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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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Den andern Morgen um 5 Uhr stand er auf,
und fühlte seine Gesundheit völlig wieder hergestellt.
Die Bäurin wünschte ihm mit Thränen tausend
Glück auf den Weg. Kaspar begleitete ihn bis vors
Dorf hinaus, und wies ihm den nächsten Weg.
Auf dem ersten Dorf konnt er lange nichts von
Marianens Wagen erfahren; endlich fand er einen
Bauer, der ihn gesehen hatte, und ihm das
Dorf nannte, wo er hergekommen war. Noch
in zwey Dörfern bekam er Nachricht. Endlich im
dritten wollte niemand weiter etwas gesehen ha-
ben. Nur eine Frau sagte: Abends um Eilf Uhr
habe sie vor etlich Tagen etwas durchs Dorfs fah-
ren hören. Sie habe hinausgesehen, und da seys
eine Kutsche gewesen, die aufs nächste Dorf zu,
das sie nannte, gefahren sey. Man geh durch einen
dicken Tannenwald durch, und es sey eine gute
Stunde dahin. Erst müsse man sich, wenn man
halb im Wald sey, rechts, dann links, dann wie-
der rechts hinum schlagen. Siegwart war auf die-
se Anweisung wenig aufmerksam. Er war zufrie-
den, daß er etwas von dem Wagen gehört hatte,
und gieng wieder weiter. Durch allerley Phanta-
sien und Träumereyen, daß er nun bald seine Ma-
riane wieder finden werde, vertiefte er sich so in



Den andern Morgen um 5 Uhr ſtand er auf,
und fuͤhlte ſeine Geſundheit voͤllig wieder hergeſtellt.
Die Baͤurin wuͤnſchte ihm mit Thraͤnen tauſend
Gluͤck auf den Weg. Kaspar begleitete ihn bis vors
Dorf hinaus, und wies ihm den naͤchſten Weg.
Auf dem erſten Dorf konnt er lange nichts von
Marianens Wagen erfahren; endlich fand er einen
Bauer, der ihn geſehen hatte, und ihm das
Dorf nannte, wo er hergekommen war. Noch
in zwey Doͤrfern bekam er Nachricht. Endlich im
dritten wollte niemand weiter etwas geſehen ha-
ben. Nur eine Frau ſagte: Abends um Eilf Uhr
habe ſie vor etlich Tagen etwas durchs Dorfs fah-
ren hoͤren. Sie habe hinausgeſehen, und da ſeys
eine Kutſche geweſen, die aufs naͤchſte Dorf zu,
das ſie nannte, gefahren ſey. Man geh durch einen
dicken Tannenwald durch, und es ſey eine gute
Stunde dahin. Erſt muͤſſe man ſich, wenn man
halb im Wald ſey, rechts, dann links, dann wie-
der rechts hinum ſchlagen. Siegwart war auf die-
ſe Anweiſung wenig aufmerkſam. Er war zufrie-
den, daß er etwas von dem Wagen gehoͤrt hatte,
und gieng wieder weiter. Durch allerley Phanta-
ſien und Traͤumereyen, daß er nun bald ſeine Ma-
riane wieder finden werde, vertiefte er ſich ſo in

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[938/0518] Den andern Morgen um 5 Uhr ſtand er auf, und fuͤhlte ſeine Geſundheit voͤllig wieder hergeſtellt. Die Baͤurin wuͤnſchte ihm mit Thraͤnen tauſend Gluͤck auf den Weg. Kaspar begleitete ihn bis vors Dorf hinaus, und wies ihm den naͤchſten Weg. Auf dem erſten Dorf konnt er lange nichts von Marianens Wagen erfahren; endlich fand er einen Bauer, der ihn geſehen hatte, und ihm das Dorf nannte, wo er hergekommen war. Noch in zwey Doͤrfern bekam er Nachricht. Endlich im dritten wollte niemand weiter etwas geſehen ha- ben. Nur eine Frau ſagte: Abends um Eilf Uhr habe ſie vor etlich Tagen etwas durchs Dorfs fah- ren hoͤren. Sie habe hinausgeſehen, und da ſeys eine Kutſche geweſen, die aufs naͤchſte Dorf zu, das ſie nannte, gefahren ſey. Man geh durch einen dicken Tannenwald durch, und es ſey eine gute Stunde dahin. Erſt muͤſſe man ſich, wenn man halb im Wald ſey, rechts, dann links, dann wie- der rechts hinum ſchlagen. Siegwart war auf die- ſe Anweiſung wenig aufmerkſam. Er war zufrie- den, daß er etwas von dem Wagen gehoͤrt hatte, und gieng wieder weiter. Durch allerley Phanta- ſien und Traͤumereyen, daß er nun bald ſeine Ma- riane wieder finden werde, vertiefte er ſich ſo in

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 938. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/518>, abgerufen am 02.05.2024.