sich, ein paar ausgenommen, die die Gelegenheit wahrnahmen, und entwischten, in ein benachbar- tes Benediktinerkloster. Diese Nonnen wurden nun in die benachbarten Frauenklöster vertheilt. Pater Hildebrand, der in dem nächsten Nonnen- kloster Bergkirch Beichtvater war, erzählte bey Tisch, es seyen dahin auch vier Nonnen von den verunglückten gekommen, von denen zwo bey dem Brand vielen Schaden gelitten haben. Er schil- derte ihren Schrecken, der noch immer fortdaure, sehr rührend, und beschrieb die Nonnen, deren eine noch sehr jung und äusserst schwermüthig sey. Bey dieser Beschreibung stellte sich unserm Sieg- wart das Bild seiner lieben verstorbnen Mariane wieder so lebhaft vor Augen, daß er in Gegen- wart der Paters zu weinen anfieng, und so sehr vom Schmerz ergriffen wurde, daß er, um sein Geheimniß zu verbergen, unter dem Vorwand einer plötzlichen Uebelkeit von Tische weggieng, sich in seiner Zelle niederlegte, und seinen Thränen freyen Lauf ließ. Etlich Tage lang konnte er nicht ruhig bethen; seine Gedanken waren immerdar zerstreut; Marianens Bildniß folgte ihm aller Orten nach, und stellte sich ihm fast jede Nacht im Traum vor.
ſich, ein paar ausgenommen, die die Gelegenheit wahrnahmen, und entwiſchten, in ein benachbar- tes Benediktinerkloſter. Dieſe Nonnen wurden nun in die benachbarten Frauenkloͤſter vertheilt. Pater Hildebrand, der in dem naͤchſten Nonnen- kloſter Bergkirch Beichtvater war, erzaͤhlte bey Tiſch, es ſeyen dahin auch vier Nonnen von den verungluͤckten gekommen, von denen zwo bey dem Brand vielen Schaden gelitten haben. Er ſchil- derte ihren Schrecken, der noch immer fortdaure, ſehr ruͤhrend, und beſchrieb die Nonnen, deren eine noch ſehr jung und aͤuſſerſt ſchwermuͤthig ſey. Bey dieſer Beſchreibung ſtellte ſich unſerm Sieg- wart das Bild ſeiner lieben verſtorbnen Mariane wieder ſo lebhaft vor Augen, daß er in Gegen- wart der Paters zu weinen anfieng, und ſo ſehr vom Schmerz ergriffen wurde, daß er, um ſein Geheimniß zu verbergen, unter dem Vorwand einer ploͤtzlichen Uebelkeit von Tiſche weggieng, ſich in ſeiner Zelle niederlegte, und ſeinen Thraͤnen freyen Lauf ließ. Etlich Tage lang konnte er nicht ruhig bethen; ſeine Gedanken waren immerdar zerſtreut; Marianens Bildniß folgte ihm aller Orten nach, und ſtellte ſich ihm faſt jede Nacht im Traum vor.
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ſich, ein paar ausgenommen, die die Gelegenheit
wahrnahmen, und entwiſchten, in ein benachbar-
tes Benediktinerkloſter. Dieſe Nonnen wurden
nun in die benachbarten Frauenkloͤſter vertheilt.
Pater Hildebrand, der in dem naͤchſten Nonnen-
kloſter Bergkirch Beichtvater war, erzaͤhlte bey
Tiſch, es ſeyen dahin auch vier Nonnen von den
verungluͤckten gekommen, von denen zwo bey dem
Brand vielen Schaden gelitten haben. Er ſchil-
derte ihren Schrecken, der noch immer fortdaure,
ſehr ruͤhrend, und beſchrieb die Nonnen, deren
eine noch ſehr jung und aͤuſſerſt ſchwermuͤthig ſey.
Bey dieſer Beſchreibung ſtellte ſich unſerm Sieg-
wart das Bild ſeiner lieben verſtorbnen Mariane
wieder ſo lebhaft vor Augen, daß er in Gegen-
wart der Paters zu weinen anfieng, und ſo ſehr
vom Schmerz ergriffen wurde, daß er, um ſein
Geheimniß zu verbergen, unter dem Vorwand einer
ploͤtzlichen Uebelkeit von Tiſche weggieng, ſich in
ſeiner Zelle niederlegte, und ſeinen Thraͤnen freyen
Lauf ließ. Etlich Tage lang konnte er nicht ruhig
bethen; ſeine Gedanken waren immerdar zerſtreut;
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 1047. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/627>, abgerufen am 24.11.2024.
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