Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.Jhre Blicke waren immer auf ihn gerichtet. Er glaubte, in dem Saal der Seligen zu seyn. So oft er sie bey der Hand faßte, gab sie ihm einen Hände- druck, der durch Mark und Knochen schauderte. Beym Essen sprach sie nur allein mit ihm, und zu- weilen mit Kronhelm, der in tiefer Wehmuth da saß, weil er an Theresen dachte, und doch zwang er sich, an dem Entzücken seines Freundes Theil zu nehmen, und lächelte zuweilen wie die Frühlings- sonn' im Regenschauer. Mariane trank ihm The- resens Gesundheit zu, und bat ihren Siegwart, es seiner Schwester zu schreiben, daß sie eine unbekann- te Freundin habe, die ihr Schicksal oft beseufze, und für sie bete. -- O dann muß sie glücklich werden, sagte Siegwart, wenn ein Engel für sie betet. -- Und beten sie denn auch für mein Glück, lieber En- gel? Würden Sie mich auch wol glücklich machen? -- Ob ichs würde? sagte sie, und sah ihn zärtlich an. Könnt ichs nur! -- O sie könnens! Bey Gott! Sie könnens, wenn Sie mir nur gut sind! Sind Sies, lieber Engel? -- Herzlich! Herzlich! sagte sie; mehr, als ichs sagen kann! -- Er schwieg, und drückte ihr die Hand. -- Sie hatte ein Stück Torte vor sich auf dem Teller liegen. Er schnitts entzwey. Sie gab ihm ein Stück davon, und aß Jhre Blicke waren immer auf ihn gerichtet. Er glaubte, in dem Saal der Seligen zu ſeyn. So oft er ſie bey der Hand faßte, gab ſie ihm einen Haͤnde- druck, der durch Mark und Knochen ſchauderte. Beym Eſſen ſprach ſie nur allein mit ihm, und zu- weilen mit Kronhelm, der in tiefer Wehmuth da ſaß, weil er an Thereſen dachte, und doch zwang er ſich, an dem Entzuͤcken ſeines Freundes Theil zu nehmen, und laͤchelte zuweilen wie die Fruͤhlings- ſonn’ im Regenſchauer. Mariane trank ihm The- reſens Geſundheit zu, und bat ihren Siegwart, es ſeiner Schweſter zu ſchreiben, daß ſie eine unbekann- te Freundin habe, die ihr Schickſal oft beſeufze, und fuͤr ſie bete. — O dann muß ſie gluͤcklich werden, ſagte Siegwart, wenn ein Engel fuͤr ſie betet. — Und beten ſie denn auch fuͤr mein Gluͤck, lieber En- gel? Wuͤrden Sie mich auch wol gluͤcklich machen? — Ob ichs wuͤrde? ſagte ſie, und ſah ihn zaͤrtlich an. Koͤnnt ichs nur! — O ſie koͤnnens! Bey Gott! Sie koͤnnens, wenn Sie mir nur gut ſind! Sind Sies, lieber Engel? — Herzlich! Herzlich! ſagte ſie; mehr, als ichs ſagen kann! — Er ſchwieg, und druͤckte ihr die Hand. — Sie hatte ein Stuͤck Torte vor ſich auf dem Teller liegen. Er ſchnitts entzwey. Sie gab ihm ein Stuͤck davon, und aß <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0274" n="694"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> Jhre Blicke waren immer auf ihn gerichtet. Er<lb/> glaubte, in dem Saal der Seligen zu ſeyn. So oft<lb/> er ſie bey der Hand faßte, gab ſie ihm einen Haͤnde-<lb/> druck, der durch Mark und Knochen ſchauderte.<lb/> Beym Eſſen ſprach ſie nur allein mit ihm, und zu-<lb/> weilen mit Kronhelm, der in tiefer Wehmuth da<lb/> ſaß, weil er an Thereſen dachte, und doch zwang<lb/> er ſich, an dem Entzuͤcken ſeines Freundes Theil zu<lb/> nehmen, und laͤchelte zuweilen wie die Fruͤhlings-<lb/> ſonn’ im Regenſchauer. Mariane trank ihm The-<lb/> reſens Geſundheit zu, und bat ihren Siegwart, es<lb/> ſeiner Schweſter zu ſchreiben, daß ſie eine unbekann-<lb/> te Freundin habe, die ihr Schickſal oft beſeufze, und<lb/> fuͤr ſie bete. — O dann muß ſie gluͤcklich werden,<lb/> ſagte Siegwart, wenn ein Engel fuͤr ſie betet. —<lb/> Und beten ſie denn auch fuͤr mein Gluͤck, lieber En-<lb/> gel? Wuͤrden Sie mich auch wol gluͤcklich machen?<lb/> — Ob ichs wuͤrde? ſagte ſie, und ſah ihn zaͤrtlich<lb/> an. Koͤnnt ichs nur! — O ſie koͤnnens! Bey<lb/> Gott! Sie koͤnnens, wenn Sie mir nur gut ſind!<lb/> Sind Sies, lieber Engel? — Herzlich! Herzlich!<lb/> ſagte ſie; mehr, als ichs ſagen kann! — Er ſchwieg,<lb/> und druͤckte ihr die Hand. — Sie hatte ein Stuͤck<lb/> Torte vor ſich auf dem Teller liegen. Er ſchnitts<lb/> entzwey. Sie gab ihm ein Stuͤck davon, und aß<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [694/0274]
Jhre Blicke waren immer auf ihn gerichtet. Er
glaubte, in dem Saal der Seligen zu ſeyn. So oft
er ſie bey der Hand faßte, gab ſie ihm einen Haͤnde-
druck, der durch Mark und Knochen ſchauderte.
Beym Eſſen ſprach ſie nur allein mit ihm, und zu-
weilen mit Kronhelm, der in tiefer Wehmuth da
ſaß, weil er an Thereſen dachte, und doch zwang
er ſich, an dem Entzuͤcken ſeines Freundes Theil zu
nehmen, und laͤchelte zuweilen wie die Fruͤhlings-
ſonn’ im Regenſchauer. Mariane trank ihm The-
reſens Geſundheit zu, und bat ihren Siegwart, es
ſeiner Schweſter zu ſchreiben, daß ſie eine unbekann-
te Freundin habe, die ihr Schickſal oft beſeufze, und
fuͤr ſie bete. — O dann muß ſie gluͤcklich werden,
ſagte Siegwart, wenn ein Engel fuͤr ſie betet. —
Und beten ſie denn auch fuͤr mein Gluͤck, lieber En-
gel? Wuͤrden Sie mich auch wol gluͤcklich machen?
— Ob ichs wuͤrde? ſagte ſie, und ſah ihn zaͤrtlich
an. Koͤnnt ichs nur! — O ſie koͤnnens! Bey
Gott! Sie koͤnnens, wenn Sie mir nur gut ſind!
Sind Sies, lieber Engel? — Herzlich! Herzlich!
ſagte ſie; mehr, als ichs ſagen kann! — Er ſchwieg,
und druͤckte ihr die Hand. — Sie hatte ein Stuͤck
Torte vor ſich auf dem Teller liegen. Er ſchnitts
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