Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>


verschiedne Gründe, warum man sich von aller
menschlichen Gesellschaft los macht.

Siegwart. Liebe zur Ruhe ists doch immer,
wie mich deucht. . .

Einsiedler. Und Sehnsucht nach Ruhe; oder
daß man sie an andern Oertern sucht, wenn
man sie nicht in sich selbst hat. Und das, scheint
mir, ist sehr oft der Fall. (Hier seufzte er.)

Siegwart. Leider! mag ers nur zu oft seyn!
Vielleicht sehen Sie mirs an, daß ich auch die
Ruhe ausser mir aufsuche. Ach, mein theurer
Vater, darf ich Jhnen mich entdecken? Vielleicht
wissen Sie ein Lindrungsmittel; und ich weiß,
Sie würdens mir nicht vorenthalten.

Einsiedler. Nein gewiß nicht! wenigstens wer-
den Sie mein Mitleid haben, wenns nichts wei-
ter ist. Jch will Jhnen Jhr Geheimnis nicht
abdringen. Oft ists Grausamkeit. Aber wenn
Sie mir es freywillig entdecken wollen, so wirds
mich freuen. Jch werde wenigstens Jhr Zu-
trauen nicht mißbrauchen.

Siegwart erzählte ihm nun |seine ganze Ge-
schichte. Der Einsiedler ward oft stark dabey er-
schüttert, und vergoß viele Thränen. An man-
chen Auftritten nahm er besonders Theil. Zuletzt


verſchiedne Gruͤnde, warum man ſich von aller
menſchlichen Geſellſchaft los macht.

Siegwart. Liebe zur Ruhe iſts doch immer,
wie mich deucht. . .

Einſiedler. Und Sehnſucht nach Ruhe; oder
daß man ſie an andern Oertern ſucht, wenn
man ſie nicht in ſich ſelbſt hat. Und das, ſcheint
mir, iſt ſehr oft der Fall. (Hier ſeufzte er.)

Siegwart. Leider! mag ers nur zu oft ſeyn!
Vielleicht ſehen Sie mirs an, daß ich auch die
Ruhe auſſer mir aufſuche. Ach, mein theurer
Vater, darf ich Jhnen mich entdecken? Vielleicht
wiſſen Sie ein Lindrungsmittel; und ich weiß,
Sie wuͤrdens mir nicht vorenthalten.

Einſiedler. Nein gewiß nicht! wenigſtens wer-
den Sie mein Mitleid haben, wenns nichts wei-
ter iſt. Jch will Jhnen Jhr Geheimnis nicht
abdringen. Oft iſts Grauſamkeit. Aber wenn
Sie mir es freywillig entdecken wollen, ſo wirds
mich freuen. Jch werde wenigſtens Jhr Zu-
trauen nicht mißbrauchen.

Siegwart erzaͤhlte ihm nun |ſeine ganze Ge-
ſchichte. Der Einſiedler ward oft ſtark dabey er-
ſchuͤttert, und vergoß viele Thraͤnen. An man-
chen Auftritten nahm er beſonders Theil. Zuletzt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0525" n="945"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
ver&#x017F;chiedne Gru&#x0364;nde, warum man &#x017F;ich von aller<lb/>
men&#x017F;chlichen Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft los macht.</p><lb/>
        <p>Siegwart. Liebe zur Ruhe i&#x017F;ts doch immer,<lb/>
wie mich deucht. . .</p><lb/>
        <p>Ein&#x017F;iedler. Und Sehn&#x017F;ucht nach Ruhe; oder<lb/>
daß man &#x017F;ie an andern Oertern &#x017F;ucht, wenn<lb/>
man &#x017F;ie nicht in &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t hat. Und das, &#x017F;cheint<lb/>
mir, i&#x017F;t &#x017F;ehr oft der Fall. (Hier &#x017F;eufzte er.)</p><lb/>
        <p>Siegwart. Leider! mag ers nur zu oft &#x017F;eyn!<lb/>
Vielleicht &#x017F;ehen Sie mirs an, daß ich auch die<lb/>
Ruhe au&#x017F;&#x017F;er mir auf&#x017F;uche. Ach, mein theurer<lb/>
Vater, darf ich Jhnen mich entdecken? Vielleicht<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en Sie ein Lindrungsmittel; und ich weiß,<lb/>
Sie wu&#x0364;rdens mir nicht vorenthalten.</p><lb/>
        <p>Ein&#x017F;iedler. Nein gewiß nicht! wenig&#x017F;tens wer-<lb/>
den Sie mein Mitleid haben, wenns nichts wei-<lb/>
ter i&#x017F;t. Jch will Jhnen Jhr Geheimnis nicht<lb/>
abdringen. Oft i&#x017F;ts Grau&#x017F;amkeit. Aber wenn<lb/>
Sie mir es freywillig entdecken wollen, &#x017F;o wirds<lb/>
mich freuen. Jch werde wenig&#x017F;tens Jhr Zu-<lb/>
trauen nicht mißbrauchen.</p><lb/>
        <p>Siegwart erza&#x0364;hlte ihm nun |&#x017F;eine ganze Ge-<lb/>
&#x017F;chichte. Der Ein&#x017F;iedler ward oft &#x017F;tark dabey er-<lb/>
&#x017F;chu&#x0364;ttert, und vergoß viele Thra&#x0364;nen. An man-<lb/>
chen Auftritten nahm er be&#x017F;onders Theil. Zuletzt<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[945/0525] verſchiedne Gruͤnde, warum man ſich von aller menſchlichen Geſellſchaft los macht. Siegwart. Liebe zur Ruhe iſts doch immer, wie mich deucht. . . Einſiedler. Und Sehnſucht nach Ruhe; oder daß man ſie an andern Oertern ſucht, wenn man ſie nicht in ſich ſelbſt hat. Und das, ſcheint mir, iſt ſehr oft der Fall. (Hier ſeufzte er.) Siegwart. Leider! mag ers nur zu oft ſeyn! Vielleicht ſehen Sie mirs an, daß ich auch die Ruhe auſſer mir aufſuche. Ach, mein theurer Vater, darf ich Jhnen mich entdecken? Vielleicht wiſſen Sie ein Lindrungsmittel; und ich weiß, Sie wuͤrdens mir nicht vorenthalten. Einſiedler. Nein gewiß nicht! wenigſtens wer- den Sie mein Mitleid haben, wenns nichts wei- ter iſt. Jch will Jhnen Jhr Geheimnis nicht abdringen. Oft iſts Grauſamkeit. Aber wenn Sie mir es freywillig entdecken wollen, ſo wirds mich freuen. Jch werde wenigſtens Jhr Zu- trauen nicht mißbrauchen. Siegwart erzaͤhlte ihm nun |ſeine ganze Ge- ſchichte. Der Einſiedler ward oft ſtark dabey er- ſchuͤttert, und vergoß viele Thraͤnen. An man- chen Auftritten nahm er beſonders Theil. Zuletzt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/525
Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 945. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/525>, abgerufen am 22.11.2024.