruder! Siegwart! rief sie laut und ängstlich. Kronhelm sprang herzu; auch ein paar Nonnen. Er ist fort, fort! Mutter Gottes! sagt, wo ist er? -- Die Bestürzung ward allgemein. Therese riß ihre Haare auseinander. Alle liefen umher und suchten, und wußten nicht, was sie wollten und suchten. --
Auf dem Grab! Auf dem Grab! rief endlich Kronhelm, der am Fenster stand. Alle flogen hinab auf den Kirchhof, und der edle Jüngling lag erstarrt und todt im blassen Mondschein auf dem Grabe seines Mädchens, dem er treu geblie- ben war bis auf den letzten Hauch.
ſtuͤrzte ſich drauf hin, umarmte das Kreuz, hieng den Kranz dran, und weinte laut. — O Mariane, Mariane! rief er, auf deinem Grab, auf deinem Grab! … Nimm mich zu dir! Nimm mich zu dir, Engel! — Von der heftigen Bewegung, und der ſchnellen Verkaͤltung entkraͤftet, ſank er ohn- maͤchtig an dem Kreuz nieder.
Thereſe wachte erſt um Ein Uhr wieder auf. Sie erſchrack, weil ſie dachte, lang geſchlafen zu haben, ſprang auf, und eilte auf das Zimmer ihres Bru- ders. Die Thuͤre war offen, zitternd trat ſie hin- ein, und — Jeſus Maria! Das Bette war leer. —
Siegwart! Bruder! Siegwart! rief ſie laut und aͤngſtlich. Kronhelm ſprang herzu; auch ein paar Nonnen. Er iſt fort, fort! Mutter Gottes! ſagt, wo iſt er? — Die Beſtuͤrzung ward allgemein. Thereſe riß ihre Haare auseinander. Alle liefen umher und ſuchten, und wußten nicht, was ſie wollten und ſuchten. —
Auf dem Grab! Auf dem Grab! rief endlich Kronhelm, der am Fenſter ſtand. Alle flogen hinab auf den Kirchhof, und der edle Juͤngling lag erſtarrt und todt im blaſſen Mondſchein auf dem Grabe ſeines Maͤdchens, dem er treu geblie- ben war bis auf den letzten Hauch.
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ſtuͤrzte ſich drauf hin, umarmte das Kreuz, hieng
den Kranz dran, und weinte laut. — O Mariane,
Mariane! rief er, auf deinem Grab, auf deinem
Grab! … Nimm mich zu dir! Nimm mich
zu dir, Engel! — Von der heftigen Bewegung,
und der ſchnellen Verkaͤltung entkraͤftet, ſank er ohn-
maͤchtig an dem Kreuz nieder.
Thereſe wachte erſt um Ein Uhr wieder auf. Sie
erſchrack, weil ſie dachte, lang geſchlafen zu haben,
ſprang auf, und eilte auf das Zimmer ihres Bru-
ders. Die Thuͤre war offen, zitternd trat ſie hin-
ein, und — Jeſus Maria! Das Bette war leer. —
Siegwart! Bruder! Siegwart! rief ſie laut und
aͤngſtlich. Kronhelm ſprang herzu; auch ein paar
Nonnen. Er iſt fort, fort! Mutter Gottes! ſagt,
wo iſt er? — Die Beſtuͤrzung ward allgemein.
Thereſe riß ihre Haare auseinander. Alle liefen
umher und ſuchten, und wußten nicht, was ſie
wollten und ſuchten. —
Auf dem Grab! Auf dem Grab! rief endlich
Kronhelm, der am Fenſter ſtand. Alle flogen
hinab auf den Kirchhof, und der edle Juͤngling
lag erſtarrt und todt im blaſſen Mondſchein auf
dem Grabe ſeines Maͤdchens, dem er treu geblie-
ben war bis auf den letzten Hauch.
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 1071. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/651>, abgerufen am 02.02.2025.
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