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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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ganze Nacht nicht davor schlafen. Du hast viel
gelitten, Lieber; aber stärke dich! Du kannst noch
vieles auf der Welt erfahren. Jch hoffe, daß du
Glauben an Gott hast. Bey allen Leiden, die
ich ausgestanden habe -- und es sind gewiß recht
viele -- hab ich das gelernt: Ohne Glauben an
Gott und an sich selbst könnte man kein schweres
Leiden überstehen. Selbstmord und Verzweiflung
wäre stets die letzte Zuflucht, und sie ists auch,
leider! bey so vielen. Wer an Menschen glaubt,
der wird zu Schanden, wie du schon erfahren
hast. Jch traute mir, und noch mehr andern
Menschen alles zu; ich glaubte, mir allein helfen
zu müssen, und -- ach Gott! -- Wie tief bin ich
gefallen! -- Jch sah den Himmel an, und alle
Sterne, daß sich ihre Menge nicht verwirrt. Jch
sah Stürm' und Blitz und Donner aufstehn; sah
die Elemente miteinander kriegen, und doch alles
bleiben, wie es war. Jch sah Menschen mit-
einander kriegen; sah; wie immer einer gegen den
andern ist; sah in mir und andern alles miteinan-
der kämpfen; Leidenschaften in der Seele toben,
daß es schien, sie müste aufgerieben werden -- und
doch blieb im Menschen Ordnung; Nach den
tausend Stürmen kam doch wieder Ruhe; und ich



ganze Nacht nicht davor ſchlafen. Du haſt viel
gelitten, Lieber; aber ſtaͤrke dich! Du kannſt noch
vieles auf der Welt erfahren. Jch hoffe, daß du
Glauben an Gott haſt. Bey allen Leiden, die
ich ausgeſtanden habe — und es ſind gewiß recht
viele — hab ich das gelernt: Ohne Glauben an
Gott und an ſich ſelbſt koͤnnte man kein ſchweres
Leiden uͤberſtehen. Selbſtmord und Verzweiflung
waͤre ſtets die letzte Zuflucht, und ſie iſts auch,
leider! bey ſo vielen. Wer an Menſchen glaubt,
der wird zu Schanden, wie du ſchon erfahren
haſt. Jch traute mir, und noch mehr andern
Menſchen alles zu; ich glaubte, mir allein helfen
zu muͤſſen, und — ach Gott! — Wie tief bin ich
gefallen! — Jch ſah den Himmel an, und alle
Sterne, daß ſich ihre Menge nicht verwirrt. Jch
ſah Stuͤrm’ und Blitz und Donner aufſtehn; ſah
die Elemente miteinander kriegen, und doch alles
bleiben, wie es war. Jch ſah Menſchen mit-
einander kriegen; ſah; wie immer einer gegen den
andern iſt; ſah in mir und andern alles miteinan-
der kaͤmpfen; Leidenſchaften in der Seele toben,
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doch blieb im Menſchen Ordnung; Nach den
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[948/0528] ganze Nacht nicht davor ſchlafen. Du haſt viel gelitten, Lieber; aber ſtaͤrke dich! Du kannſt noch vieles auf der Welt erfahren. Jch hoffe, daß du Glauben an Gott haſt. Bey allen Leiden, die ich ausgeſtanden habe — und es ſind gewiß recht viele — hab ich das gelernt: Ohne Glauben an Gott und an ſich ſelbſt koͤnnte man kein ſchweres Leiden uͤberſtehen. Selbſtmord und Verzweiflung waͤre ſtets die letzte Zuflucht, und ſie iſts auch, leider! bey ſo vielen. Wer an Menſchen glaubt, der wird zu Schanden, wie du ſchon erfahren haſt. Jch traute mir, und noch mehr andern Menſchen alles zu; ich glaubte, mir allein helfen zu muͤſſen, und — ach Gott! — Wie tief bin ich gefallen! — Jch ſah den Himmel an, und alle Sterne, daß ſich ihre Menge nicht verwirrt. Jch ſah Stuͤrm’ und Blitz und Donner aufſtehn; ſah die Elemente miteinander kriegen, und doch alles bleiben, wie es war. Jch ſah Menſchen mit- einander kriegen; ſah; wie immer einer gegen den andern iſt; ſah in mir und andern alles miteinan- der kaͤmpfen; Leidenſchaften in der Seele toben, daß es ſchien, ſie muͤſte aufgerieben werden — und doch blieb im Menſchen Ordnung; Nach den tauſend Stuͤrmen kam doch wieder Ruhe; und ich

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 948. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/528>, abgerufen am 25.11.2024.