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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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seyn! -- So schwärmte er sich in überirrdische
Empfindungen hinein, und vergaß Welt, und alles
um sich her.

Der Guardian und die andern Paters begegne-
ten ihm mit Freundschaft und Liebe, und unter-
schieden ihn, da er mehr Vermögen mit ins Klo-
ster brachte, sehr von den beyden andern, die mit
ihm das Noviziat antreten sollten. Der Eine, Bru-
der Porphyr, war ein feuriger, oft ausgelassener
Jüngling, der eher zum Herrschen, als zum Ge-
horchen gebohren war, und besser einen Officier,
als einen stillen und geduldigen Mönch abgegeben
hätte. Aber sein Vater hatte mehrere Kinder, und
ein mässiges Vermögen. Also hielt ers für ein Glück,
daß sein Sohn hier eine Versorgung finden sollte. --
Der andre Bruder Jsidor, war ein dummer,
schläfriger Mensch, der sein Leben so hinträumte,
ohne viel dabey zu denken. Seine Mutter, ein
bigottes Weib, hatte ihn, weil sie bey seiner Geburt
fast starb, von Jugend auf zum Mönch bestimmt,
und ihm schon, als Knaben, eine Kapuzinerkutte
angelegt. Fragte man den Knaben, was er wer-
den wollte? so sagte er: ein geistlicher Herr. Die
Mutter sagte ihm, im Kloster könn er ohne viele
Müh ein Heiliger werden; und dem Knaben war



ſeyn! — So ſchwaͤrmte er ſich in uͤberirrdiſche
Empfindungen hinein, und vergaß Welt, und alles
um ſich her.

Der Guardian und die andern Paters begegne-
ten ihm mit Freundſchaft und Liebe, und unter-
ſchieden ihn, da er mehr Vermoͤgen mit ins Klo-
ſter brachte, ſehr von den beyden andern, die mit
ihm das Noviziat antreten ſollten. Der Eine, Bru-
der Porphyr, war ein feuriger, oft ausgelaſſener
Juͤngling, der eher zum Herrſchen, als zum Ge-
horchen gebohren war, und beſſer einen Officier,
als einen ſtillen und geduldigen Moͤnch abgegeben
haͤtte. Aber ſein Vater hatte mehrere Kinder, und
ein maͤſſiges Vermoͤgen. Alſo hielt ers fuͤr ein Gluͤck,
daß ſein Sohn hier eine Verſorgung finden ſollte. —
Der andre Bruder Jſidor, war ein dummer,
ſchlaͤfriger Menſch, der ſein Leben ſo hintraͤumte,
ohne viel dabey zu denken. Seine Mutter, ein
bigottes Weib, hatte ihn, weil ſie bey ſeiner Geburt
faſt ſtarb, von Jugend auf zum Moͤnch beſtimmt,
und ihm ſchon, als Knaben, eine Kapuzinerkutte
angelegt. Fragte man den Knaben, was er wer-
den wollte? ſo ſagte er: ein geiſtlicher Herr. Die
Mutter ſagte ihm, im Kloſter koͤnn er ohne viele
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[1029/0609] ſeyn! — So ſchwaͤrmte er ſich in uͤberirrdiſche Empfindungen hinein, und vergaß Welt, und alles um ſich her. Der Guardian und die andern Paters begegne- ten ihm mit Freundſchaft und Liebe, und unter- ſchieden ihn, da er mehr Vermoͤgen mit ins Klo- ſter brachte, ſehr von den beyden andern, die mit ihm das Noviziat antreten ſollten. Der Eine, Bru- der Porphyr, war ein feuriger, oft ausgelaſſener Juͤngling, der eher zum Herrſchen, als zum Ge- horchen gebohren war, und beſſer einen Officier, als einen ſtillen und geduldigen Moͤnch abgegeben haͤtte. Aber ſein Vater hatte mehrere Kinder, und ein maͤſſiges Vermoͤgen. Alſo hielt ers fuͤr ein Gluͤck, daß ſein Sohn hier eine Verſorgung finden ſollte. — Der andre Bruder Jſidor, war ein dummer, ſchlaͤfriger Menſch, der ſein Leben ſo hintraͤumte, ohne viel dabey zu denken. Seine Mutter, ein bigottes Weib, hatte ihn, weil ſie bey ſeiner Geburt faſt ſtarb, von Jugend auf zum Moͤnch beſtimmt, und ihm ſchon, als Knaben, eine Kapuzinerkutte angelegt. Fragte man den Knaben, was er wer- den wollte? ſo ſagte er: ein geiſtlicher Herr. Die Mutter ſagte ihm, im Kloſter koͤnn er ohne viele Muͤh ein Heiliger werden; und dem Knaben war

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 1029. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/609>, abgerufen am 23.11.2024.