in einem halben Jahre geh er wieder aus dem Klo- ster. Er wolle lieber jeden andern Stand, als diesen Sklavenstand erwählen, da er blos allein von dem Eigensinn und den Grillen eines närrischen Novizmeisters abhänge. Siegwart aber ertrug sein Loos, mit Gelassenheit, ob er wol sonst frey genug dachte. Er glaubte, diese Unterwerfung Gott schuldig zu seyn, und dieses Schicksal verdient zu haben; denn bey seinen beständigen Andachts- übungen, und in der fortdaurenden Einsamkeit bekam seine lebhafte Einbildungskraft wieder einen neuen Schwung, und lenkte sich auf die Seite der Andächtigen, wohlgemeynten Schwärmerey. Es stiegen ihm allmählich verschiedne Zweifel und Gewissensscrupel wegen seines vorigen Lebens auf, da er sich Gott schon einmal gewidmet hatte, und sich nun durch die Liebe zu Marianen wieder von ihm ab, und zur Weltliebe hatte verleiten lassen; da er sogar auf den Vorsatz gefallen war, Gott und der Kirche eine Braut zu entziehen. Diese Vorstellun- gen machten ihn ängstlich, und brachten eine neue Art von Melancholie in ihm hervor, die noch tie- fer, als die vorige, sich in seine Seele eingrub. Er machte sich nun ein Gewissen und sogar ein Ver- brechen daraus, an seine Mariane zu denken, die
in einem halben Jahre geh er wieder aus dem Klo- ſter. Er wolle lieber jeden andern Stand, als dieſen Sklavenſtand erwaͤhlen, da er blos allein von dem Eigenſinn und den Grillen eines naͤrriſchen Novizmeiſters abhaͤnge. Siegwart aber ertrug ſein Loos, mit Gelaſſenheit, ob er wol ſonſt frey genug dachte. Er glaubte, dieſe Unterwerfung Gott ſchuldig zu ſeyn, und dieſes Schickſal verdient zu haben; denn bey ſeinen beſtaͤndigen Andachts- uͤbungen, und in der fortdaurenden Einſamkeit bekam ſeine lebhafte Einbildungskraft wieder einen neuen Schwung, und lenkte ſich auf die Seite der Andaͤchtigen, wohlgemeynten Schwaͤrmerey. Es ſtiegen ihm allmaͤhlich verſchiedne Zweifel und Gewiſſensſcrupel wegen ſeines vorigen Lebens auf, da er ſich Gott ſchon einmal gewidmet hatte, und ſich nun durch die Liebe zu Marianen wieder von ihm ab, und zur Weltliebe hatte verleiten laſſen; da er ſogar auf den Vorſatz gefallen war, Gott und der Kirche eine Braut zu entziehen. Dieſe Vorſtellun- gen machten ihn aͤngſtlich, und brachten eine neue Art von Melancholie in ihm hervor, die noch tie- fer, als die vorige, ſich in ſeine Seele eingrub. Er machte ſich nun ein Gewiſſen und ſogar ein Ver- brechen daraus, an ſeine Mariane zu denken, die
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in einem halben Jahre geh er wieder aus dem Klo-
ſter. Er wolle lieber jeden andern Stand, als
dieſen Sklavenſtand erwaͤhlen, da er blos allein von
dem Eigenſinn und den Grillen eines naͤrriſchen
Novizmeiſters abhaͤnge. Siegwart aber ertrug
ſein Loos, mit Gelaſſenheit, ob er wol ſonſt frey
genug dachte. Er glaubte, dieſe Unterwerfung
Gott ſchuldig zu ſeyn, und dieſes Schickſal verdient
zu haben; denn bey ſeinen beſtaͤndigen Andachts-
uͤbungen, und in der fortdaurenden Einſamkeit
bekam ſeine lebhafte Einbildungskraft wieder einen
neuen Schwung, und lenkte ſich auf die Seite der
Andaͤchtigen, wohlgemeynten Schwaͤrmerey. Es
ſtiegen ihm allmaͤhlich verſchiedne Zweifel und
Gewiſſensſcrupel wegen ſeines vorigen Lebens auf,
da er ſich Gott ſchon einmal gewidmet hatte, und
ſich nun durch die Liebe zu Marianen wieder von ihm
ab, und zur Weltliebe hatte verleiten laſſen; da er
ſogar auf den Vorſatz gefallen war, Gott und der
Kirche eine Braut zu entziehen. Dieſe Vorſtellun-
gen machten ihn aͤngſtlich, und brachten eine neue
Art von Melancholie in ihm hervor, die noch tie-
fer, als die vorige, ſich in ſeine Seele eingrub.
Er machte ſich nun ein Gewiſſen und ſogar ein Ver-
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 1036. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/616>, abgerufen am 15.08.2024.
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