Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite



Freunden zu Gefallen, munter zu thun; aber
man sah allen seinen Handlungen den Zwang an.
Am liebsten sprach er von seiner Mariane, ob ihm
dieses gleich so traurig war, und ihn tausend
Thränen kostete. Wenn sich davon das Gespräch
anfieng, so konnt er gar nicht aufhören. Es war
ihm immer noch zu kurz, wenn es auch schon gan-
ze Stunden gedauert hatte. Seine einzige Hoff-
nung gründete sich jetzt auf Marxens Nachsuchun-
gen. Er sah ganze Stunden lang aus dem Fen-
ster, ob er ihn nicht kommen sehe. Er machte es
im Gespräch immer zweifelhaft, ob er etwas von
Marianen erfahren werde? um nur seine Zweifel
und Einwürfe widerlegt zu sehen. Bald war er
wehmüthig, bald verdrüßlich und ungeduldig; bald
pries er das Einsiedlerleben als das glücklichste auf
Erden, und sagte, daß er bald wieder zu seinem
Einsiedler in den Wald zurückkehren werde.

Therese und sein Schwager betrübten sich
darüber sehr, und sannen tausend Mittel aus, sei-
ne Gedanken etwas zu zerstreuen, und ihm heiterere
beyzubringen. Sie giengen oder fuhren täglich
mit ihm spatzieren; er gab sich Mühe, munter zu
scheinen, aber ein unvermutheter Seufzer verrieth
ihnen bald wieder den Gram, der an seinem Her-



Freunden zu Gefallen, munter zu thun; aber
man ſah allen ſeinen Handlungen den Zwang an.
Am liebſten ſprach er von ſeiner Mariane, ob ihm
dieſes gleich ſo traurig war, und ihn tauſend
Thraͤnen koſtete. Wenn ſich davon das Geſpraͤch
anfieng, ſo konnt er gar nicht aufhoͤren. Es war
ihm immer noch zu kurz, wenn es auch ſchon gan-
ze Stunden gedauert hatte. Seine einzige Hoff-
nung gruͤndete ſich jetzt auf Marxens Nachſuchun-
gen. Er ſah ganze Stunden lang aus dem Fen-
ſter, ob er ihn nicht kommen ſehe. Er machte es
im Geſpraͤch immer zweifelhaft, ob er etwas von
Marianen erfahren werde? um nur ſeine Zweifel
und Einwuͤrfe widerlegt zu ſehen. Bald war er
wehmuͤthig, bald verdruͤßlich und ungeduldig; bald
pries er das Einſiedlerleben als das gluͤcklichſte auf
Erden, und ſagte, daß er bald wieder zu ſeinem
Einſiedler in den Wald zuruͤckkehren werde.

Thereſe und ſein Schwager betruͤbten ſich
daruͤber ſehr, und ſannen tauſend Mittel aus, ſei-
ne Gedanken etwas zu zerſtreuen, und ihm heiterere
beyzubringen. Sie giengen oder fuhren taͤglich
mit ihm ſpatzieren; er gab ſich Muͤhe, munter zu
ſcheinen, aber ein unvermutheter Seufzer verrieth
ihnen bald wieder den Gram, der an ſeinem Her-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0548" n="968"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
Freunden zu Gefallen, munter zu thun; aber<lb/>
man &#x017F;ah allen &#x017F;einen Handlungen den Zwang an.<lb/>
Am lieb&#x017F;ten &#x017F;prach er von &#x017F;einer Mariane, ob ihm<lb/>
die&#x017F;es gleich &#x017F;o traurig war, und ihn tau&#x017F;end<lb/>
Thra&#x0364;nen ko&#x017F;tete. Wenn &#x017F;ich davon das Ge&#x017F;pra&#x0364;ch<lb/>
anfieng, &#x017F;o konnt er gar nicht aufho&#x0364;ren. Es war<lb/>
ihm immer noch zu kurz, wenn es auch &#x017F;chon gan-<lb/>
ze Stunden gedauert hatte. Seine einzige Hoff-<lb/>
nung gru&#x0364;ndete &#x017F;ich jetzt auf Marxens Nach&#x017F;uchun-<lb/>
gen. Er &#x017F;ah ganze Stunden lang aus dem Fen-<lb/>
&#x017F;ter, ob er ihn nicht kommen &#x017F;ehe. Er machte es<lb/>
im Ge&#x017F;pra&#x0364;ch immer zweifelhaft, ob er etwas von<lb/>
Marianen erfahren werde? um nur &#x017F;eine Zweifel<lb/>
und Einwu&#x0364;rfe widerlegt zu &#x017F;ehen. Bald war er<lb/>
wehmu&#x0364;thig, bald verdru&#x0364;ßlich und ungeduldig; bald<lb/>
pries er das Ein&#x017F;iedlerleben als das glu&#x0364;cklich&#x017F;te auf<lb/>
Erden, und &#x017F;agte, daß er bald wieder zu &#x017F;einem<lb/>
Ein&#x017F;iedler in den Wald zuru&#x0364;ckkehren werde.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#fr">There&#x017F;e</hi> und &#x017F;ein Schwager betru&#x0364;bten &#x017F;ich<lb/>
daru&#x0364;ber &#x017F;ehr, und &#x017F;annen tau&#x017F;end Mittel aus, &#x017F;ei-<lb/>
ne Gedanken etwas zu zer&#x017F;treuen, und ihm heiterere<lb/>
beyzubringen. Sie giengen oder fuhren ta&#x0364;glich<lb/>
mit ihm &#x017F;patzieren; er gab &#x017F;ich Mu&#x0364;he, munter zu<lb/>
&#x017F;cheinen, aber ein unvermutheter Seufzer verrieth<lb/>
ihnen bald wieder den Gram, der an &#x017F;einem Her-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[968/0548] Freunden zu Gefallen, munter zu thun; aber man ſah allen ſeinen Handlungen den Zwang an. Am liebſten ſprach er von ſeiner Mariane, ob ihm dieſes gleich ſo traurig war, und ihn tauſend Thraͤnen koſtete. Wenn ſich davon das Geſpraͤch anfieng, ſo konnt er gar nicht aufhoͤren. Es war ihm immer noch zu kurz, wenn es auch ſchon gan- ze Stunden gedauert hatte. Seine einzige Hoff- nung gruͤndete ſich jetzt auf Marxens Nachſuchun- gen. Er ſah ganze Stunden lang aus dem Fen- ſter, ob er ihn nicht kommen ſehe. Er machte es im Geſpraͤch immer zweifelhaft, ob er etwas von Marianen erfahren werde? um nur ſeine Zweifel und Einwuͤrfe widerlegt zu ſehen. Bald war er wehmuͤthig, bald verdruͤßlich und ungeduldig; bald pries er das Einſiedlerleben als das gluͤcklichſte auf Erden, und ſagte, daß er bald wieder zu ſeinem Einſiedler in den Wald zuruͤckkehren werde. Thereſe und ſein Schwager betruͤbten ſich daruͤber ſehr, und ſannen tauſend Mittel aus, ſei- ne Gedanken etwas zu zerſtreuen, und ihm heiterere beyzubringen. Sie giengen oder fuhren taͤglich mit ihm ſpatzieren; er gab ſich Muͤhe, munter zu ſcheinen, aber ein unvermutheter Seufzer verrieth ihnen bald wieder den Gram, der an ſeinem Her-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/548
Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 968. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/548>, abgerufen am 22.11.2024.