Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite



die Donau, die in seinem Glanz dahin tanzte;
und überdachte alle das Gute, was er hier im
Kloster, besonders von seinem lieben P. Philipp
genossen hatte. Siegwart stand am andern Fen-
ster, und weinte. Endlich fieng Kronhelm schwei-
gend an, das noch nöthige zu packen. Siegwart
half ihm. Es lag noch ein Buch auf dem Tisch.
Willst du das nicht auch einpacken? sagte Sieg-
wart. Nein, es gehört dir, sagte Kronhelm,
nimms zum Andenken! -- Siegwart schlug es
auf. Es waren Geßners Jdyllen. Vorne stand
drinn:

Denk, o Lieber! Deines armen Freundes!
Stark, und heiß, und treu, wie Geßners
Schäfer, hat sein Herz geliebt;
Aber weine, Freund!
Jch werde sterben!
Denn ich liebte stark, und heiß, und treu!
Ach die Zeiten sind dahin,
Da ich glücklich war, wie Geßners Schäfer!
Weine, Freund! und denke meiner!

Als dieß Siegwart gelesen hatte, drückte er sei-
nen Freund mit heftiger Bewegung an sein Herz,
und weinte. O es muß dir wohl gehen; sagte



die Donau, die in ſeinem Glanz dahin tanzte;
und uͤberdachte alle das Gute, was er hier im
Kloſter, beſonders von ſeinem lieben P. Philipp
genoſſen hatte. Siegwart ſtand am andern Fen-
ſter, und weinte. Endlich fieng Kronhelm ſchwei-
gend an, das noch noͤthige zu packen. Siegwart
half ihm. Es lag noch ein Buch auf dem Tiſch.
Willſt du das nicht auch einpacken? ſagte Sieg-
wart. Nein, es gehoͤrt dir, ſagte Kronhelm,
nimms zum Andenken! — Siegwart ſchlug es
auf. Es waren Geßners Jdyllen. Vorne ſtand
drinn:

Denk, o Lieber! Deines armen Freundes!
Stark, und heiß, und treu, wie Geßners
Schaͤfer, hat ſein Herz geliebt;
Aber weine, Freund!
Jch werde ſterben!
Denn ich liebte ſtark, und heiß, und treu!
Ach die Zeiten ſind dahin,
Da ich gluͤcklich war, wie Geßners Schaͤfer!
Weine, Freund! und denke meiner!

Als dieß Siegwart geleſen hatte, druͤckte er ſei-
nen Freund mit heftiger Bewegung an ſein Herz,
und weinte. O es muß dir wohl gehen; ſagte

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0056" n="476"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
die Donau, die in &#x017F;einem Glanz dahin tanzte;<lb/>
und u&#x0364;berdachte alle das Gute, was er hier im<lb/>
Klo&#x017F;ter, be&#x017F;onders von &#x017F;einem lieben P. Philipp<lb/>
geno&#x017F;&#x017F;en hatte. Siegwart &#x017F;tand am andern Fen-<lb/>
&#x017F;ter, und weinte. Endlich fieng Kronhelm &#x017F;chwei-<lb/>
gend an, das noch no&#x0364;thige zu packen. Siegwart<lb/>
half ihm. Es lag noch ein Buch auf dem Ti&#x017F;ch.<lb/>
Will&#x017F;t du das nicht auch einpacken? &#x017F;agte Sieg-<lb/>
wart. Nein, es geho&#x0364;rt dir, &#x017F;agte Kronhelm,<lb/>
nimms zum Andenken! &#x2014; Siegwart &#x017F;chlug es<lb/>
auf. Es waren <hi rendition="#fr">Geßners Jdyllen.</hi> Vorne &#x017F;tand<lb/>
drinn:</p><lb/>
        <lg type="poem">
          <l>Denk, o Lieber! Deines armen Freundes!</l><lb/>
          <l>Stark, und heiß, und treu, wie <hi rendition="#fr">Geßners</hi></l><lb/>
          <l> <hi rendition="#et">Scha&#x0364;fer, hat &#x017F;ein Herz geliebt;</hi> </l><lb/>
          <l>Aber weine, Freund!</l><lb/>
          <l>Jch werde &#x017F;terben!</l><lb/>
          <l>Denn ich liebte &#x017F;tark, und heiß, und treu!</l><lb/>
          <l>Ach die Zeiten &#x017F;ind dahin,</l><lb/>
          <l>Da ich glu&#x0364;cklich war, wie <hi rendition="#fr">Geßners</hi> Scha&#x0364;fer!</l><lb/>
          <l>Weine, <hi rendition="#fr">Freund!</hi> und denke meiner!</l><lb/>
          <byline> <hi rendition="#et"> <hi rendition="#fr">K. W. Kronhelm.</hi> </hi> </byline>
        </lg><lb/>
        <p>Als dieß Siegwart gele&#x017F;en hatte, dru&#x0364;ckte er &#x017F;ei-<lb/>
nen Freund mit heftiger Bewegung an &#x017F;ein Herz,<lb/>
und weinte. O es muß dir wohl gehen; &#x017F;agte<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[476/0056] die Donau, die in ſeinem Glanz dahin tanzte; und uͤberdachte alle das Gute, was er hier im Kloſter, beſonders von ſeinem lieben P. Philipp genoſſen hatte. Siegwart ſtand am andern Fen- ſter, und weinte. Endlich fieng Kronhelm ſchwei- gend an, das noch noͤthige zu packen. Siegwart half ihm. Es lag noch ein Buch auf dem Tiſch. Willſt du das nicht auch einpacken? ſagte Sieg- wart. Nein, es gehoͤrt dir, ſagte Kronhelm, nimms zum Andenken! — Siegwart ſchlug es auf. Es waren Geßners Jdyllen. Vorne ſtand drinn: Denk, o Lieber! Deines armen Freundes! Stark, und heiß, und treu, wie Geßners Schaͤfer, hat ſein Herz geliebt; Aber weine, Freund! Jch werde ſterben! Denn ich liebte ſtark, und heiß, und treu! Ach die Zeiten ſind dahin, Da ich gluͤcklich war, wie Geßners Schaͤfer! Weine, Freund! und denke meiner! K. W. Kronhelm. Als dieß Siegwart geleſen hatte, druͤckte er ſei- nen Freund mit heftiger Bewegung an ſein Herz, und weinte. O es muß dir wohl gehen; ſagte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/56
Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 476. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/56>, abgerufen am 21.11.2024.