was wir im Deutschen nicht gut geben können, ein bon vivant. Seine Gesellschafter waren lustige Brüder, die bey einer guten Mahlzeit und einem guten Glas Rheinwein sich über einen kahlen Ein- fall, oft auch über Zoten, einen halben Abend fast zu Tode lachen konnten. Jch indessen saß auf meinem Zimmer, hatte ein fühlendes Herz, das nicht fühlen sollte; denn ich gestehe gern meine Schwachheit, mancher edeln Seele schlug mein Herz zu, mit der ich glücklich hätte leben können. Aber ich muste das Feuer unterdrücken, das in mir auflodern wollte, und so verzehrte ich mich in- nerlich selbst. Traurigkeit und Schwermuth nutz- ten meine besten Lebensgeister ab, daß ich vor der Zeit alt wurde. Meinen Kummer konnt ich kei- nem Menschen anvertrauen; nur Thränen, Bücher, und am ersten die Religion waren all mein Trost. Ganze Tage phantasirt ich weg, mit Aussichten in ein beßres Leben; und da half mir meine Ein- bildungskraft sehr. Jch schmückte meine Hofnun- gen so gut aus, als ich konnte, und ergötzte mich daran. Oft erhitzt ich meine Einbildungskraft so sehr, daß es meinen Nerven, die schon ohnedieß stark gespannt waren, schadete. Jch las Dichter, Jtaliäner und Franzosen, die meine Phantasie
was wir im Deutſchen nicht gut geben koͤnnen, ein bon vivant. Seine Geſellſchafter waren luſtige Bruͤder, die bey einer guten Mahlzeit und einem guten Glas Rheinwein ſich uͤber einen kahlen Ein- fall, oft auch uͤber Zoten, einen halben Abend faſt zu Tode lachen konnten. Jch indeſſen ſaß auf meinem Zimmer, hatte ein fuͤhlendes Herz, das nicht fuͤhlen ſollte; denn ich geſtehe gern meine Schwachheit, mancher edeln Seele ſchlug mein Herz zu, mit der ich gluͤcklich haͤtte leben koͤnnen. Aber ich muſte das Feuer unterdruͤcken, das in mir auflodern wollte, und ſo verzehrte ich mich in- nerlich ſelbſt. Traurigkeit und Schwermuth nutz- ten meine beſten Lebensgeiſter ab, daß ich vor der Zeit alt wurde. Meinen Kummer konnt ich kei- nem Menſchen anvertrauen; nur Thraͤnen, Buͤcher, und am erſten die Religion waren all mein Troſt. Ganze Tage phantaſirt ich weg, mit Ausſichten in ein beßres Leben; und da half mir meine Ein- bildungskraft ſehr. Jch ſchmuͤckte meine Hofnun- gen ſo gut aus, als ich konnte, und ergoͤtzte mich daran. Oft erhitzt ich meine Einbildungskraft ſo ſehr, daß es meinen Nerven, die ſchon ohnedieß ſtark geſpannt waren, ſchadete. Jch las Dichter, Jtaliaͤner und Franzoſen, die meine Phantaſie
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was wir im Deutſchen nicht gut geben koͤnnen, ein
bon vivant. Seine Geſellſchafter waren luſtige
Bruͤder, die bey einer guten Mahlzeit und einem
guten Glas Rheinwein ſich uͤber einen kahlen Ein-
fall, oft auch uͤber Zoten, einen halben Abend
faſt zu Tode lachen konnten. Jch indeſſen ſaß auf
meinem Zimmer, hatte ein fuͤhlendes Herz, das
nicht fuͤhlen ſollte; denn ich geſtehe gern meine
Schwachheit, mancher edeln Seele ſchlug mein
Herz zu, mit der ich gluͤcklich haͤtte leben koͤnnen.
Aber ich muſte das Feuer unterdruͤcken, das in
mir auflodern wollte, und ſo verzehrte ich mich in-
nerlich ſelbſt. Traurigkeit und Schwermuth nutz-
ten meine beſten Lebensgeiſter ab, daß ich vor der
Zeit alt wurde. Meinen Kummer konnt ich kei-
nem Menſchen anvertrauen; nur Thraͤnen, Buͤcher,
und am erſten die Religion waren all mein Troſt.
Ganze Tage phantaſirt ich weg, mit Ausſichten
in ein beßres Leben; und da half mir meine Ein-
bildungskraft ſehr. Jch ſchmuͤckte meine Hofnun-
gen ſo gut aus, als ich konnte, und ergoͤtzte mich
daran. Oft erhitzt ich meine Einbildungskraft ſo
ſehr, daß es meinen Nerven, die ſchon ohnedieß
ſtark geſpannt waren, ſchadete. Jch las Dichter,
Jtaliaͤner und Franzoſen, die meine Phantaſie
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 837. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/417>, abgerufen am 16.07.2024.
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